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Schule

An den Problemen vorbei

An zahlreichen Schulen haben sich Kollegien gegen die Vergabe von Leistungsprämien ausgesprochen. Warum diese abzulehnen sind, erklären viele Kollegien nun in offenen Briefen.

Foto: IMAGO

Die Senatsbildungsverwaltung hatte zu Beginn des Jahres eine neue Verwaltungsvorschrift erlassen. Durch die Honorierung »herausragender besonderer Leistungen von Dienstkräften im Schulbereich« solle eine extrinsische »Steigerung von Arbeitsmotivation und Leistungsbereitschaft« erfolgen. Damit sollen Personalmittel innerhalb des Schulsystems verwendet werden, die aufgrund des Personalmangels derzeit nicht wie geplant ausgegeben werden können.

»Dies würde im Umkehrschluss bedeuten, dass wir einer extrinsischen Motivation bedürfen, weil wir unseren Beruf nicht motiviert und professionell genug durchführen. Die Anschauung, die hier zum Ausdruck gebracht wird, spiegelt in keiner Weise das vielfältige und sehr diverse Engagement eines Kollegiums wider«, schreiben Kolleg*innen eines Friedrichshainer Gymnasiums.

»Wir lehnen das Prämiensystem der Senatsverwaltung ab. ALLE!«, schreiben auch Kolleg*innen einer Kreuzberger Grundschule. Denn »Kolleg*innen geben täglich ihr Bestes. Wir arbeiten schon jetzt oft über unsere Belastungsgrenzen hinaus. In unseren Augen ist das Leistungsprämiensystem ein Versuch, Mehrarbeit als etwas Erstrebenswertes darzustellen. Dieses Vorgehen löst nicht die eigentlichen Probleme, Personalmangel und Aufgabenflut.«

Längst nicht alle sollen mehr Geld kriegen. So kritisieren Kolleg*innen einer Neuköllner Gemeinschaftsschule: »Wir sind ein sehr engagiertes Kollegium, das als Ganzes geschlossen berechtigt wäre, eine Leistungsprämie zu erhalten. Die vom Senat indizierte Annahme, dass nur zehn Prozent eines Kollegiums über die Maßen engagiert sei, ist inakzeptabel und zeigt wie wenig Ahnung die Bildungsverwaltung von der Schulrealität hat.«

Viele sehen die Solidarität im Kollegium bedroht. So berichtet ein Grundschullehrer: »Ich arbeite seit zehn Jahren an einer Schule, an der ich das harmonische Miteinander des Kollegiums schätze. Allein die Ankündigung der Leistungsprämien hat bewirkt, dass dieses Kollegium gespalten und in einen Konflikt gezwungen wird, den wir bisher so nicht kannten.«

Die Kolleg*innen der genannten Kreuzberger Grundschule betonen: »Es gibt verschiedene Persönlichkeiten an unserer Schule. Jede*r von uns hat Stärken und Schwächen. Wir alle sind wichtig! Unterschiedliche Leistungen sind weder mess- noch vergleichbar. Der Vorschlag stellt eine weitere, belastende Zusatzaufgabe dar und befördert eine Konkurrenzkultur in unserem Kollegium. Wir aber brauchen die Gemeinschaft und den Zusammenhalt untereinander. Das ist unsere Stärke! Nur so können wir unsere täglichen Herausforderungen im Ansatz meistern und für unsere Schüler*innen da sein.«

 

Spaltende Konkurrenzkultur

 

Auch der offene Brief aus Friedrichshain stellt die Messbarkeit von Leistung in Frage: »Für unseren Beruf gibt es leider nur sehr eingeschränkte und allgemein formulierte Tätigkeitsbeschreibungen. So sind auch die Formulierungen in der Verwaltungsvorschrift unserer Meinung nach nicht validierbar. Die Aussage zum Beispiel, dass ›temporäre Unterstützungsleistungen in besonderen Bedarfslagen‹ oder die ›engagierte Teilnahme an Projektgruppen mit besonderen Ergebnissen‹ als überdurchschnittliches Engagement fassbar sein sollen. Wir fragen uns, was das in einem Arbeitsalltag bedeutet, in dem laufend Defizite durch kollegiale Vertretung und Zusammenarbeit ausgeglichen werden müssen. Ist es nicht vielmehr so, dass die bestehende Mangelsituation an Schulen bereits seit Jahren zu einem überdurchschnittlichen Engagement führt?«

Auch auf den Vergleichsmaßstab kommt es an. In vielen Köpfen wird eine gesund und in Vollzeit ausgeübte Stelle die Messlatte sein. Dann ist es aber bei Schwerbehinderten und Teilzeitbeschäftigten, die gar nicht den vollen Anteil dieser Arbeitsleistung erbringen können, fraglich, ob »besondere Leistungen« überhaupt als solche erkannt werden.

Gerade an Schulen mit einem heterogenen Kollegium werden Leistungsprämien oft kritisch gesehen. So gibt es in multi­professionellen Teams große Unterschiede in den Arbeitsbedingungen und nicht zuletzt beim Entgelt. Wie kann in solchen Teams, in denen alle aufeinander angewiesen sind, eine »herausragende Leistung« Einzelner festgestellt werden? Auch wenn die Verwaltungsvorschrift eine Auszeichnung einzelner Teams ermöglicht, brechen in manchen Kollegien Konflikte zwischen Berufsgruppen auf.

Auf ein weiteres Problem weisen die bereits zitierten Kolleg*innen einer Neuköllner Gemeinschaftsschule in diesem Zusammenhang hin: »Die innerkollegiale Solidarität wurde in den letzten Jahrzehnten bereits durch die Ausgliederung einzelner Berufsgruppen an externe Träger angegriffen. Da die Leistungsprämie nur an vom Senat beschäftigte Arbeitskräfte gehen soll, würde die Leistungsprämie die vielen engagierten Erzieher­*innen und Sozialarbeiter*innen in freier Trägerschaft ausschließen. Ohne diese Kolleg*innen wäre der Schulalltag aber nicht zu bewältigen.«

 

Entlastung statt Leistungsdruck

 

Alternativen kennen die Kolleg*innen reichlich. So unterstützen fast 90 Kolleg*innen einer Gemeinschaftsschule in Treptow-Köpenick einen offenen Brief, in dem es heißt: »Wir sind der festen Überzeugung, dass die Einführung solcher Prämien die Arbeitsbelastung an Berliner Schulen weiter befeuert. Als Alternative wollen wir drei Möglichkeiten aufzeigen, wie die Gelder zielführender und gerechter verwendet werden könnten. Zusätzliches Personal, vor allem im Bereich der Verwaltung, würde der in den vergangenen Jahren enorm gestiegenen Belastung durch administrative Aufgaben entgegenwirken. Zweitens könnten überschüssige Gelder dem gesamten öffentlichen Schulpersonal als steuerfreie Einmalzahlung angerechnet werden. Drittens ist es möglich, von den überschüssigen Geldern Dienstleistungen oder Waren zu bezahlen, die allen Kolleg*innen zu Gute kommen, beispielsweise teamfördernde Maßnahmen oder Sitzgelegenheiten für Aufenthaltsräume.«

Aus dem genannten Gymnasium heißt es: »Was wir uns wünschen und was uns wirklich motivieren würde, ist, dass das Geld in die Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen fließt. Und zwar in die Arbeitsbedingungen aller in der Schule tätigen Personen. Darunter verstehen wir ganz konkret: Dass wir für Klassen- und Projektfahrten nicht mit unserem privaten Geld in Vorkasse gehen müssen. Dass es ausreichend Sachbearbeiter*innen in den Ämtern gibt, die uns in Personalangelegenheiten unterstützen.«

Und: »Eine wirkliche Lösung wären mehr Personal und ein langfristiger Plan, wie sich die Arbeitsbedingungen an den Schulen dauerhaft und für alle wieder verbessern«, finden die Neuköllner Kolleg­*innen.

 

Sammelpunkte der Solidarität

 

Es ist ermutigend zu sehen, dass viele Kollegien versuchen, die entsolidarisierende Wirkung von Leistungsprämien auszuhebeln. Neben der gemeinsam vertretenen Ablehnung dieser Maßnahme an einigen Schulen gibt es auch weitere Ideen. So versuchen manche Kollegien, die Gelder formal durch Einzelne zu beziehen, aber danach in einen Topf zu werfen und damit ein Fest zu finanzieren, schulische Projekte zu fördern oder sie einfach aufzuteilen. Solche Initiativen sind nicht leicht zu handhaben, da der rechtliche Rahmen ausdrücklich auf die Begünstigung einer kleinen Minderheit zugeschnitten ist. Eine Kollektivierung der Mittel könnte erst nach dem Steuerabzug erfolgen, weitere Konflikte wären dabei nicht ausgeschlossen.

Eine Lehre: In diesem Schulsystem können wir plötzlich und unerwartet einen Keil zwischen uns spüren, obwohl wir sonst vertraut miteinander arbeiten. Gewerkschaftliche Schulgruppen können eine wichtige Rolle dabei spielen, dem entgegenzutreten.

 

Die Zitate wurden teilweise gekürzt oder leicht redigiert

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46