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Schwerpunkt „Ukraine und Russland – Furchen eines Krieges“

Frauen im Widerstand gegen den Krieg

Trotz der Repressionen gegen die russische Antikriegsbewegung finden vor allem Frauen immer wieder neue Wege, sich für Frieden zu organisieren.

Foto: Telegramkanal von "DER WEG NACH HAUSE", T.ME/PYTY_DOMOY

In Russland verschärft sich die konservative Rhetorik in Bezug auf Geschlechterrollen: es gibt ein Verbot von »LGBTIQ+ Propaganda«, Einschränkungen des Rechts auf Abtreibung und einen Orden für Mütter von zehn oder mehr Kindern.

In den ersten Tagen nach der Invasion in die Ukraine entstand der »Feministische Antikriegs-Widerstand«. Er vereinte Tausende von Aktivist*innen in Dutzenden Städten und veranstaltete Aktionen, um auf die Ereignisse aufmerksam zu machen: das Niederlegen von Blumen an Denkmälern, Flashmobs als »Frauen in Schwarz«, Mahnwachen als Einzelpersonen, was die einzige legale Protestform in Russland ist, das Aufstellen von Kreuzen mit Namen der in Mariupol Getöteten, das Verteilen von Flugblättern. Heute wird die Bewegung vom Justizministerium als »ausländischer Agent« eingestuft, existiert aber weiter.

Aufgrund der Repressionen müssen Aktivist*innen neue Formen des Widerstands finden und erfinden. So gibt es geheime Treffen unter dem Vorwand, zu nähen oder einen Film zu schauen, Versammlungen vor politischen Gerichtsprozessen, Abende, an denen gemeinsam Briefe an politische Gefangene geschrieben werden, sowie psychologische Unterstützung für Aktivist*innen.

 

Breit getragen – feministisch ausgerichtet

 

Dies ist nicht die einzige Frauenbewegung, die sich gegen den Krieg wendet. Seit dem Afghanistankrieg 1979-89 gibt es ein Netzwerk von Komitees der Soldatenmütter. In ihrer jahrzehntelangen Arbeit haben die Komitees unterschiedliche Positionen vertreten. Einige haben sich konsequent gegen alle von Russland geführten Kriege ausgesprochen.

Die im Herbst 2022 angekündigte Mobilmachung hat im ganzen Land erneute Proteste ausgelöst, bei denen mehrheitlich Frauen inhaftiert wurden. In der ostsibirischen Stadt Jakutsk versammelten sich über 400 Frauen zu einer Antikriegskundgebung in Form des traditionellen jakutischen Tanzes. In Dagestan, einer der ärmsten Teilrepubliken der nationalen Minderheiten, war die Beteiligung der Frauen bemerkenswert.

Auf der Protestwelle wurde der »Rat der Ehefrauen und Mütter« ins Leben gerufen, deren Teilnehmer­*innen sich nicht direkt gegen den Krieg wandten, sondern die Achtung der Rechte der Wehrpflichtigen und Mobilisierten, den Austausch von Gefangenen und die Aufnahme von Friedensverhandlungen forderten. Auch diese Bewegung wurde als »ausländischer Agent« eingestuft, woraufhin sie aufhörte zu existieren.

 

Rückkehr nach Hause

 

Im November 2023 entstand eine weitere Frauenbewegung – »Der Weg nach Hause«, die die Rückkehr der Mobilisierten fordert. Diese scheinbar harmlose Forderung würde zu einer zweiten Mobilmachung führen, die aber von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird. Die Bewegung wird über einen Telegram-Kanal und ein Netzwerk lokaler Chats organisiert. Die Aktivist*innen haben versucht, Demonstrationen anzumelden, aber nirgendwo eine Genehmigung erhalten. Ihr Telegram-Kanal wurde mit dem Hinweis »Fälschung« versehen. Aber das hält sie nicht auf – sie organisieren weiter Mahnwachen und legen Blumen vor Denkmälern nieder. Ihr Erkennungszeichen sind weiße Kopfbedeckungen, die auf die argentinische Mütterbewegung verweisen. Eine Umfrage zeigt, dass bereits fast die Hälfte der Befragten die Bewegung unterstützt.

Insgesamt befürworten deutlich mehr Frauen als Männer Friedensverhandlungen. Dies lässt sich wahrscheinlich damit erklären, dass Frauen in der patriarchal geprägten russischen Gesellschaft den größten Teil der unbezahlten Sorgearbeit leisten und daher wissen, wie kostbar das menschliche Leben ist, das durch einen Krieg so leicht vernichtet werden kann.        

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46