Tendenzen
Der Verfassungsschutz gehört abgeschafft
Ein neuer Sammelband beleuchtet sehr kritisch die Arbeit des Verfassungsschutzes.
Ein kleines Büchlein zum Thema »Verfassungsschutz« zeigt, dass es traditionell mit demokratischen Gepflogenheiten im deutschen Geheimdienstwald nicht weit her ist. In neun kurzen, gut recherchierten Aufsätzen geht es um den innerdeutschen Geheimdienst »Verfassungsschutz« (VS), der sich mit der Beobachtung unliebsamer Menschen und Organisationen in Deutschland befasst. Der Bundesnachrichtendienst (BND) ist im Ausland aktiv und der Militärische Abschirmdienst (MAD) ist nicht nur militärisch aktiv, sondern hatte auch in rechtsextremen Organisationen seine Finger im Spiel. Drei Geheimdienste also leistet sich Deutschland seit 1950 neben der Polizei, die in der neuen Polizeigesetzgebung auch mehr und mehr Überwachungsfunktionen zugeordnet bekommen hat.
Die Rechtslastigkeit des Verfassungsschutzes bestand seit Beginn 1950 mit Ex-Nazis an der Spitze. Nach Aussterben der alten Nazis wurde die antisozialistische Politik konsequent durch den letztes Jahr geschassten, AfD-affinen Präsidenten Maaßen weitergeführt, wie Rolf Gössner im Einleitungskapitel beschreibt. Anschließend erläutert Martin Kutscha, ein gern gesehener Referent auf GEW-Veranstaltungen, die rechtliche Problematik der sogenannten »Verfassungsfeindlichkeit«.
Der Verfassungsschutz ist Teil der Exekutive, neben dem Bundesamt bei den Bundesländern angesiedelt und parlamentarisch nicht kontrolliert, aber personell und finanziell immer mehr ausgebaut. Seine dubiose Rolle bei den neonazistischen NSU-Morden wurde im langwierigen Prozess überdeutlich, wie Antonia von der Behrens in einem Kapitel erläutert. Auch beim Attentat auf dem Breitscheidplatz sind noch viele Fragen an V-Männer offen, wie auch beim Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke. Seit 2015 garantiert man den geheimen V-Ermittlern gesetzlich Straffreiheit, sofern sie bei ihrer verdeckten Tätigkeit Straftaten begehen (Kutscha, Seite 57).
Wie die Schnüffelei im Schulbereich in den 70er Jahren vielen Kolleg*innen die Existenz kostete, erläutert der Bericht von Klaus Stein. Wer sich für die Berliner Situation diesbezüglich interessiert, gehe auf die neue Homepage der AG Berufsverbote bei der GEW BERLIN.
Ein extra Kapitel zum Thema Schule zeigt, dass der Verfassungsschutz neuerdings auch in Schulen aktiv wird und in einigen Bundesländern versucht, mit Vorträgen die Ideologie des Rot = Braun zu verbreiten, ein einfaches Schema zum Abkanzeln linksdemokratischer Politik. Dazu passt, dass der bayrische Staat bei Einstellungen in den Öffentlichen Dienst Fragebögen zu den politischen Aktivitäten der Bewerber*innen verteilt. Grundlage ist der Bericht des bayerischen Verfassungsschutzes, indem beispielsweise die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/ Bund der Antifaschisten (VVN/BdA) als verfassungsfeindlich einstuft wird, weshalb ihr – wie attac und campact – die Förderungswürdigkeit abgesprochen wird.
Neuerdings werden auch die Umweltaktivist*innen von »Ende Gelände« als verfassungsfeindlich eingestuft, womit deutlich wird, wie der Verfassungsschutz seine Aufgabe politisch sieht, nämlich linke Bewegungen zu kriminalisieren. Und das in einer Zeit, in der rechte Rattenfänger*innen die Straße beherrschen. Allerdings darf man gespannt sein, was die neue Kommission Rechtsextremismus beim Innenministerium herausfindet, obwohl man schon zurückrudert, coronabedingt würde es erste Ergebnisse wohl erst 2021 geben. Nach der Lektüre der 146 spannenden Seiten über den Verfassungsschutz kann man nur die Einschätzung unterstützen: Dieser Dienst schützt nicht die demokratischen Grundprinzipien unserer Verfassung, er höhlt sie aus. Er gehört abgeschafft!
»Was heißt hier eigentlich Verfassungsschutz?
Ein Geheimdienst und seine Praxis«
Hrg. von Cornelia Kerth und Martin Kutscha im PapyRossa Verlag, 12,90 Euro