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Gewerkschaft

Emotionen als Triebkraft gesellschaftlichen Wandels

Erste Forschungsergebnisse zur AG Schwule Lehrer der GEW BERLIN offenbaren die bedeutende Rolle von Emotionen für politische Arbeit.

Im Forschungsprojekt »Menschenrechte, queere Geschlechter und Sexualitäten seit den 1970er Jahren« erforschen Merlin Sophie Bootsmann, Greta Hülsmann, Martin Lücke und Andrea Rottmann an der Freien Universität Berlin, wie LSBTIQ* (Lesben, Schwule, bisexuelle, trans*, inter* und queere Menschen) zu ihrer Geltung und ihren Rechten kamen sowie welche Rolle dabei Menschenrechte spielten. Zu betonen ist dabei, dass Menschenrechte nicht nur eine soziale, sondern auch eine emotionale Praxis darstellen können. So argumentiert die Historikerin Lynn Hunt, dass Emotionen und insbesondere Empathie eine wichtige Rolle dabei spielten, Menschenrechte für politischen Wandel zu mobilisieren: Menschenrechte seien nur dann gefordert und durchgesetzt worden, wenn Mitgefühl und Mitleid für die betroffene Gruppe existierte oder hergestellt werden konnte.

 

Emotionale Appelleund strategische Ziele

 

Erste Ergebnisse der laufenden Forschung über die Schwulen Lehrer zeigen die enorme Rolle von Emotionen für ihre langjährige Geschichte. In aller gebotenen Kürze sollen hier nur zwei Beispiele erläutert werden: Die öffentlichen Appelle der Schwulen Lehrer an die Empathie der Mehrheitsgesellschaft einerseits und die enorme Bedeutung von interner Emotionsarbeit für die Gruppe andererseits.

Zunächst zu den öffentlichen Appellen an Empathie: Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre schilderte die damals junge Arbeitsgemeinschaft in verschiedenen Artikeln, Flyern und anderen Texten wiederholt Erfahrungen der Angst und Isolation von schwulen Lehrern, die aus Furcht vor Diskriminierung ihr Schwulsein versteckten. Das beste Beispiel für die öffentliche Thematisierung dieser Erfahrungen von Angst stellte der im Juli 1978 in der Berliner Lehrerzeitung erschienene Artikel »Die angst des schwulen lehrers im dienst oder das tabu homosexualität im erziehungswesen« [sic] von Karl Dörnhöfer, Jakob Hempel und Detlef Mücke dar. In diesem zielten emotionale Schilderungen darauf ab, zum einen Mitleid hervorzurufen und zum anderen durch einen Appell an die Empathie der Leser*innen bildungspolitische Forderungen notwendig erscheinen zu lassen.

Offensichtlich handelte es sich dabei um eine bewusste Kommunikationsstrategie, denn in Auseinandersetzung mit der Senatsbildungsverwaltung traten die Schwulen Lehrer deutlich selbstbewusster auf und einige Mitglieder kritisierten, dass der Artikel dazu ermutige, die »armen Schwulen« zu bemitleiden. Dieser Konflikt verdeutlicht die Uneinigkeit der Schwulen Lehrer darüber, wie Emotionen für eigene Ziele genutzt werden sollten: War es sinnvoller, Forderungen aus einer Position der Stärke einer »erstarkenden Schwulenbewegung« oder der »Schwäche« von Diskriminierungserfahrungen zu erheben?

 

Emotionsarbeit als Bindeglied

 

Interne Emotionsarbeit steht gleich zu Beginn des Engagements der Schwulen Lehrer. Ihre Angst vor fortgesetzter Marginalisierung und Diskriminierung gab 1978 den Impuls für die Gründung der Arbeitsgemeinschaft. Darüber hinaus hatte die Verarbeitung von Angst innerhalb der AG Schwule Lehrer weit über die Gründungsjahre hinaus einen gruppenbildenden und -bindenden Effekt. Das belegen die Programme der ab 1980 jährlich bundesweit stattfindenden Pfingsttreffen schwuler Lehrer, in denen stets emotionale Arbeit gemacht wurde, zum Beispiel durch »Erfahrungsaustausch und Verhaltensmöglichkeiten, unsere Ängste zu überwinden«.

Die unterschiedliche Nutzung und Bedeutung von Emotionen sowohl innerhalb der Gemeinschaftsstrukturen für Emotionsarbeit als auch in der öffentlichkeitswirksamen Arbeit der Arbeitsgemeinschaft zeigt, dass die Schwulen Lehrer ohne ihre Angst, ihre Nutzung derselben und ihre diesbezügliche Emotionsarbeit nicht auf eine inzwischen über 40-jährige Geschichte zurückblicken könnten.

 

Link zum Blog »History | Sexuality | Law«: hsl.hypotheses.org

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46