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Tendenzen

Es geht nicht nur um Sprache

Die Debatte ums Gendern polarisiert immer wieder. Unsere Autorin erklärt, warum ein Blick nur auf die Grammatik zu kurz greift und appelliert insbesondere an Padägog*innen, sich mit gendersensibler Sprache auseinanderzusetzen.

Foto: Adobe Stock

Es gibt Themen, die oft so emotional diskutiert werden, dass ein sachlicher und konstruktiver Austausch kaum möglich ist. Es geht um bedrohte Weltbilder, Machthierarchien, Kontrollverlust, Unsicherheit, richtig und falsch, Angst und Schuld. Genderneutrale Sprache ist so ein Thema. Als Lehrerin an einem allgemeinbildenden Gymnasium bin ich Bemerkungen von (meist männlichen) Kollegen begegnet, die nicht viel hoffen lassen für die vom Bildungsplan geforderte »Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt«. Gendern führe zu Sprachverfall, sei eine Vergewaltigung der deutschen Sprache und aus sprachwissenschaftlicher Perspektive absolut nicht vertretbar. Wörter wie zum Beispiel »Lehrerinnenschaft« seien keine deutschen Wörter, »Auto« oder »Zahnbürste« könne man doch auch nicht gendern und überhaupt kann doch nur gelten, was der Duden sagt. Solche Absolutheiten machen es schwierig, auf einer sachlichen Ebene Gegenargumente anzubringen.

Ein Versuch: Ein Großteil der Sprachwissenschaftler*innen ist sich einig, dass Sprache Wirklichkeit schafft. Genauer: Sprache hat einen Einfluss darauf, was wir uns vorstellen können und was wir für normal halten. Im Umkehrschluss zeigen sich in Sprache die Machtverhältnisse unserer Gesellschaft dergestalt, dass leider lange Zeit und auch aktuell noch Frauen sowie insbesondere geschlechtlich nicht-binäre Menschen sprachlich diskriminiert werden. Gendern versucht, dem entgegenzuwirken und es ist wichtig zu verstehen, dass es bei gendergerechtem Sprachgebrauch nicht nur um Mann und Frau geht, sondern um alle Menschen auf dem Geschlechtsspektrum (nicht-binär, genderqueer, divers). Um diese marginalisierten Personengruppen einzuschließen, ist es essenziell, ihnen sprachliche Repräsentation zuzusprechen, was einerseits durch einen Doppelpunkt (auch Sternchen oder Unterstrich), andererseits durch eine kleine gesprochene Pause manifestiert werden kann. Genderneutrale Sprache, also über Dekonstruktion und eine absichtliche Irritation des Lese- und Sprechflusses, die die Wahrnehmung verändert und so die Vorstellung einer binären Geschlechterwelt aufhebt und durch die Idee diverser Geschlechtsidentitäten ersetzt.

Duden positioniert sich pro Gendern

Natürlich ist es so, dass man nicht alles gendern kann. Schon alleine aus Gründen der Morphologie geht es bei Wörtern wie »Auto« oder »Zahnbürste« nicht. Gendergegner*innen betonen zudem gerne, dass es in der deutschen Sprache generell kein natürliches Geschlecht, sondern ein grammatisches Geschlecht gibt. Gendern sei also überflüssig, denn es bestehe keinerlei Zusammenhang zwischen biologischem Geschlecht und sprachlicher Form. Dies ist nicht richtig, da das Genus bei ganz vielen Personen- und Berufsbezeichnungen eben doch das tatsächliche Geschlecht repräsentiert. Man muss hier also klar differenzieren. Es ist doch gerade der Kern des Problems, dass hinter diesen Wörtern, im Gegensatz zu vielen anderen Wörtern, fühlende Menschen stehen, die sich durch einen Sprachgebrauch, in dem sie nicht mitgemeint sind, verletzt fühlen. Man kann der Praxis des Genderns vieles entgegensetzen, aber eine ausschließlich auf grammatische Logik basierende Argumentation gehört nicht dazu.

Das Wort »Lehrerinnenschaft« ist übrigens durchaus in der neuen Ausgabe des Dudens als eigenes Lexem enthalten und ich bin mir sicher, dass dies für andere unpersönliche Sammelnamen den Weg in Richtung gendergerechte Sprache ebnet. Die Neuauflage des Dudens im August 2020 bestätigt mich hier. Sie enthält erstmals eine Stellungnahme zu gendergerechter Sprache und zur Benutzung des Gendersternchens. Damit setzt der Duden als führende Sprachinstitution ein klares Zeichen pro Gendern und erkennt eine sprachliche Veränderung an, die sich seit Jahren in Medien, Behörden, Universitäten, gelegentlich auch in der Tagesschau beobachten lässt.

Denn letztlich ist Sprache ein lebendiger Organismus, der sich stetig ändert und neue Wörter (wie aktuell »queer« oder »gendern«) aufnimmt und ungebräuchliche Wörter (wie »honett« oder »Sperenzchen«) abstößt. Das finde auch ich als Sprachliebhaberin bisweilen traurig, jedoch ist dieser Wandel aus rein wissenschaftlicher Sicht im Grunde weder gut noch schlecht, sondern wird eher als ein dem Konstrukt Sprache inhärenter Motor verstanden. Sprache verändert sich, weil sich die Welt verändert. Das Wort »Flugscham« zum Beispiel gibt es erst, seit Fliegen in der Klimadebatte abgewertet wurde. Dieses Wort wurde nicht vom Duden erfunden, sondern wurde von Menschen in ihrer Alltagssprache benutzt. Sprachwandel funktioniert also überwiegend durch eine Anerkennung des Sprachgebrauchs der Mehrheit und selten durch Beschlüsse »von oben«.

Sprache beeinflusst das Denken

Es wurde zudem in unzähligen soziolinguistischen Studien bewiesen, dass das generische Maskulinum eine grammatische Fiktion ist. Trotz einer logischen Unabhängigkeit von Wörtern im generischen Maskulinum gibt es diese Unabhängigkeit empirisch nicht, denn es zeigte sich, dass bei Wörtern wie »Ärzte« und »Schüler« überwiegend an Männer gedacht wird. Und umgekehrt wurde deutlich, dass eine gendergerechte Ausdrucksweise die Wahrnehmung verändern kann und sich dadurch geschlechtstypische Normen untergraben lassen.

Alles spricht also dagegen, sich an »neuen« Wörtern aufzureiben und ihnen die Legitimität abzusprechen, weil sie nicht im Duden sind. Dies greift schlicht zu kurz, ist darüber hinaus kontraproduktiv und erkennt Sprache nicht als das an, was sie ist. Durch Gendern wird unsere Sprache nicht »vergewaltigt«. Eine Bezeichnung, die nicht nur inhaltlich falsch ist, sondern nebenbei auch sexualisierte Gewalt verharmlost und auch deshalb nicht als eine Metapher für Sprachwandel herhalten sollte. Durch Gendern ist unsere Sprache, ganz im Gegenteil, näher an der Realität und präziser! Es ist eine Veränderung unseres Sprachgebrauchs, die nichts kostet, niemandem schadet und viel verändert.

Ich bin der Ansicht, dass Bildungseinrichtungen mit der Zeit gehen und ein mehrheitsfähiges und inklusives Sprachverständnis vertreten sollten. Ich denke, die meisten Pädagog*innen stimmen mir zu, dass wir Kindern ein Weltbild vermitteln wollen, nach dem alle Menschen in unserer Gesellschaft gesehen und respektiert werden. Und Sprache ist ein ganz wichtiger Ansatzpunkt, wenn es darum geht, das Bewusstsein für alternative Geschlechtsidentitäten zu öffnen und Diversität zu fördern.

Fundierte Argumente fehlen

Es ist bezeichnend, dass genderkritische Kommentare in meinem Umfeld überwiegend von Männern kommen. Nach meiner Erfahrung ist das Level an mansplaining im Lehrberuf natürlicherweise schon recht hoch, deshalb sind männliche Kollegen und besonders die viel besungenen alten, weißen Cis-Männer unter ihnen ein häufiges Problem. Es verstärkt das Gefälle zwischen Jung und Alt sowie Mann und Frau/Flinta, das einem guten und »echten« Austausch in einem Kollegium sehr im Weg steht. Es scheuten leider selbst fachfremde Kollegen nicht davor zurück, mir, der Deutschlehrerin und ausgebildeten Linguistin mit Uni-Abschluss, die sich mit allen Facetten von Sprache befasst hat, mein eigenes Fach zu erklären. Es ist unter anderem das Fehlen von fundierten Argumenten, das in der Genderdebatte zur Emotionalität der Auseinandersetzungen beiträgt, weshalb es umso wichtiger ist, dieses Thema in allen Bildungskontexten voranzubringen. Dabei sind Diskussionen auf Augenhöhe, die Bereitschaft zuzuhören und eine Offenheit für andere Standpunkte als den eigenen essenziell.

Es wird in der Genderdebatte oft zu wenig hervorgehoben, dass es nicht um linguistische Rechthaberei geht. Es geht nicht nur um Sprache. Beim Gendern geht es eigentlich um den Umgang mit Menschen und um den Umgang mit sozialer Ungerechtigkeit, die in unserer Sprache leider noch zu oft gespiegelt und verstärkt wird. Ich möchte an alle Pädagog-*innen appellieren, die hier in einer besonderen Verantwortung stehen. Unser Job ist es nicht nur, die Welt in alle Bildungskontexte zu holen, sondern auch Veränderungen in dieser Welt anzuerkennen und ihnen Rechnung zu tragen.      

Mansplaining, deutsch »Herrklärung« bezeichnet die Verhaltensweise eines Mannes, der davon ausgeht, mehr zu wissen als sein (meist weibliches) Gegenüber.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46