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Tendenzen

Der »Glühwürmchen-Effekt« der Bildungsreformen

Das neue Buch von Heinz Klippert ist ein Plädoyer für eine veränderte Reformpolitik. Das vollständige Gespräch.

Foto: IMAGO

Schwarz: Sie sprechen vom Glühwürmchen-Effekt der Reformpolitik und kritisieren deren Sprunghaftigkeit und Abstraktheit. Was ist damit gemeint?

 

Klippert: Wir haben hierzulande seit den 1960er Jahren viele respektable Reformprojekte gestartet, um die vorhandenen Bildungsreserven zu mobilisieren, neue Curricula auf den Weg zu bringen, die Lehrerbildung zu reformieren, die Schülerintegration zu fördern, die Chancengerechtigkeit zu steigern und die schulische Bildungsarbeit insgesamt zeitgemäßer und effektiver zu gestalten. Doch die faktischen Fortschritte an der Basis halten sich nachweislich in engen Grenzen. Warum? Weil die meisten Reformansätze auf der Ebene abstrakter Programme, Konzepte, Leitlinien, Modellversuche und Hochglanzbroschüren verglüht sind. Deshalb rede ich vom „Glühwürmchen-Effekt“ der Reformpolitik.

 

Aber müsste die Reformpolitik nicht genau an dieser Nachhaltigkeit interessiert sein? Schließlich kosten Reformen viel Geld und Energie.

 

Klippert: Das stimmt, ändert aber trotzdem nichts dran, dass mit viel Aufwand oft wenig erreicht wurde. Beispielhaft zeigen das die diversen Curriculum-Reformen, die in den letzten Jahrzehnten mit viel Tamtam über die Bühne gingen. Was zum Beisüiel in den 1970er und 1980er Jahren die Forderung nach „Schlüsselqualifikationen“ war, ist heute die Propagierung kompetenzorientierter Bildungspläne und Bildungsstandards. Beides zielt auf eine veränderte Lehr- und Lernkultur. Doch entgegen dieser Reformabsicht dominiert die faktische lehrer- und stoffzentrierte Unterrichtsgestaltung weiter. Das zeigen einschlägige Schulinspektionen. Beim Auf- und Ausbau der Gesamtschulen, Ganztagsschulen, selbständigen Schulen oder dem digitalen Lernen zeigen sich ähnliche Implementierungsdefizite. Das Konsolidierungsstadium in den Schulen und Klassenzimmern wird nur selten erreicht.

 

Was ist denn die Alternative? Wie lassen sich die fälligen Schulreformen nachhaltiger und alltagstauglicher gestalten?

 

Klippert: Die Alternative heißt Fokussierung. Weniger ist mehr! Dieser Grundsatz wird seit Jahr und Tag sträflich vernachlässigt. Kaum ist ein Reformvorhaben verkündet, wird auch schon das nächste kreiert und propagiert. Die Lehrkräfte und Schulleitungen an der Basis bekommen deshalb häufig keinen Boden unter die Füße. Konsolidierung und neue Routinen fehlen ebenso wie überzeugende Unterstützungsmaßnahmen der Politik. Das Hauptmotiv der Politik scheint zu sein, immer Neues ins Schaufenster zu stellen, um damit die eigene Wachheit und Tatkraft zu signalisieren. Dabei zeigt die Schulentwicklungsforschung seit Langem, dass wirkungsvolle Reformen im Schnitt vier bis sechs Jahre brauchen, bis die Schulakteure das entsprechende innovative Handeln hinreichend verinnerlicht haben.

 

Sie priorisieren die Unterrichtsentwicklung. Welche Lehr-, Lern- und Förderkultur schwebt Ihnen vor?

 

Klippert: Die Modernisierung des Unterrichts bildet für mich in der Tat den Kern der Schulentwicklung – gepaart mit unterstützender Organisations- und Personalentwicklung. Diese Prioritätensetzung ist unter Schulentwicklungsforschern mittlerweile Konsens. Konsens besteht auch darin, dass es dringend an der Zeit ist, die traditionelle Belehrungskultur und Stoffhuberei zu überwinden. Die neuen kompetenzorientierten Bildungspläne unterstreichen diese Reformnotwendigkeit. Gleiches gilt für die neuere Lernforschung, die seit Jahr und Tag bestätigt, dass guter Unterricht und zeitgemäßes Lernen vor allem zweierlei brauchen: Erstens mehr Schüleraktivität und Schülerkooperation und zweitens entsprechend defensive Lehrkräfte als Lernorganisatoren, Moderatoren und Lernberater. Diese veränderte Lehrerrolle ist bei den wenigsten Lehrkräften gefestigt.

 

Warum ist es so schwer, diesem kompetenzorientierten Arbeitsunterricht zum Durchbruch zu verhelfen?

 

Klippert: Weil das einen richtiggehenden Kulturwandel in den Schulen verlangt, der mit neuen Richtlinien, Programmen, Appellen und punktuellen Fortbildungsmaßnahmen schwer zu bewerkstelligen ist. Nötig sind nicht nur neue Methoden, sondern auch und zugleich veränderte Haltungen und Einstellungen der Lehrkräfte. Fakt ist nämlich, dass die meisten Lehrkräfte unter Druck ganz oft auf das zurückgreifen, was sie aus der eigenen Schul- und Studienzeit intensiv kennen, nämlich stoff- und lehrerzentrierte Verfahren Dieser Reflex muss korrigiert werden. Dass das offenbar sehr viel schwieriger ist als viele Schreibtischreformer meinen, zeigt die anhaltende Zurückhaltung vieler Lehrkräfte, wenn es um das Initiieren, Organisieren und Moderieren eigenverantwortlichen Lernens im Unterricht geht. Zu groß sind ihre Befürchtungen, dass das womöglich schiefgeht und außer Disziplinproblemen, Trödeleien und oberflächlichen Lernversuchen nicht viel dabei herauskommt.

 

Wie lassen sich diese Befürchtungen und Hemmungen abbauen? Wie lässt sich der nötige Kulturwandel erreichen?

 

Klippert: Im Kern gibt es zwei zentrale Ansatzpunkte: Erstens die systematische Qualifizierung der Schüler*innen in puncto selbstständiges Lernen und zweitens das Forcieren des Erfahrungslernens der Lehrkräfte. Das Gros der Lehrkräfte ist nämlich mit modernen Lehr- und Lernverfahren in den seltensten Fällen so vertraut, dass routiniert und mit innerer Überzeugung darauf zurückgegriffen wird. Neue Richtlinien, Planungsleitfäden, Unterrichtsfilme und sonstige Handreichungen können diesen Erfahrungsmangel schwerlich beheben. Deshalb plädiere ich für konkrete Lehrertrainings und sonstige handlungs- und erfahrungsbetonte Herangehensweisen. Das ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die kleinschrittige Heranführung der Schüler*innen an das eigenverantwortliche Lernen mittels gezielter Methodenklärung und differenziertem Arbeitsunterricht nach Art meiner „Lernspiralen“. Wirksame Unterrichtsentwicklung braucht diese Basis-Qualifizierungen.

 

Welchen Einfluss hat der Bildungsföderalismus? Ist er Schuld an der beklagten Reformträgheit des deutschen Schulwesens?

 

Klippert: Die vielfältigen Reibungen zwischen Bund und Ländern erschweren natürlich eine stringente Schul- und Unterrichtsentwicklung. Wenn jedes Bundesland sein eigenes schulpolitisches Süppchen kocht und sich aus wahltaktischen Gründen gegen andere Länder zu profilieren versucht, dann führt das nicht nur zu wiederkehrenden Konflikten und entsprechenden zeitlichen Verzögerungen, sondern auch dazu, dass Innovationsvorhaben so lange abgeschliffen werden bis am Ende kaum noch etwas von den ursprünglichen Intentionen übrigbleibt. Das zeigt sich zum Beispiel beim angestrebten Aufbau integrierter Gesamtschulen, beim Digitalpakt Schule, beim Programm Selbstständige Schule, bei der Einführung von Zentralprüfungen oder bei der Reform der Lehrerbildung.

 

Sie fordern mehr Kompetenzen für den Bund. Heißt das, dass die Länder und Kommunen an den Rand gedrängt werden?

 

Klippert: Die Länder und Kommunen können weiterhin ihre operativen Zuständigkeiten behalten und die anstehenden Implementierungsarbeiten regional und lokal steuern und überwachen. Aber die grundlegenden programmatischen, finanziellen und strategischen Weichenstellungen sollten aus Effizienz- und Synchronisationsgründen prioritär auf Bundesebene erfolgen. Das wirkt den beklagten Verzögerungs-und Verwässerungsprozessen entgegen und begünstigt eine raschere und profiliertere Reformarbeit. Voraussetzung ist allerdings, dass Bund, Länder und Kommunen stringente Fahrpläne und Umsetzungshilfen verabreden und mittels versierter Innovationsexperten dafür sorgen, dass überzeugendes Know-how an die Schulen gelang. Das schließt bewährte Netzpläne und Fortbildungsangebote mit ein

 

Welche Rolle spielen die Finanzen? Die Lehrerverbände fordern mehr Geld und Personal. Reicht das?

 

Klippert: Selbstverständlich würde eine kräftige Aufstockung der Bildungsfinanzen helfen, mehr Lehr- und Förderkräfte einzustellen, kleinere Klassen zu bilden, flexibler zu differenzieren, die Lernberatung auszubauen, Schulgebäude und Klassenzimmer zu modernisieren oder die Ausstattung mit modernen Lehr- und Lernmitteln zu verbessern. Das alles sichert aber noch lange keine neue Lehr- und Lernkultur. Hinzukommen müssen zwingend innovationszentrierte Qualifizierungsmaßnahmen, forcierte Lehrerkooperation, praxisnahe Innovationsberatung, stringente Reformfahrpläne und vielseitige, praxiserprobte Innovationshilfen für die Reformakteure in den Einzelschulen, Lehrerbildungseinrichtungen und Schulverwaltungen. Das alles muss planvoll ineinandergreifen.

 

Zahlreiche Bildungspolitiker setzen auf mehr Schulautonomie und Schulentwicklungsberatung. Warum sind Sie skeptisch?

 

Klippert: Ich bin durchaus für mehr Schulautonomie und erweiterte Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume der Schulleitungen und Kollegien. Das kann den schulinternen Innovationselan nur beflügeln, Ich habe in der Vergangenheit allerdings oft die Erfahrung gemacht, dass die erhoffte Selbsterneuerung der Schulen nach Maßgabe der bildungspolitischen Reformvorgaben in den seltensten Fällen funktioniert, sofern nicht zeitgleich massive Unterstützung von oben und außen gewährt wird. Das vergessen viele, die in recht naiver Weise die „lernende Schule“ beziehungsweise „die Selbsterneuerung der Schulkollegien“ beschwören. Dieser Optimismus stimmt mich deshalb skeptisch, weil ich in der Praxis oft erlebt habe, dass der besagte Selbsterneuerungsanspruch sehr schnell in Überforderung, Richtungsstreitigkeiten, endlosen Konferenzen, zirkuläre Aktivitäten oder ins schlichte Nichtstun einmünden.

 

Ihre Zauberworte sind Lehrertraining, Netzpläne, Institutionalisierung, Lehrerentlastung und Routinebildung. Können Sie das erläutern?

 

Klippert: Der Aufbau neuer, Entlastung bringender Handlungsroutinen gelingt erfahrungsgemäß umso besser, je konkreter die Schulakteure die betreffenden Verfahrensweisen in ihrer Aus- und Fortbildung, aber auch in schulinternen Workshops üben, reflektieren, evaluieren und konsolidieren. Das nenne ich Lehrertraining. Damit diese Kompetenzerweiterung aber von Dauer ist, bedarf es nach meiner Erfahrung weiterer Gelingensbedingungen, nämlich erstens einer festen Verankerung der betreffenden Fortbildungs- und Umsetzungsmaßnahmen im Schulalltag. Das nenne ich Institutionalisierung. Und zweitens eines möglichst planvollen Vorgehens nach Maßgabe sogenannter Netzpläne, die differenziert angeben, wer, wann, was im Reformprozess zu tun hat. Sind diese Eckpunkte des Innovationsmanagements erfüllt, so winken neue Handlungsroutinen und Lehrerentlastung.

Mein Vorschlag ist die Errichtung eines speziellen Instituts zur Erforschung, Operationalisierung und Unterstützung von Reformprozessen.

 

 

Sie plädieren für einen kräftigen Ausbau integrierter Gesamtschulen und Ganztagsschulen. Gelingen Reformen dort besser?

 

Klippert: Sicherlich nicht generell. Gesamtschulen und Ganztagsschulen bieten jedoch relativ günstige Rahmenbedingungen für die geforderte Modernisierung der Lehr- und Lernkultur. Das ist mein Punkt. Schülerintegration, Inklusion, Soziales Lernen und differenzierte Lernförderung sind dort erklärtermaßen Programm. Projektunterricht, Wochenpläne, Methoden-training kooperatives Lernen, rhythmisierter Unterricht, Demokratieerziehung, Arbeiten in heterogenen Gruppen, Lernberatung und vielfältiges  selbständiges Lernen gehören vielerorts ebenfalls zum pädagogischen Standard. Auch gibt es zahlreiche Gesamtschullehrer*innen, die sich in autodidaktischer Weise zu einer respektablen neuen Lehr-, Lern- und Förderkultur vorgetastet haben und beachtliche Erfolg erzielen.

 

Lässt sich das verallgemeinern? Sind Gesamtschulen tatsächlich so human und inklusiv wie sie oft dargestellt werden?

 

Klippert: Auch in Gesamtschulen gibt es Licht und Schatten. Ein Grundproblem der Gesamt- und Ganztagsschulen ist, dass dort ähnlich rekrutierte, ausgebildete und geprägte Lehrkräfte wie in den tradierten Haupt-, Real- und Gymnasialschulen unterrichten. Und zwar unter sehr ähnlichen schulrechtlichen, curricularen, schulorganisatorischen und materiellen Rahmenbedingungen. Das erschwert natürlich Reformen. Hinzukommt, dass viele Gesamtschulen de facto eher „Restschulen“ sind, die im oberen Leistungs- und Verhaltenssegment deutlich unterbesetzt sind und dennoch massiv Binnendifferenzierung betreiben, das trennt und diskriminiert. Diese Dilemmata machen deutlich, dass auch im Gesamtschul- und Ganztagsschulbereich noch viel Reformbedarf besteht.

 

Nach wie vor hängt der Bildungserfolg hierzulande hochgradig vom Elternhaus ab. Wie verträgt sich das mit der propagierten Chancengerechtigkeit?

 

Klippert: Überhaupt nicht! Die PISA-Sudien machen mit großer Regelmäßigkeit deutlich, dass wir in der Tat ein massives Gerechtigkeitsproblem haben. Das gilt insbesondere für Kinder aus Migrantenfamilien und/oder bildungsfernen Milieus. Sie landen häufig in Brennpunktschulen oder sonstigen Restschulen, in denen es an „Zugpferden“ und sonstigen positiven Vorbildern fehlt, die zum engagierten Lernen inspirieren könnten. Da auch zuhause meist keine stimulierenden Vorbilder und Mutmacher existieren, ist es kein Wunder, dass diese Schüler*innen ihre Potenziale und Talente nur unzureichend entwickeln können. Diese Chancenungerechtigkeit begleitet das gegliederte Schulwesen, solange es besteht. Hier sind dringend weitere Strukturreformen vonnöten.

 

Viele Lehrkräfte beklagen die hohen Belastungen durch immer neue unausgegorene Reformvorgaben. Was raten Sie denen?

 

Klippert: Die einzelne Lehrperson kann natürlich wenig tun, wohl aber die Schulgemeinschaft als Ganzes.

Wichtig ist, dass die traditionelle Einzelkämpfer-Mentalität überwunden und eine konzertierte Reformarbeit gesichert wird. Gemeinsame Fortbildungsbesuche, gemeinsame Workshops mit partieller Unterrichtsbefreiung, konsequente Arbeitsteilung, elektronische Material- und Stundenarchivierung, schulinterne Hospitationsveranstaltungen und Pädagogische Tage, vertrauensbildende Elternarbeit - das alles trägt dazu bei, dass die individuelle Belastung der engagierten Lehrkräfte minimiert wird. Diese Kooperationskultur fehlt bislang in vielen Schulen. Von daher wäre es gut, wenn Bildungspolitik, Schulverwaltungen und Schulleitungen kooperationsfördernde Rahmenbedingungen schaffen und entsprechende Impulse setzen würden.

 

Stichwort Lehrerbildung. Ist die Reform der Lehreraus- und-fortbildung ein Schlüssel zu mehr Reformerfolg oder nicht?

 

Klippert: Die Lehrerbildung wird in der Tat als Innovationstreiber gebraucht. In meinen bisherigen Ausführungen habe ich mehrfach anklingen lassen, dass innovationszentrierte Qualifizierungsmaßnahmen auf allen Ebenen erforderlich sind. Das beginnt bei der Strategie – und Maßnahmenerklärung auf der Ebene der Schulverwaltung und reicht über die pointierte Qualifizierung der Schulleiter*innen in Sachen schulinternes Innovationsmanagement bis hin zur systematischen, reformstützenden Lehrerqualifizierung in den Universitäten, Studienseminaren und Fortbildungsinstituten. Dieser praktische Reformbezug fehlt bislang meist.

 

Was macht das Ausland besser? Welche Impulse lassen sich von dort für die deutschen Reformverantwortlichen ableiten?

 

Klippert: Von einigen OECD-Ländern lässt sich fraglos manches lernen. Dazu gehören an vorderster Stelle die skandinavischen Länder, aber auch Kanada, Australien und einige asiatische Nationen. In allen diesen Ländern gibt es eine bildungspolitische Zentralgewalt, die den Schulreformen klare Konturen verleiht. Bildungsföderalismus fehlt. Schulreformen werden generalstabsmäßig geplant, finanziert und unterstützt. Das gilt für die Unterrichtsentwicklung wie die Schülerintegration, für die Lehrerrekrutierung wie die Schulgestaltung, für die Curricula wie die Lern- und Arbeitsmittel, für die Prüfungen wie die Lehrmittelbeschaffung, für die Lehrerbildung wie die Lehrerbesoldung, für die Bildungsetats wie die Schulgesetze. Diese Reformarbeit „aus einem Guss“ fehlt in Deutschland in hohem Maße, da ihr die erwähnten föderalen Zentrifugalkräfte entgegenstehen.

 

Wie schätzen Sie die durch Corona ausgelöste Innovationsdynamik ein; Sind Homeschooling und E-Learning wirksame Reformtreiber?

 

Klippert: Für das E-Learning gilt das sicherlich. Zwar ist die digitale Ausstattung vieler Schulen nach wie vor ungenügend oder gar mangelhaft. Aber viele Lehrkräfte, Schulleiter*innen, Lehrerausbilder, Schulträger und Schulräte haben in der Corona-Zeit doch gemerkt, dass lehrerzentrierter Präsenzunterricht nicht alternativlos ist. Die informationstechnische Aufrüstung der Schulen ist auf jeden Fall in vollem Gange. Neue Computer, Whiteboards, Laptops, digitale Lernsoftware und Lernprogramme, Ausbau des W-Lan-Netzes, leistungsfähigere elektronische Kommunikationsplattformen stehen für vielversprechende Veränderungen und lösen bei zahlreichen Politikern irritierende Euphorie aus.

 

Was irritiert Sie daran? Ist das nicht ein Schritt hin zu mehr eigenverantwortlichem Lernen? Welche Bedenken haben Sie?

 

Klippert: Ich habe nichts gegen das digitale Lernen. Das Problem ist nur, dass diese technische Innovation in vielen Schulen ziemlich in der Luft hängt, da weder die Klassenraumgestaltung, Klassengröße, Geräteausstattung und Gerätewartung noch die Curricula sowie die Qualifikationen und Einstellungen vieler Lehrkräfte und Schüler*innen damit Schritt halten. Vielerorts fehlt schlicht und einfach der pädagogische Unterbau. Von daher ist auf absehbare Zeit kaum zu erwarten, dass die digitale Revolution eine neue Lehr- und Lernkultur hervorbringt. Eher schon besteht die Gefahr, dass Lehrkräfte die digitalen Instrumente zum Anlass nehmen, um den herkömmlichen Frontalunterricht zu perfektionieren und das mediale Entertainment der Schüler*innen weiter voranzutreiben.

 

Vielen Dank für das Gespräch

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
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