bbz 10 / 2019
Eigentlich sollte es um Studierende gehen ...
Von einer echten Beteiligung der Studierenden ist die Berliner Hochschulpolitik weit entfernt. Dabei wäre die Stimme der größten Statusgruppe dringend nötig für die Novellierung des Hochschulgesetzes
Auf den ersten Blick wirkt es trocken, langweilig, weit weg vom Alltag der Studierenden. Doch das Berliner Hochschulgesetz (BerlHG) regelt die Rahmenbedingungen eines Hochschulstudiums in Berlin. Nun soll es erneuert werden. Die rot-rot-grüne Koalition hat sich bereits gefeiert für ihr Eckpunktepapier, das sie gerade vorgestellt hat. Ziel der Novellierung soll sein, dass Berlin Vorbild für die anderen Bundesländer wird. Dafür müsste die Koalition aber den Willen haben, wirklich etwas zu verändern. Rot-Rot-Grün sollte mehr auf die hören, die wieder die stillen Verlierer*innen dieses Eckpunktepapiers sind: die Studierenden.
Studierende investieren viel Zeit und viel Geld in ihr Studium, das sie entweder berufsqualifizierend ausbilden oder den Grundstein für einen Weg in die Forschung liefern soll. Niedergeschrieben ist dies in Paragraph 4, Aufgaben der Hochschulen: »(1) Die Hochschulen dienen der Pflege und Entwicklung von Wissenschaft und Kunst durch Forschung, Lehre und Studium und der Vorbereitung auf berufliche Tätigkeiten. Sie wirken dabei an der Erhaltung des demokratischen und sozialen Rechtsstaates mit und tragen zur Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen bei. (2) Die Hochschulen tragen mit ihrer Forschung und Lehre zum Erhalt und zur Verbesserung menschlicher Lebens- und Umweltbedingungen bei. Sie setzen sich im Bewusstsein ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt mit den möglichen Folgen einer Nutzung ihrer Forschungsergebnisse auseinander.«
Orientieren wir uns an dieser Aufgabe, betrachten den Verlauf der Novellierung und suchen vorbildliche Lösungsvorschläge.
Eine Universität ist kein Großkonzern
Vorbildlich war der Versuch der Koalition, in vier öffentlichen Sitzungen alle Statusgruppen einzuladen, um über Änderungsvorschläge zu diskutieren. Im fünften Termin trug die Koalition ihre Ansichten in ihrem Eckpunktepapier vor. Doch demokratische Beteiligung misst sich nicht daran, alle anzuhören, sondern zuerst die Kritik zu differenzieren. Zwischen denen, die ihren Status erhalten wollen und denen, die produktiv Verbesserungen erarbeiten wollen. Im zweiten Schritt muss die Umsetzung der Vorschläge kommen.
Nicht vorbildlich war der viel zu kurze Fokus auf die Lehr- und Studienbedingungen. Teilweise hatten die Runden erheiternde Züge. Wenn der Kanzler der TU Berlin äußert, dass eine Universität davon lebt, sich ständig zu erneuern und damit eine Dauerbeschäftigung in der Lehre und Forschung und damit eine gute Qualität in der Lehre verhindern will, bestätigt sich der Eindruck, dass Hochschulleitungen morgens beim Betreten der Gebäude längst vergessen haben, dass dies eine Hochschule und kein forschender Großkonzern ist. Es grenzt an Ironie, dass die Kanzler*innen für sich selbst dann doch gerne eine unbefristete Anstellung haben wollen.
Kein Konzern würde sein bestes Kapital, das Wissen seiner Mitarbeiter*innen in der Forschung und Lehre, in das viel Geld investiert wurde, nach ein paar Jahren ziehen lassen, um sich zu erneuern. Die Lehre scheint lästiges Beiwerk zu sein. Immer diese vielen Studierenden auf dem Campus. Die Politik macht munter mit, indem der zuständige Staatssekretär Krach sich ausgewogen feiernd über den Exzellenzstatus der Berliner Universitäten zeigt, aber keine demokratische Hochschule anstrebt, in der endlich mal die befragt werden, um deren Ausbildung es dort ursprünglich mal ging. Das sind die Studierenden, Promovierenden und Habilitierenden.
Das Fehlen der Studierenden hat Gründe
Aus dem Ablauf der Diskussionen wurde als erstes ersichtlich, dass im Verhältnis der 190.000 Studierenden in Berlin zu den anderen Hochschulangehörigen viel zu wenig Studierende anwesend waren. Überrepräsentiert waren die Hochschulleitungen. Nur warum kommen viele Studierende nicht?
Mittlerweile arbeiten zwei Drittel aller Studierenden, um sich ihr Hochschulstudium zu finanzieren. Während unsere Eltern sich noch mit gelegentlichem Jobben in den Semesterferien über das Jahr finanzieren konnten, arbeiten die meisten von uns heute studienbegleitend. Die durchschnittliche Zeit, die Studierende brauchen, um ihr Studium abzuschließen, hat sich seit der Bachelor-/Masterreform verlängert. Die Studiengänge sind von ihren Verlaufsplänen völlig überfrachtet und die Umrechnung des Zeitaufwandes für eine Vorlesung inklusive Vor- und Nachbearbeitungszeiten in Leistungspunkte ist in vielen Kursen völlig unrealistisch. Keine gute Ausgangslage sich irgendwo in seiner wenigen Freizeit noch ehrenamtlich für etwas zu engagieren. Und wenn fällt die Wahl nicht unbedingt auf Hochschulpolitik. Die ist unattraktiv, da dort trotz Engagement nicht der Eindruck entsteht, irgendetwas Entscheidendes mitgestalten zu können. Beschlüsse der Studierendenparlamente werden regelmäßig übergangen. An diesen zwei limitierten Faktoren der Zeit durch bessere Studienbedingungen und der Möglichkeit für demokratischen Mitbestimmung muss etwas verändert werden, wenn eine Hochschule wieder als Vorbild für die Gesellschaft dienen soll.
Inhaltlich spiegelt sich dies in der diskutierten Frage wider, wie denn die Wahlbeteiligung von Studierenden erhöht werden könnte. Wenn diese ansteigen soll, müssen einige Punkte geändert werden. Erstens Aufklärung. Zweitens Rahmenbedingungen für Beteiligung schaffen. Drittens Beteiligung muss etwas verändern können.
Demokratie lebt von ihrer Vielfalt, bringen wir sie in die Hochschulen. An einer politischen Diskussion können sich immer nur die beteiligen, die darüber informiert sind. Die Hochschulen haben einen Bildungsauftrag und dazu gehört gerade in diesen Zeiten, ihre Studierenden aufzuklären, für Themen zu sensibilisieren, insbesondere demokratische Struktu-ren zu etablieren und auch über diese aufzuklären.
Beteiligung muss etwas bewirken
Führen wir ihn ein, den Pflichtkurs »How to study«. Wie kann ich studieren? Erklären Serviceangebote der Universität. Benennen Anlaufstellen, wenn Probleme auftreten. Wie funktioniert die akademische Selbstverwaltung? Schaffen wir Raum für eine Diskussion, welche Entscheidungen an der Hochschule anstehen. Wie kann sich eingebracht werden? Öffnen wir durch die Diskussion auf dem Campus die Teilhabe und schaffen die Rahmenbedingungen, dass sich jede*r Studierende daran beteiligen kann, erkennen endlich dieses Engagement an und vergeben dafür Leistungspunkte. Flexible Lösungen. Anrechnung und Erhöhung des Sitzungsgelds. Denn eine Gremien-sitzung muss vorbereitet werden. Durch Gespräche mit der eigenen Statusgruppe und anderen.
Des Weiteren ist es Aufgabe der Politik und der Hochschulen, das Gewicht und die Wertigkeit hochschulpolitischen Engagements (sollte eigentlich ausgeweitet werden auf soziales, gesellschaftliche Engagement) zu erhöhen. Durch dieses über den Tellerrand hinausgehende Engagement werden wichtige berufsqualifizierende Fähigkeiten erworben. Den Grundstein für selbstständiges Arbeiten und Forschen lernt sich durch die Übernahme von Verantwortung für eine Sache. Deshalb ist es nicht nur für den Ausgleich des Aufwandes wichtig, sich flexibel sein Engagement in Leistungspunkten anrechnen lassen zu können, sondern auch eine Anerkennung, das Engagement eine gewünschte gesamtgesellschaftliche Qualifikation ist. Der entscheidende Punkt bleibt aber, dass eine Beteiligung auch die Möglichkeit haben muss, etwas zu verändern. Studierende sind in allen Gremien, obwohl sie die größte Statusgruppe an den Hochschulen darstellen, chronisch unterrepräsentiert. Da ist auch die geplante Änderung, die Entscheidungen der Kommission für Lehre und Studium, in der Studierende die Mehrheit haben, als bindend zu etablieren ein Tropfen auf den heißen Stein.
Die akademische Selbstverwaltung muss in ihrer Verteilung der Plätze in den Gremien endlich demokratisch werden. Hochschulleitungen mit ihren Präsidien und Professor*innen können nicht die Befugnis haben, die ganzen Entscheidungen zu treffen. Eine Hochschule hat einen Bildungsauftrag, womit viele Entscheidungen in der akademischen Selbstverwaltung einen Einfluss auf die Lehrqualität und Ausrichtung der Ausbildung der Studierenden haben. Das Ziel der Viertelparität in allen Gremien muss endlich umgesetzt werden. Dies beschneidet nicht »die Freiheit der Forschung oder Lehre", sondern setzt einen Qualitätsstandard in der Umsetzung, Vermittlung von Lehrinhalten und in der Betreuung von Studierenden und Promovierenden. Hochschulautonomie hin oder her. Der Senat finanziert die Hochschulen und kann sowohl in den Hochschulverträgen festlegen, wofür das Geld ausgegeben wird, als auch eine Kontrolle einrichten, dass die Angaben des Senats umgesetzt werden. Das beschneidet nicht die Freiheit der Forschung und Lehre, sondern garantiert, dass das Geld in der Lehre und Forschung ankommt. Verbessern wir die Betreuung und schaffen Dauerstellen in der Lehre und Forschung.
Eine bessere Betreuungsrate in der Lehre erhöht die Qualität der Ausbildung. Weiterhin müssen Fehler aus der Bachelor- / Mastereinführung endlich kor-rigiert werden. Die Regelstudienzeit sollte gewährleisten, dass Hochschulen in dieser Zeit die Veranstaltungen anbieten und Studierende die Möglichkeit haben, ihr Hochschulstudium zu absolvieren. Die häufig willkürliche Verteilung in der Gewichtung der Leistungspunkte bestimmt die Wahl eines Faches und nicht das Interesse. Eine Erhöhung des flexiblen Wahlbereiches im Studium ergibt nur Sinn, wenn die tatsächlich aufgewendeten Zeiten für eine Studienleistung die Höhe der Leistungspunkte bestimmt.
Über zwei Drittel brauchen länger als die Regelstudienzeit
Die Politik strebt einen höheren Akademisierungsgrad an. Dieser führt zu einer heterogeneren Studierendenschaft und somit zu einer größeren Varianz der Studienleistungen. An der Regelstudienzeit hängt für viele die Finanzierung ihres Studiums. Aus einer kleinen Anfrage der CDU wird ersichtlich, dass über 66 Prozent der Studierenden zwei bis drei Semester mehr als die Regelstudienzeit brauchen, um ihr Studium abzuschließen. Kann da von Einzelfällen gesprochen werden? Nein, es muss nachreguliert werden. An die Realität von Studierenden. Bei rückläufigen Bafögantragszahlen steigt der Anteil an Studierenden, die für die Finanzierung ihres Studiums zusätzlich arbeiten müssen.
Hochschulen müssen dazu verpflichtet werden, ihre Studienverlaufspläne so anzupassen, dass es realistisch ist, dies in der angegebenen Zeit auch zu tun. Eine ständige Überlastung mit Studieninhalten hat zur Folge, dass die Hochschulen ihrer Verpflichtung, Studierende auf berufliche Tätigkeiten vorzubereiten, nicht nachkom-men, wenn kein Platz mehr für ehrenamtliches Engagement und Persönlichkeitsentwicklung bleibt. Das System ist verschult, selbstständiges Arbeiten zu erlernen, ist so nicht mehr möglich. Diese Fähigkeiten werden aber sowohl für den Berufseinstieg in als auch außerhalb der Forschung benötigt. Wie war das noch mit den Aufgaben der Hochschulen? »Hochschulen dienen der Pflege und Entwicklung von Wissenschaft und Kunst durch Forschung, Lehre und Studium und der Vorbereitung auf berufliche Tätigkeiten.« Und wenn die Hochschulen uns Studierende zur »Erhaltung des demokratischen und sozialen Rechtsstaates« ausbilden sollen, damit wir an der »Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen« teilnehmen, dann brauchen wir die Möglichkeit zur Qualifikation über den Tellerrand und den Platz und die Zeit, zu lernen, wie Dinge kritisch hinterfragt werden. Anregungen von uns Studierenden müssen gehört und übernommen werden.