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Schule

Der Nahostkonflikt in der Schule

Wie eine pädagogische Auseinandersetzung mit israelbezogenem Antisemitismus gelingen kann.

Foto: IMAGO

Seit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober letzten Jahres und dem Krieg zwischen Hamas und Israel sind auch fachfremde Lehrer*innen und andere pädagogische Fachkräfte verstärkt dazu aufgefordert, Austauschmöglichkeiten zur aktuellen Situation zu schaffen und dabei Orientierung zu geben. Auch fachdidaktisch versierte Lehrkräfte kommen angesichts der emotionalen und allgemein- und identitätspolitischen Aufladung dabei an ihre Grenzen. Wie in anderen konflikthaften Situationen sind vor allem allgemeine pädagogische Kompetenzen wie Kommunikation und Beziehungsarbeit gefragt. Dennoch ist es je nach Lerngruppe sinnvoll, näher auf die politischen und historischen Hintergründe einzugehen, um der Verbreitung von Fake News, falschen und Verschwörungsnarrativen sowie darauf basierenden Ressentiments Grenzen zu setzen.

 

Leitlinien des Senats und Beutelsbacher Konsens

 

Die Berliner Senatsverwaltung für Bildung hat zum Ende der Herbstferien ein Papier mit sehr vielen Hinweisen für Materialien und externe Beratungsstellen für eine Auseinandersetzung mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt zusammengestellt. Dessen zentrale Setzungen eigenen sich gut als gemeinsame Grundlage: Bei dem Angriff der Hamas handelt es sich um Terror und nicht um eine Befreiungs- oder Verteidigungsaktion, Israel ist legitimiert, sich zu verteidigen, und muss dabei das Völkerrecht einhalten.

Im Rahmen des internationalen Rechts, das wie alle demokratischen Rechtsgrundlagen die Meinungs- und Redefreiheit begrenzen kann, herrschen wie immer in der (politischen) Bildung die Prinzipien des Beutelsbacher Konsens: Was in der Gesellschaft kontrovers ist, gehört kontrovers in den Unterricht (Kontroversitätsgebot), Jugendliche dürfen nicht zu einer Position gedrängt werden (Überwältigungsverbot, oft als angebliches Neutralitätsgebot missverstanden) sowie die Adressat*innenorientierung in dem Sinne, dass die Lernenden ihre eigenen Anliegen wiederfinden und Impulse für eine emanzipative Entwicklung erfahren sollen.

Wie überall gibt es dabei Grenzen des Kontroversen: Niemand wird (noch) eine pro-contra-Debatte dazu veranstalten, ob Konzentrationslager nicht eine sinnvolle Einrichtung waren, und hoffentlich wird auch niemand im Unterricht eine Talkshow zur Frage simulieren, ob die russische Invasion der Ukraine berechtigt ist.

 

Verzerrende Narrative zum Nahostkonflikt

 

Auch rassistische, antisemitische und andere menschenfeindliche Äußerungen beschränken, was kontrovers verhandel- und diskutierbar ist. Dabei können verzerrende Sachaussagen rassistisch, antisemitisch et cetera wirksam werden. Pädagog*innen müssen daher angesichts der vielen falschen Narrative zum Nahostkonflikt und den vielfachen antisemitischen Implikationen in der allgegenwärtigen Kritik Israels Grenzen setzen können. Ebenso gibt es rassistische Deutungen und Umgangsweisen, wenn Palästinenser*innen das Recht auf nationale Identität abgesprochen, jedes palästinensische Symbol als islamistisches oder israelfeindliches gedeutet und jedes Leid und Unrecht in den palästinensischen Gebieten als selbstverschuldet interpretiert, sowie jegliche israelische Aggression ignoriert wird. Damit einher geht der ohnehin virulente antimuslimische Rassismus, der etwa auf Kundgebungen Personen und Artikulationen gar nicht mehr unterscheidet, sondern nur »den Islam/Islamismus« am Werk sieht. Vorherrschend ist aber eine einseitige Schuldzuweisung an Israel als eine Art kultureller Code.

 

Orientierungshilfe bei der Auswahl von Lernmaterialien und Medien

 

Medien- und Schulbuchanalysen zeigen, dass Lernmaterialien oder als solche einsetzbare mediale Beiträge oft verzerrendes vermeintliches Grundwissen über Israel und den Konflikt und die Kriege mit seinen vielen politischen Feinden teilweise auch subtil weitertragen. Die folgenden Leitfragen basieren in Teilen auf den Empfehlungen der Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission und helfen, verbreiteten Fehldeutungen entgegenzuwirken:

Werden falsche Grundannahmen irritiert? Dazu gehört die Vorstellung eines (»ewigen«) quasi naturgemäßen Religions- und Kulturkrieges zwischen »Juden« und »Arabern« beziehungsweise »Muslimen«. Oder der Mythos, es habe einen Nationalstaat Palästina gegeben, auf dessen Territorium Israel errichtet worden sei (»Landraub«). Oft wird zudem die Besatzung des Westjordanlands und Blockade Gazas als Ursache aller Probleme verstanden, ohne die grundsätzliche Bedrohung Israels in den Blick zu nehmen.

Wird ein Konfliktverständnis korrigiert, das von einer alleinigen Aggression Israels oder des Zionismus gegen eine palästinensische Bevölkerung ausgeht, die nur als Opfer und ohne politische Strukturen dargestellt wird? Je nach Zeitraum müssen die beteiligten arabischen Staaten, palästinensischen Organisationen und andere politische Akteur*innen benannt werden.

Werden historische Entwicklungen und Veränderungen bei den unterschiedlichen Akteur*innen thematisiert? Die heute im Vordergrund stehende religiöse Begründung für den Anspruch auf Land seitens islamistischer Organisationen oder seitens religiöser israelischer Siedler*innen spielte lange Zeit nur eine nebengeordnete Rolle. Für das linke Spektrum wiederum waren lange der Kalte Krieg und nationale Befreiungsbewegungen zentral.

Wird die Wunschvorstellung hinterfragt, einfache Lösungen finden zu können? Wichtig ist zu verstehen, warum ein Ausgleich der Interessen immer wieder misslungen ist.

Werden verschiedene Akteur*innen mit ihren je unterschiedlichen Positionen sowohl in Israel als auch bei den palästinensischen Organisationen beziehungsweise den arabischen Ländern sichtbar?

Gibt es Anregungen dafür, Empathie mit den Menschen vor Ort in ihrer Vielfalt zu entwickeln?

Unterstützung geben in Berlin verschiedene Bildungsträger und andere Initiativen, die sowohl israelische als auch palästinensische Perspektiven auf den Konflikt und die große Rolle von Emotionen und Identifikationen in den Blick nehmen. Dazu gehören insbesondere die BildungsBausteine e.V., ibim e.V., die IsraelPalästina-Bildungsvideos, die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus e.V. und der Comic »Mehr als 2 Seiten«. Ergänzend seien die Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main und die ju:an-Praxisstelle antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin genannt, letztere richtet ihre Angebote an Fachkräfte der Offenen und der mobilen Jugendsozialarbeit.

 

Islamistischen Antisemitismus adressieren

 

Die Massaker der Hamas sollten Anlass werden, ihre national-islamistische Ideologie und dementsprechende Praxis in den Vordergrund zu stellen. Anstatt den 7. Oktober lediglich als erneuten Kriegsbeginn in einem Dauerkonflikt zu sehen, müssen Hamas, Islamischer Dschihad, der Iran und andere Gegenstand der Kritik werden. Die Hamas kann den Krieg jederzeit beenden und begeht laufend Kriegsverbrechen an den Palästinenser*innen in Gaza. Anstatt die Feinde Israels in die Verantwortung zu nehmen und Israels Kriegsführung gegen terroristische Akteur*innen sachkundig auf mögliche Kriegsverbrechen hin zu untersuchen, wird international versucht, diese als Genozid zu delegitimieren. Nicht formelhaft »wegen unserer historischen Verantwortung«, sondern aus Verantwortung gegenüber der Wahrheit und den Israelis und den Palästinenser*innen sollten Pädagog­*innen sich bemühen, den Konflikt zu verstehen und antisemitischen Deutungen entgegenzutreten.

Kontakt
Klaudia Kachelrieß
Referentin Vorstandsbereich Schule
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