Schwerpunkt "Rastlos in der Uni"
Bitte weiterzoomen
Die Digitalisierung der Universitäten hat während der Coronapandemie große Sprünge gemacht. Auch im Präsenzbetrieb kann die Technik Wissenschaftler*innen mit Sorgearbeit zeitlich entlasten.
Nach dem offiziellen Ende von Corona ist an den Universitäten die Normalität wiedereingekehrt. Die Büros, die Seminarräume und die Hörsäle sind wieder bevölkert. Endlich werden wieder spontane Gespräche am Kopiergerät, in der Mensa und beim Verlassen einer Vorlesung geführt. Dabei wird leicht übersehen, welche Potenziale für die Hochschulen im beschleunigten Digitalisierungsschub der Pandemiezeit bestanden. Und zwar nicht nur für die Hochschulen als Lern- und Forschungsorte, sondern auch als Arbeitswelten.
Teilnahme aus der Ferne
Der wissenschaftliche Austausch hat sich während der Pandemie erfreulicherweise eher räumlich erweitert. Viele kostenintensive und ökologisch problematische Dienstreisen entfielen. Und doch wurden die Hochschulen internationaler. So konnten dank Zoom und Co. auch Menschen an Konferenzen oder Workshops mitwirken, die nicht ohne weiteres ein Visum für die EU erhalten. Dieses Potenzial wird oftmals auch weiterhin genutzt, etwa in Form hybrider Veranstaltungen, bei denen einzelne Teilnehmer*innen online zugeschaltet werden.
In der Lehre waren diese Effekte zwiespältiger. Gerade interaktive Lehrformate litten oft unter einem schlechten Internetzugang. Schnell wurde außerdem klar, dass die Teilnahmehürden im digitalen Raum viel höher sind. Das zeigte sich zum Beispiel daran, dass viele Studierende während der Videokonferenzen ihre Webcams ausgeschaltet ließen. Oftmals saßen sie aufgrund weggebrochener Nebeneinkünfte in ihren Jugendzimmern vor dem Bildschirm. Förderlich für Beteiligung und Niveau des Austauschs war das aber nicht.
Anders sah es bei den Vorlesungen aus, die in der Regel weniger interaktiv sind. Wenn diese als Video online bereitgestellt wurden, konnten die Studierenden dem Lernstoff im eigenen Rhythmus folgen, Pausen machen oder Passagen mehrfach abspielen. Zugleich wird an dieser Möglichkeit zur zeitverzögerten Nutzung manche Universitätshierarchie deutlich. Der Veranstaltungstypus »Vorlesung« ist meist Professor*innen vorbehalten. Ihnen allein ist also die (theoretische) Möglichkeit gegeben, Veranstaltungen zu »recyceln« und damit ihre Arbeitslast zu verringern.
Mit Nachwuchs in der Pandemie
Damit bin ich bei meinem eigentlichen Punkt: dem Zeitmanagement der Wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen. Viele von ihnen haben die Coronaphase als Zeit starker persönlicher Belastungen empfunden. Das hat damit zu tun, dass sich das akademische Personal von Hochschulen überdurchschnittlich häufig in einem bestimmen biografischen Zeitfenster befindet. Nämlich in der »Nachwuchsphase« der Qualifikation für eine Professur, während der sich viele selber um kleine Kinder kümmern.
Experimente oder Recherchen durchführen, Artikel, Doktor*innenarbeiten und Habilitationen schreiben und publizieren, sich vernetzen, Wissenschaftskommunikation betreiben, gute Lehre anbieten und zugleich Sorge-Aufgaben übernehmen: Das läuft schon im Normalfall auf Zeitkoordinationsprobleme hinaus. Während des coronabedingten Home-Schoolings und der monatelangen Kitaschließungen war es fast unmöglich.
Zeitdruck und räumliche Flexibilität
Insofern werden viele Kolleg*innen des akademischen Mittelbaus das Zoomen vor allem mit den Mehrbelastungen der Lockdown-Zeit verbinden. Dabei besteht in der digitalen Kommunikation gerade für diese Statusgruppe Potenzial, den Koordinationsstress von Sorge- und Erwerbsarbeit zu verringern.
Ich meine damit weniger die Lehre als die vielen anderen Dienstpflichten, die wissenschaftliche Mitarbeiter*innen erfüllen: die Besprechungen in Arbeitsgruppen, die Lehrplanung und Studienberatung, sowie die akademische Selberverwaltung in Instituts- und Fachbereichsräten et cetera.
Die Social-Distancing-Phase hat zweierlei gezeigt: Das verwaltungsmäßige Alltagsgeschäft ließ sich via digitaler Fernkommunikation ohne größere Probleme fortführen. Und wenn Zoom und andere Software für Videokonferenzen im Zeitalter der Laptops und Smartphones eins machen, dann räumlich flexibel.
Damit ist eine weitere Kernproblematik der universitären Welt angesprochen: das Pendeln. Ein ganz erheblicher Teil der Wissenschafler*innen im Mittelbau muss für einen Verbleib im Wissenschaftsbetrieb Jobangebote in anderen Bundesländern annehmen. Die Wenigsten wollen aber für eine befristete Stelle umsiedeln. Die Tatsache, dass die Universitäten bei der Präsenzpflicht beide Augen zudrücken, zeigt, dass man sich dessen sehr bewusst ist.
Für ein Recht auf Home-Office
Nun ist trotz der Diskussionen über die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes und die #IchbinHanna-Kampagne (eine Online-Kampagne bei der mehrere tausend Beschäftigte an Universitäten auf ihre prekären Stellen aufmerksam machten) davon auszugehen, dass sich so schnell nichts an der Befristungspraxis in Deutschland ändern wird.
Solange dies so ist, könnten Arbeitsgruppenleiter*innen, Lehrstuhlinhaber*innen, Dekan*innen und Universitätsleitungen ohne größeren Aufwand die Koordinationsprobleme ihrer Mitarbeitenden verringern helfen: eben durch standardmäßig digitale Meetings.
Der erste Schritt wäre eine neue Kultur des Vertrauens, dass Dienstgeschäfte auch auf digitalem Wege gewissenhaft erledigt werden. Und zwar gerade in den Randlagen des Arbeitstages beziehungsweise der Arbeitswoche, die nicht nur für pendelnde Eltern und andere Sorge-Arbeitende oft problematisch sind. Könnte es nicht zum Beispiel zur Praxis werden, eine Begründungspflicht einzuführen, wo in der universitären Selbstverwaltung Präsenz verlangt wird?
Natürlich: Flexibilisierung ist kein Wert per se. Permanente digitale Erreichbarkeit kann auch zu Missbrauch (ver)führen. Es ist aber bezeichnend für die deutschen Hochschulen, dass es nicht im Ansatz zu einer Debatte über ein universitäres Recht auf Heimarbeit gekommen ist. Dabei könnte dieses die Zeitprekarität des Mittelbaus zumindest abmildern.