bbz 11 / 2015
Eine Gipfelbilanz aus hochschulpolitischer Sicht
Vor sieben Jahren rief Bundeskanzlerin Angela Merkel die Bildungsrepublik aus. Das deutsche Bildungssystem sollte bis 2015 durch Chancengerechtigkeit, individuelle Förderung und Leistungsorientierung gekennzeichnet sein. Was ist daraus geworden?
Unter dem Titel »Aufstieg durch Bildung« verabredeten Bund und Länder im Jahr 2008 ein umfangreiches Bündel an bildungspolitischen Maßnahmen und Zielen, um allen einen »bestmöglichen Start ins Leben und Aufstieg durch Bildung [zu] ermöglichen«. Das deutsche Bildungssystem sollte durch Chancengerechtigkeit, individuelle Förderung und Leistungsorientierung gekennzeichnet sein. An den Universitäten und Fachhochschulen wollen Bund und Länder dies durch die Erfüllung zweier Zielsetzungen bis Ende 2015 erreichen: Die StudienanfängerInnennquote sollte auf 40 Prozent eines Altersjahrgangs gesteigert und die öffentlichen und privaten Ausgaben für Bildung auf sieben Prozent sowie für Forschung auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erhöht werden.
Das Ziel, die StudienanfängerInnenquote zu steigern, kann als erfüllt angesehen werden. Zwischen 2008 und 2013 ist diese von 33,2 Prozent auf 48,8 Prozent eines Altersjahrganges angestiegen. Berücksichtigt werden muss allerdings, dass in dieser Quote die doppelten Abiturjahrgänge, die aus der Einführung von Klassen mit einer verkürzten Sekundarstufe resultieren, eingerechnet sind. Wie stark diese die StudienanfängerInnenquote verzerren, ist nicht bekannt. Im Jahr 2013 erwarben in Nordrhein-Westfalen und Hessen die ersten doppelten Abiturjahrgänge ihre Allgemeine Hochschulreife.
Für die Ausgaben für Bildung und Forschung ergibt sich ein negatives Bild: Sie sind zwischen 2008 und 2012 lediglich um 0,4 auf 9 Prozent des BIP gewachsen. Ein Rückgang um 0,1 Prozent gegenüber 2011. Um das Zehn-Prozent-Ziel zu erreichen, hätten 2012 mehr als 27,5 Milliarden Euro zusätzlich für Bildung und Forschung verausgabt werden müssen. Ein derartiger Anstieg ist auch in den Folgejahren bisher nicht zu beobachten gewesen.
Eine negative Entwicklung lässt sich eben-so für die Grundmittel der Hochschulen in Trägerschaft der Länder beobachten. Zwischen 2008 und 2012 sind diese zwar von 14,4 auf 17 Milliarden Euro angewachsen, ihr Anstieg von rund 18 Prozent bleibt jedoch hinter dem der Studierendenzahlen von 23,4 Prozent zurück. Die pro Studierenden verfügbaren Grundmittel sanken von 7.667 auf 7.333 Euro.
Soziale Selektion weiterhin hoch
Eine steigende StudienanfängerInnenquote wird für Deutschland als ein Indikator für mehr Chancengerechtigkeit interpretiert, weil der Zugang zu einem Studium in kaum einem anderen Industrieland in so hohem Maße von der sozio-ökonomischen Herkunft abhängig ist. Ebenso ist die Studierendenquote insgesamt im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich.
Die Daten aus der 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes zur Zusammensetzung der Studierendenschaft für die Jahre 2006 bis 2012 zeigen jedoch, das trotz steigender StudienanfängerInnenzahlen ihre Bildungsherkunft unverändert bleibt. Im Jahr 2012 stammte, wie sechs Jahre zuvor, die Hälfte der Studierenden aus AkademikerInnenhaushalten. Der Anteil der Kinder aus AkademikerInnenhaushalten, die ein Studium aufnahmen, stieg von 71 Prozent im Jahr 2007 auf 77 Prozent im Jahr 2009 an. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil der Kinder aus Nicht-AkademikerInnenhaushalten, die ein Studium aufnahmen, von 19 auf 23 Prozent. An der sozialen Selektion im deutschen Bildungssystem hat sich also trotz eines starken Anstieges der StudienanfängerInnenquote nicht viel verändert.
Bildungsausgaben unterdurchschnittlich
Ein Teil dieser Entwicklung lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Verfehlung des 10-Prozent-Ziels erklären. Denn für Deutschland gilt, ebenso wie im Falle der Studierendenquote, das sowohl die öffentlichen als auch die gesamten Bildungsausgaben im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich sind.
Eine Folge dieser geringen Bildungsausgaben ist die Unterfinanzierung des deutschen Hochschulsystems, wie sie beispielsweise vom Wissenschaftsrat im Jahr 2008 ermittelt wurde. Aufgrund der seitdem erfolgten Reduzierung der Grundmittel pro Studierenden hat sich die Finanzsituation der Hochschulen bis ins Jahr 2012 weiter verschlechtert. Dies gilt ebenso für die individuelle Förderung von Studierenden. Seit 2010 sind die BAföG-Höchstsätze und -Freibeträge nicht mehr erhöht worden. Die zum Wintersemester 2016 in Kraft tretende Erhöhung wird die zwischenzeitlich stattgefundene Preissteigerung nicht kompensieren. Als Folge ist die Zahl der BAföG-EmpfängerInnen in den Jahren 2013 und 2014 gesunken, trotz eines weiteren Anstiegs der Studierendenzahlen.
Schlechte Studienbedingungen und finanzielle Probleme sind zwei Hauptgründe für einen vorzeitigen Studienabbruch in Deutschland. Dies ergaben Studien des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW). Fast ein Drittel aller Studienabbrüche werden auf diese beiden Gründe zurückgeführt. Die eigene und familiäre finanzielle Situation ist zudem ein wichtiger Indikator für junge Menschen, sich für oder gegen ein Studium zu entscheiden, insbesondere wenn sie aus Nicht-AkademikerInnenhaushalten stammen.
Ziele verfehlt – verfehlte Ziele
Die Ziele des Qualifizierungsgipfels sowie deren Umsetzung haben nur wenige Impulse für mehr Bildungsbeteiligung und Aufstiegschancen gesetzt. Dies ist zum Ersten auf das Verfehlen des selbst gesteckten Ziels zur Steigerung der Bildungsausgaben zurückzuführen. Eine der Hauptursachen für die starke soziale Selektion im deutschen Bildungssystem, seine Unterfinanzierung, hätte verringert werden können. Zum Zweiten hat die ausschließliche Fokussierung auf die StudienanfängerInnenquote nicht zu ergänzenden Maßnahmen geführt, die Kindern aus Nicht-AkademikerInnenhaushalten zu einer verstärkten Aufnahme eines Studiums veranlassten. Die auf dem Bildungsgipfel vereinbarten Ziele und deren Umsetzung sind demnach nur bedingt geeignet allen einen »bestmöglichen Start ins Leben und Aufstieg durch Bildung [zu] ermöglichen«.