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Schule

Ausgeatmet und losgelassen

Überlastung im Schulsystem: Eine Forderung nach grundlegenden Veränderungen.

Foto: Adobe Stock

Johanna Zerbe schrieb in ihrem Artikel der Ausgabe Mai/Juni 2023: »Mein persönlicher Schutz, nicht kaputt zu gehen in diesem System ist, dass ich in Teilzeit arbeite. Wird mir in Zukunft auch das genommen, dann bin ich weg hier.« Ihr Fazit: »Im Grunde ist es doch wie im Flugzeug: Wenn wir uns als pädagogisches Personal nicht zuerst selbst die Masken aufsetzen, können wir auch den Kindern nicht helfen.« Sie fordert praktikable Maßnahmen, damit für Lehrer*innen im Alltag Zeit für die grundlegenden und langfristig gesunderhaltenden Bedürfnisse bleiben.

In meinen Dienstjahren war ich genau vier Jahre in Vollzeit und anschließend nur noch reduziert tätig. Auch ich verzichtete bewusst auf viel Gehalt und auf Rentenpunkte, damit ich alles, was im beruflichen Alltag im Übermaß auf mich einströmte und gefordert wurde, bewältigen konnte. Als Hochsensible, ohnehin eine ständige Herausforderung.

Inklusive Referendariatsschule habe ich bis heute an sechs Schulen in vier verschiedenen Schulformen gearbeitet. Ich habe berufsbegleitend zwei einjährige Fortbildungen besucht, darf daher zusätzlich zu meinen Studienfächern ein weiteres Fach unterrichten und Beratungslehrerin an Berufsschulen sein. Neben der Tätigkeit als Klassenlehrerin war ich zwei Jahre Gesundheitsbeauftragte und GSV-Vertreterin.

Nun bin ich »raus«, kaputt gespielt im und vom »System Schule«, wider besseres Wissen: denn als Sportlehrerin und Gesundheitsbeauftragte weiß ich sehr wohl, was es für die seelische, geistige und körperliche Gesunderhaltung braucht.

 

Fehlende Analyse der Überlastungsgründe

 

Was braucht es dringend in den Schulen, damit grundständig ausgebildete Lehrer*innen wie Frau Zerbe, ich und viele andere, nicht die Flucht ergreifen oder wegen Überlastung ausscheiden?

Eine ehrliche, sachliche Analyse hinsichtlich schulinterner Abläufe, denen das Lehrpersonal ausgesetzt ist. Ähnlich einem Langzeit-EKG, jedoch für die Dauer von mehreren Wochen, müssten durchgängig sämtliche Tätigkeiten, Zwischengespräche, Entscheidungen, Nacharbeiten und Vorbereitungen von Lehrkräften, Wegstrecken, an andere Orte verlegte Unterrichtsstätten, Praktikant*innenbetreuung und Lärmpegel, Elternabende, Elternsprechtage, Veranstaltungstage, Konferenzen, Beratungen, Fort- und Weiterbildungen, und vieles mehr, dezidiert erfasst werden.

Es müsste ebenfalls alles, was den geplanten Ablauf aushebelt, erfasst werden: defekte Kopierer, lahme Computer, fehlende Updates, wegen Krankheit und Verletzung zu versorgende Kinder, plötzlich verschwundene Schüler*innen, fehlendes und zu besorgendes Schüler*innenmaterial, Gewaltvorfälle, spontane Raumänderungen und Vertretungen, Beleidigungen, Tätlichkeiten.

Außerdem sind wir Projektmanager*innen, Reiseorganisator*innen und -begleiter*innen, Buchhalter*innen, Lehrmitteldesigner*innen, IT-Spezialist*innen, Moderator*innen, Konfliktmanager*innen, Fahrradführerscheinprüfer*innen, Improvisationstalente, und müssen zunehmend interkulturell und sprachlich versiert sein.

 

Senatsverwaltung in der Bringpflicht

 

Dringend notwendig scheint mir, dass Schule als »autarke« Institution endlich von externen, senatsfremden Profis in den Abläufen evaluiert und professionalisiert wird. Und die Senatsverwaltung als Arbeitgeber endlich ihrer Fürsorgepflicht in Sachen Arbeits- und Gesundheitsschutz nachkommt. Dazu gehört die Evaluation des Lehralltags sowie die wahre Erfassung arbeitsbedingter Erkrankungen von Lehrer*innen und die entsprechende Veränderung des Systems.

Ein Schritt wäre es, Schule für alle Beteiligten zu entschlacken. Es bedarf mehr Raum und Zeit für Beziehungsarbeit, für tiefgründige Verarbeitung, für therapeutische Arbeit, für Arbeit an Körper, Geist und Seele, fern von Computer, Handy oder Schulbuch. Die Wissenschaft liefert zahlreiche Erkenntnisse und Empfehlungen zum erfolgreichen Lernen und zu Resilienz. Ausgerechnet die Institution, die grundlegend verantwortlich ist, Kinder erfolgreich zu bilden und zu schützen und resilientes Personal zu erhalten, versagt sang- und klanglos.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46