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Schwerpunkt "Tariflohn für alle!"

Arbeitsbedingungen auf Augenhöhe verbessern

Juliane Kalbacher arbeitet in einer Erstaufnahme- und Clearingeinrichtung für unbegleitete minderjährige Geflüchtete (EACumG). In ihrem Arbeitsalltag begegnet ihr selten, dass Hintergründe und Entscheidungen klar kommuniziert und offengelegt werden.

Foto: Adobe Stock

Wenn minderjährige Geflüchtete ohne ihre Eltern oder eine erwachsene Begleitperson einreisen, ist nicht das Landesamt für Fluchtangelegenheiten (LAF), sondern die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie zuständig. Die Kinder und Jugendlichen werden in Obhut genommen, um Obdachlosigkeit zu vermeiden. Das Verfahren teilt sich in drei Phasen: die vorläufige Unterbringung und Erstversorgung, das Vorclearing – Prüfung von Verteilfähigkeit und das Clearingverfahren. Im dritten Bereich arbeite ich. Das Clearingverfahren ist beschränkt auf maximal zwölf Wochen. Die Aufgaben des Clearingverfahrens umfassen die Klärung der Situation wie administrative Prozesse, polizeiliche Meldung, Erlangung einer Bescheinigung über die Meldung als Asylsucher*in, Schulanbindung, Erkennen der Fähigkeiten und Einschätzung der Kinder und Jugendlichen bis hin zu einer Anschlussunterbringung in eine für sie passende Einrichtung der Jugendhilfe. Währenddessen laufen im Hintergrund die erste und zweite Zuweisung für die*den einzelne*n Klient*innen ab, bei denen die Zuständigkeit des Jugendamtes geklärt und ein Vormund bestellt wird.

 

Wertschätzung sieht anders aus

 

Allein aus der Beschreibung lässt sich erkennen, dass dieses Verfahren einen sehr hoheitlichen Prozess darstellt. Durch das Subsidiaritätsprinzip landet diese hoheitliche Aufgabe in der freien Trägerlandschaft, was zunächst einmal nicht schlecht ist. Wenn ich aber die Situation in der entgeltfinanzierten Trägereinrichtung betrachte, in der ich arbeite, stolpere ich häufig über Intransparenz. Tarifverträge sollen Klarheit schaffen, aber bei meinem Träger wird kein Tarifvertrag angewendet. Höherstufungen dauern deutlich länger als im öffentlichen Dienst. Arbeitsverträge werden meist nur für zwei Jahre befristet. Weiter ist durch den Fachkräftemangel gegeben, dass verschiedene sogenannte Quereinsteiger*innen mit verwandten Berufsgruppen gleichgestellt sind mit der Eingruppierung der Erzieher*in. Als verwandte Berufe werden im Leitfaden für Quereinsteiger*innen bei stationären Jugendhilfe-Einrichtungen unter anderem auf Sonderpädagog*innen, Rehabilationspädagog*innen, Heilerziehungspfleger*innen verwiesen. Begegnet sind mir aber unter anderem Grundschullehramtsstudent*innen oder Psychologiestudent*innen. Mein Vertrag wurde mir mit der Arbeitnehmer*innen-Betitelung der Betreuerin zugesandt, statt meiner richtigen Arbeitsbezeichnung der Erzieherin. Erst auf meine Rückmeldung über die tatsächliche Berufsbezeichnung wurde dieser Vertrag angepasst. Dieses Missverständnis kann zur Folge haben, dass es zu einem Lohnunterschied kommt.

 

Statt Tarifanpassungen ein einmaliger Inflationsausgleich

 

Aus meiner Sicht wurde – bevor großes Unwohlsein durch die Arbeitnehmer*innen sich breit machte – bereits im Februar 2023 auf die Löhne ein einmaliger Inflationsausgleich gezahlt. Bei Vollzeitkräften sprechen wir hier von 1000 Euro, bei Teilzeitkräften mit 50 Prozent Stellenanteil von 500 Euro. Ob diese Einmalzahlung arbeitnehmer*innenfreundlich oder einfach nur taktisch war, sei dahingestellt. Die Pauschale trug definitiv dazu bei, dass es unter Kolleg*innen wenig zur Sprache kam, wie die aktuelle Inflation mit unseren Gehältern korreliert. Die in vielen Tarifverträgen geregelte Jahressonderzahlung beziehungsweise das Weihnachtsgeld, wird bei uns im Träger pünktlich voll- oder teilangerechnet ausgezahlt. Dies erfolgt jedoch mit einem schriftlichen Vermerk, dass, falls es zur Eigenkündigung, Aufhebung des Vertrages oder von Arbeitgeber*innenseite zur Kündigung aus dem Dienstverhältnis vor dem 31. März im Folgejahr kommt, der*die Arbeitnehmer*in dazu verpflichtet ist, die Sonderzahlung zurück zu zahlen. Fair, freundlich und entgegenkommend scheint mir das nicht.

Wie oben erwähnt, ist die Inobhutnahme im Rahmen des Clearings eine hoheitliche Aufgabe, die direkt vom Senat bestimmt wird. Dementsprechend entscheidet der Senat, wie viele Plätze und Einrichtungen er benötigt. Die Frage der Bewilligung beziehungsweise der Dauer des Bestehens der Einrichtung ist dadurch fremdbestimmt. Vorgegeben wird, wie viele Mitarbeiter*innen mit bestimmten Abschlüssen in der Einrichtung arbeiten sollen und die Sachkosten- beziehungsweise Direktpauschalen an die einzelnen Klient*innen. Das beinhaltet beispielsweise Bekleidungs-, Taschen- oder Lebensmittelgeld, wie auch Miet- und Nebenkosten. Im Berliner Rahmenvertrag für Hilfen in Einrichtungen und durch Dienste der Kinder- und Jugendhilfe werden Leistungen, die Entgeltbestandteil sind, aufgelistet und transparent dargestellt. Für Inobhutnahme-Angebote werden Entgeltpauschalen genannt. Diese Pauschalen sind unterschiedlich angesiedelt und können von Einrichtungen, Tragweite, Ort und Umfang variieren. Es ist nicht einsichtig, wie hoch die Pauschale für unsere Einrichtung ist, meist handelt es sich aber um Tagespauschalen zwischen 280-350 Euro oder höher. Pauschalen können dazu führen, dass freie Träger Kosten individueller einsetzten und somit ihre pädagogischen Ziele besser umsetzen können. Das beinhaltet jedoch das Risiko, nicht einzusehen, wohin das Geld fließt und kann ein Gefühl entstehen lassen, dass die Pauschalen nicht Klient*innenorientiert verteilt werden. Für uns Beschäftigte wäre es hilfreich, wenn seitens des Trägers ausreichend transparent gemacht wird, welche Mittel er für welchen Zweck erhält und wie diese Gelder innerhalb des Trägers verteilt werden.

 

Schwierigen Arbeitsbedingungen begegnen

 

Durch eine Mischung von internen und externen Problemen innerhalb der Teams, Einrichtungshaltung und Trägern kommt es zu einer hohen Mitarbeiter*innenfluktuation. Erschwerend hinzu kommt seit kurzem, dass bei Neuanstellungen nur noch Einjahresverträge mit der Option auf Verlängerung um ein weiteres Jahr im Anschluss angeboten werden. Diese Veränderungen und Andeutungen aus Leitungsebenen lassen darauf schließen, dass keine Langfristigkeit für die Einrichtung gesehen wird. Transparent kommuniziert wird dies nicht, was zu Unsicherheiten innerhalb des Kollegiums führt. Ich bestehe mittlerweile auf einjährige Arbeitsverträge. Das gibt mir Handlungsspielraum bei anstehenden Verlängerungen und Vertragsverhandlungen. Es scheint mir ein guter Zeitraum zu sein, um einen Einblick in Trägerstrukturen und Arbeitsabläufe zu erlangen. Einen Betriebsrat hat mein jetziger Träger nicht. Ein Aufruf von mir, einen zu gründen, blieb bisher erfolglos.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46