Schulsozialarbeit mach stark
Einstieg mit Hindernissen
Verena Krajewski berichtet von ihren Erfahrungen, Schulsozialarbeit an einer Kreuzberger Grundschule aufzubauen.
Wie ist denn hier das WLAN-Passwort?«, fragt mein Kollege Matthijs. »Hier gibt's kein WLAN«, antworte ich. Er sieht mich ungläubig an. »Willkommen im Berliner Schulsystem«, sage ich grinsend, denn mein Kollege kommt aus den Niederlanden. Er lebt zwar schon einige Jahre hier, die Welt der Berliner Schulen ist für ihn jedoch Neuland.
Es gibt also kein WLAN. Es gibt auch keinen Raum für uns, kein Büro. Noch nicht. Was es gibt, sind zwei motivierte Sozialarbeiter*innen, ein engagiertes Kollegium, das uns offen und herzlich empfängt und eine Schulleiterin, die zwischen gefühlt stündlichen Corona-Updates und dem üblichen täglichen Schulalltagswahn jonglieren muss. Nebenbei gibt sie ihr Bestes, dass wir bald einen eigenen Arbeitsplatz bekommen.
Auf einmal ging es ganz schnell
Die Clara-Grunwald-Grundschule gehört zu den Schulen, die erfreulicherweise zum 1. August 2020 in das Landesprogramm »Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen« aufgenommen wurden. Hierfür hat die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Soziales und Familie die Finanzierung von 100 neuen Stellen bewilligt. Den Zuschlag für die Schule bekam das Evangelische Johannesstift Berlin, unser Arbeitgeber. Es setzt bereits die Schulsozialarbeit an den beiden benachbarten Grundschulen um und ist außerdem der Träger der Ergänzenden Förderung und Betreuung (Hort) »Bunte Wille«, der an die Schule angegliedert ist. Die Schulleiterin hatte sich schon lange Schulsozialarbeit gewünscht, da sie bereits gute Erfahrungen an ihrer ehemaligen Schule gemacht hatte. Ihrem Anliegen konnte jedoch bisher nicht gefolgt werden, weil die Clara-Grunwald-Grundschule strukturell die entsprechenden Kriterien nicht erfüllte. Nun ging es auf einmal aufgrund des Senatsbeschlusses ganz schnell und für alle Beteiligten sehr plötzlich. Die Bewerbungsgespräche fanden am Ende der Sommerferien statt. Eine volle Stelle wurde bewilligt und in zwei halbe geteilt, weil sich die Schule ein möglichst geschlechtergemischtes Team gewünscht hat. Nun stehen wir also hier, im Lehrer*innenzimmer: mein Kollege und ich. Die tatkräftige Hausmeisterin hat uns immerhin gleich ein eigenes Fach eingerichtet.
Die Schule leidet, wie fast alle Grundschulen in Berlin, nicht nur an einem Mangel männlicher Fachkräfte, sondern auch unter extremer Raumknappheit. Kein Wunder also, dass so kurzfristig keiner für uns zur Verfügung stehen kann. Ein eigener Raum ist aber Grundvoraussetzung für unsere Arbeit. Es wird also hin- und her überlegt, verschiedene Möglichkeiten abgewogen. Dann fällt die Entscheidung, dass die Früh- und Spätbetreuung aus ihrem Raum ins Hortgebäude umziehen muss. Das stößt bei den Mitarbeiter*innen des Hortes verständlicher Weise auf wenig Begeisterung, denn auch dort herrschen beengte Verhältnisse.
Bis der Umzug stattfinden kann, muss aber noch einiges organisiert werden. So lange teilen wir uns diesen Raum mit dem Hort, stundenweise, und sind ansonsten Nomaden. Wenn wir einen Computer und das Internet brauchen, sitzen wir entweder im ebenfalls beengten Lehrer*innenzimmer oder im Kopierraum. Unsere Leiterin betreut uns vom Hauptsitz des Johannesstiftes in Spandau aus, kommt aber regelmäßig in die Schule, dann suchen wir uns einen Platz für die Dienstbesprechung.
Erstes Ziel: Mit der Schule vertraut machen
Matthijs und ich sind neu in diesem Berufsfeld. Ich kenne immerhin die Schule, da ich hier früher als Tanzpädagogin und Choreografin Projekte mit Schulklassen durchgeführt habe. Wir betreten also gemeinsam neues Terrain. Für das Kollegium ist die Situation genauso neu und unbekannt wie für uns. Für so manchen wäre das nichts, der Sprung ins kalte Wasser. Wir sehen hierin jedoch gerade das Potenzial und den Vorteil, dass wir etwas neu gestalten und konzipieren können und sollen.
Grundsätzlich sind die drei Säulen der Schulsozialarbeit: Vernetzung intern und extern, Prävention und Krisenintervention. Diese Säulen geben ein grobes Gerüst vor. Wie es aber konkret bebaut wird, hängt vom jeweiligen Standort ab, denn jede Schule ist anders. Dafür werden zwischen Schulsozialarbeit und den Schulen zielgruppen- und bedarfsgerecht Arbeitsschwerpunkte festgelegt. Ziele und Aufgaben aus unserer Stellenbeschreibung lauten: Sozialpädagogische Hilfestellung und Angebote für Schüler*innen zur Überwindung sozialer Benachteiligung und individueller Beeinträchtigung; Koordination der Schnittstelle Familie – Schule – Jugendhilfe und Einzel- und Gruppenangebote für Schüler*innen. Die Programmagentur der Stiftung SPI (Sozialpädagogisches Institut Berlin »Walter May«) begleitet das Programm fachlich und inhaltlich und verwaltet den Einsatz der Fördermittel. Laut Vereinbarung zwischen SPI und Johannesstift ist das erste Entwicklungsziel, uns mit der Schule vertraut zu machen, die Bedarfe zu ermitteln und daraus ein Konzept für die Schule zu erarbeiten. Auch soll sichergestellt werden, dass alle Pädagog*innen, Eltern und Kinder unser Angebot kennen.
Wir beginnen damit, in anderen Schulen im Umkreis zu hospitieren, an denen Schulsozialarbeit bereits etabliert ist. Die Kolleg*innen stellen uns bereitwillig und großzügig ihre Arbeit vor und der Grundstein für zukünftigen Austausch und eventuelle Kooperationen wird gelegt. Zudem nehmen wir an Teamsitzungen der Lehrkräfte teil und bitten sie, uns ihre Wünsche, Bedarfe und Anregungen mitzuteilen. Beispielsweise berichten zwei Lehrer*innen, dass es beim Fußballspiel in den Hofpausen regelmäßig zu heftigen Konflikten kommt, die in den Unterricht getragen werden. Sie wünschen sich diesbezüglich Betreuung und Regeltraining. Es fallen weitere Stichworte wie Elternsprechstunde und Vernetzung mit Freizeitangeboten aus dem Kiez.
Matthijs und ich wollen durch aktive Präsenz möglichst viel Kontakt und schnell Zugang zu den Kindern bekommen. Wir erstellen also einen Pausenplan, den wir für alle groß und bunt sichtbar im Flur des Erdgeschosses aufhängen. Darauf wird jede Woche ein abwechselndes Sport- und Spielangebot für die Hofpausen angezeigt, wie zum Beispiel Montag Fußball, Dienstag Basketball, Tischtennis. Es wird von den Kindern gut angenommen.
Wir bieten Unterstützung für Kinder, Eltern und Pädagog*innen
Relativ schnell werden wir von Lehrer*innen akut zu Kriseninterventionen gerufen. Es gibt Konflikte zwischen Kindern verschiedener Klassen, Verdacht auf Mobbing und Ähnliches.
Wir erstellen ein erstes Konzept zum Thema Soziales Lernen und Sozialverhalten. In zwei klassenübergreifenden Gruppen lernen jeweils sechs Kinder auf spielerische Art zu kooperieren, respektvoll zu kommunizieren und sich an Regeln für ein angenehmes Miteinander zu halten.
Auch Sitzungen mit dem Schulpsychologischen und Inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentrum (SIBUZ) sind Teil unseres Aufgabenbereiches, bei denen die Unterstützung der Kinder mit Förderbedarf und Integrationsstatus besprochen werden. Wir nehmen außerdem an unserer ersten Schulhilfekonferenz teil. Es geht um ein Kind, das aus einem Schulersatzprojekt zurück in seine Stammschule reintegriert werden soll, und darum, welche Schritte der Unterstützung für Kind und Eltern notwendig sind.
Sowohl die Schulleiterin als auch unser Träger bieten uns die Möglichkeit, an Fortbildungen teilzunehmen. Das Angebot ist vielfältig: Anti-Mobbing-Programme, Gewaltprävention, Mediation und visuelle Kommunikation. Nachdem wir inzwischen den eigenen Raum beziehen konnten, werden wir unser Konzept ausarbeiten, uns bei Elternabenden vorstellen und Sprechstunden für Kinder, Pädagog*innen und Eltern einrichten. Es gibt viel zu tun und wir freuen uns, durchzustarten.