Feministische Arbeitszeitpolitik
Inputs und Ergebnisse des Fachtags "Zeit zu leben - Zeit zu Arbeiten"
Im Mai veranstaltete die GEW BERLIN einen Fachtag unter dem Motto „Zeit zu leben – Zeit zu Arbeiten“.
Wir haben über Fragen von Arbeitszeit, Sorgearbeit und Zeitsouveränität diskutiert. Die GEW fordert eine feministische Arbeitszeitpolitik, in der die Zeitbedürfnisse und Lebensentwürfe von Beschäftigten wieder eine zentrale Rolle spielen.
Die Inputs und Ergebnisse des Fachtags sind hier dokumentiert:
Input Bärbel Lange: Vereinbarkeit aus gewerkschaftlicher Sicht
Mit dem Beschluss des GEW-Hauptvorstands vom 7./8.Mai 2021 „Zeit zu leben, Zeit zu arbeiten – Zeit, die unbezahlte und die bezahlte Sorgearbeit in den Blick zu nehmen“ thematisiert die GEW, „…wie gesellschaftliche Zeitstrukturen umgestaltet werden können und was der gewerkschaftliche Beitrag dazu ist. Es geht um die verschiedenen Lebensaufgaben, um die Umgestaltung des Verhältnisses von bezahlter und unbezahlter Arbeit, der Erwerbsarbeit und der Sorgearbeit und ihre Verteilung zwischen Männern und Frauen. Mit der Bezeichnung feministische Zeitpolitik wird dabei die Idee von einer Gesellschaft verbunden, in der alle Menschen frei von Stereotypen und Rollenzuschreibungen leben und sich entfalten können.Feministisch bedeutet nicht, dass sich das Papier auf Frauen bezieht, es ist vielmehr ein geschlechterübergreifendes Papier der gesamten Organisation GEW.“ (1)
Ein anderer Begriff von Arbeit und Familie
Zur Klärung, was feministische Zeitpolitik meint, gehört auch ein neuer, d.h. ein erweiterter Begriff von Arbeit.
ARBEIT ist mehr als die bezahlte Arbeit, die Erwerbsarbeit. ARBEIT ist auch die unbezahlte, im Haushalt und mehrheitlich von Frauen verrichtete Arbeit. Diese Arbeit hat den Charakter der unbezahlten Re-Produktion / Sorgearbeit. Ist sie doch zwingend nötig, um die Arbeit in der Produktion (nicht nur in der Waren herstellenden Industrie, sondern auch in der bezahlten Re-Produktion wie z.B. die der Krankenschwester, der Müllentsorgung) verrichten zu können. Ohne Arbeit in der menschlichen Re-Produktion / Sorgearbeit (auch Care-Arbeit genannt) kann es keine bezahlte Arbeit in der Produktion und der bezahlten Re-Produktion / Sorgearbeit geben; der Fortbestand der Gattung Mensch wäre nicht mehr gegeben.
Auch unser Verständnis von FAMILIE muss sich den veränderten Realitäten anpassen. Familie ist mehr als Vater, Mutter und Kind. Alle Geschlechter und alle Geschlechterkonstellationen, die zusammenleben und füreinander sorgen, können Familie sein. Ebenso braucht es Anpassungen aller Gesetze, die das Leben (in allen zeitlichen Phasen) in Familie betreffen.
„Gesellschaftliche Veränderungen wie die steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen* haben unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern – auf dem Arbeitsmarkt und in den Familien. Die Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit, die Bewertung der professionellen Sorgearbeit und der Bedarf an mehr Zeitsouveränität sind Eckpunkte, die gewerkschaftliche Zeitpolitik zusammenbringen muss.“ (2)
Weiterhin bestehende Defizite in der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern
Die aktuelle Erwerbsarbeit von Frauen liegt derzeit bei ca. 72% (mit deutlichen Unterschieden zwischen Ost und West).
- Gender care gap
(Lücke in der Zeitverwendung von Männern und Frauen für unbezahlte Hausarbeit, haushaltsnahe Arbeiten, ehrenamtliches Engagement und Kinderbetreuung) beträgt 52,4 Prozent. Dies entspricht einem Zeitaufwand von täglich einer Stunde und 27 Minuten mehr. (4)
- Gender pay gap
(Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern)
In Deutschland gibt es mit 18 Prozent einen großen Unterschied in den Bruttostundenverdiensten von Frauen und Männern. (5)
- Gender time gap
Frauen arbeiten pro Woche etwas über acht Stunden weniger als Männer im Rahmen ihres bezahlten Jobs. Sie arbeiten häufiger in Teilzeit, unterbrechen ihre Karriere öfter und stecken in Minijobs fest. (6)
- Gender pension gap
liegt in Deutschland im Jahr 2019 bei 49 Prozent.
Dies bedeutet, dass Frauen im Durchschnitt ein um 49 Prozent niedrigeres Alterssicherungseinkommen beziehen als Männer. Bei der Bestimmung des Gender Pension Gap werden alle drei Säulen der Alterssicherung berücksichtigt: die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) bzw. Beamtenversorgung (BV) sowie betriebliche Alterssicherung und private Alterssicherung. (7)
Die Folgen sind:
- Das traditionelle Geschlechterarrangement in der Arbeit (hier meine ich den erweiterten Arbeitsbegriff) besteht weiterhin.
- Die Teilhabe von Frauen in herausgehobenen Tätigkeiten, sei es in der Erwerbsarbeit, in der Politik, im Ehrenamt ist deutlich geringer als die der Männer.
- Die gesellschaftliche Wahrnehmung und Respektierung von Frauen und ihrem Können und Wirken ist niedrig.
- Und schließlich ist die finanzielle und soziale Absicherung der Frauen deutlich geringer als die der Männer.
Ein Frauenleben bedeutet: weniger Zeit für Erwerbsarbeit, Selbstsorge, Freizeit und gesellschaftliches Engagement, weniger Einkommen und weniger Altersabsicherung / Rente.
Alles hier Aufgezählte verstärkt sich noch einmal, wenn Frauen Mütter sind.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist kein individuelles Problem.
Es ist ein systemisches Problem. Daher können Alternativen zur aktuellen Situation auch nicht (dominierend) beim Individuum gesucht bzw. gefunden werden.
Das systemische Problem bedeutet:
In unserer Gesellschaft hat die Sphäre der Produktion das Primat vor der Sphäre der Re-Produktion, also der ganzen Arbeit, meist der unbezahlten Arbeit. Diese Reproduktion ist jedoch die menschliche Grundlage für jedes Leben und auch für die Arbeit.
In der Produktion zählt der Gewinn, von dem die Erwerbstätigen einen Teil abbekommen, ihren Lohn. Der andere Teil macht den Profit aus. Das ist das Grundprinzip der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Das ist der Gegensatz von Kapital und Arbeit. Marx nannte es den Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit.
Diese Sichtweise war in den vergangenen Jahrzehnten die Grundposition der deutschen Gewerkschaften. Wir sollten sie wieder deutlicher einnehmen.
Einst reichten die Löhne der Familienernährer für das Durchkommen der ganzen (Klein)Familie aus, die notwendige Reproduktionsarbeit der (überwiegend) Frauen war darin eingeschlossen. Mit dem Arbeitskräftebedarf (Wirtschaftswunder Deutschland) stieg die Erwerbstätigkeit der Frauen, es wurden Leichtlohngruppen eingeführt, es blieb (bis heute!) bei geringen Löhnen in der bezahlten care-Arbeit: z.B. Kindergärtnerin (heute Erzieherin), Grundschullehrerin, Krankenschwester, Arzthelferin.
Unübersehbar ist, wie insbesondere in den zurückliegenden Jahren die Schere zwischen bitterer Armut und perversem Reichtum auseinander geht.
Unter der SPD /GRÜNEN Bundesregierung wurden die Hartz-4- Gesetze beschlossen: Mini- und Midi-Jobs wurden eingeführt, das bedeutet: geringfügige Arbeitsverhältnisse und somit geringe Einkommen. Hier kommen sich Männer und Frauen näher! (Ironie)
Gewerkschaftliche Forderungen
Welche gewerkschaftlichen Forderungen (für den Organisationsbereich der GEW) gibt es bzw. werden / sollten diskutiert werden, damit den Frauen eine gleichberechtigte Teilnahme am Erwerbsleben möglich ist?
- Grundsätzliche (Erwerbs)Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich
- Tarifverträge müssen (geschlechter-)diskriminierungsfrei sein (keine Benachteiligung beim Stufenaufstieg nach längerer „Auszeit“)
- den Lebensphasen angepasste Arbeitszeitmodelle
- Arbeitszeit findet überwiegend am Arbeitsplatz statt.
- Ausbau von Ganztagsschulen (lehrmittelbefreit und elternbeitragsfreies Mittagsessen, inklusive Essensangebot für Personal)
- Garantierte, elternbeitragsfreie Kita (wohnortnah / am Arbeitsplatz)
- Elternzeit zeitlich verlängern, individuelle Teilung der Elternzeit
- Erhöhung des Elterngeldes
- Berücksichtigung aller Elternzeiten bei den Renten- / Pensionsansprüchen
- Verlängerung der Stillzeiten während der Arbeitszeit
- Ausweitung der Zeiten für Pflege /Betreuung ohne Lohn- / Gehaltseinbußen
- Abschaffung des Ehegattensplittings
- Alle erforderlichen Gesetze / Regelungen den „modernen“ Familienkonstellationen anpassen
- Teilzeitbeschäftigte erledigen alle ihre Aufgaben entsprechend im zeitlichen Maße ihrer individuellen Teilzeitquote, ein personeller Ausgleich wird gewährt.
- Bessere Bezahlung des „weiteren pädagogischen Personals“ (insbesondere Erzieherinnen und Grundschullehrerinnen
- Schulische Hierarchien werden flacher: Job-sharing in Schulleitung lässt Teilzeit ab 50% zu.
- Audit „Familienfreundliche Schule“
Zitate:
(1) Beschluss des GEW-Hauptvorstands vom 7./8.Mai 2021 „Zeit zu leben, Zeit zu arbeiten – Zeit, die unbezahlte und die bezahlte Sorgearbeit in den Blick zu nehmen“
(2) Ebenso
(3) WSI Report Nr.72, Februar 2022
(4) https://de.statista.com/infografik/24809/hoehe-des-gender-care-gaps-in-deutschland/
(5) https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/03/PD22_088_621.html
(6) https://www.was-verdient-die-frau.de/++co++df690ab0-99cb-11e5-9a23-52540023ef1a
Input Friederike Peiser: Vereinbarkeit: Was ist das eigentlich?
Das Wörterbuch, macht ein Versprechen, nämlich: dass „Vereinbarkeit die Möglichkeit ist, etwas mit etwas anderem in Übereinstimmung zu bringen“. Im Synonymwörterbuch steht unter vereinbar: verträglich, kombinierbar.
Die Bildersuche bei „Google“ stimmt etwas weniger optimistisch: Dort erscheinen Leute, die wackelig auf dem Drahtseil tanzen oder Frauen und Männer, die viele - mehr als zwei - Arme haben: in einem Arm ein Baby, in einem Staubsauger, Staubwedel, dann noch Akten, Laptop, lose Papiere usw.
Das Konzept hinter dem Begriff „Vereinbarkeit“ scheint also der genaueren Betrachtung wert zu sein.
In unserem Kontext beschreibt Vereinbarkeit das Aufteilen der Zeit in Zeit für den Beruf, Zeit für die Familie und für Freundschaften, Zeit für sich selbst, Zeit für Ehrenamt.
Als „Arbeit“ definieren wir davon in der Alltagssprache nur die bezahlte Zeit, also die Zeit, die wir für den Beruf aufwenden. Gesellschaftlich sind die unbezahlten Tätigkeiten im privaten Umfeld gesellschaftlich hoch angesehen und zwar zurecht: unsere Spezies ist auf gegenseitige Fürsorge existentiell angewiesen, besonders natürlich die sehr jungen und die sehr alten Menschen.
Aber gleichzeitig ist es für uns alle irgendwie selbstverständlich, dass diese Sorgearbeit nicht bezahlt wird: „Wow, wie schafft ihr das nur?“ Hören oft Menschen, die mehrere kleine Kinder haben, ob als Alleinerziehende, als bürgerliche -, oder Regenbogenfamilie oder in Patchwork-Konstellation. „Ich bewundere dich.“ Hören Berufstätige, die ihre lebensalte Tante zu Ärztinnen begleiten oder den alten Vater pflegen. „Wann machst du das denn alles? Also ich habe dafür keine Zeit.“ bekommen Menschen gesagt, die sich politisch engagieren und viel ihrer Zeit in Diskussionsveranstaltungen oder auf Demos verbringen.
Alle diese Tätigkeiten machen Arbeit, sie wird nur eben nicht entlohnt. Die nicht bezahlte Arbeit verschwindet so aus dem Bewusstsein, wird unreflektiert zur Freizeit gerechnet und bleibt damit unsichtbar.
In einer Welt, die kapitalistisch funktioniert und auf Profitmaximierung ausgelegt ist, ist es so, dass die Sorge um sich selbst und die Sorge um andere untergeordnete Interessen sind. Insofern werden wir vermutlich immer wieder an unsere Grenzen geraten, wenn wir unsere Zeit in Arbeitszeit und „Lebenszeit“ aufzuteilen versuchen.
Dies ist kein individuelles Versagen gegenüber den alltäglichen Herausforderungen, sondern der gesellschaftlichen Struktur geschuldet, die Sorgearbeit und das Ehrenamt als sozusagen kostenlosen Liebesdienst an der Gesellschaft ansieht und von der bezahlten Arbeit unterscheidet.
Bis hierhin war der Begriff von Vereinbarkeit noch unisex= kein Unterschied zwischen den Geschlechtern. Und in der Theorie ist dies auch fast so: Die Deutschen haben ein europaweit-vergleichsweise egalitäres Bild der Geschlechterrollen, wie eine Forsa Umfrage 2017 ergeben hat: Fast zwei Drittel der Deutschen widersprachen der Auffassung, dass es die wichtigste Aufgabe eines Mannes sei, Geld zu verdienen. Knapp drei Viertel der Deutschen lehnten die Aussage ab, dass es die wichtigste Aufgabe einer Frau sei, sich um Haushalt und Familie zu kümmern.
Aber in der Praxis sieht es anders aus: Wer leistet die unbezahlte Arbeit an Hausarbeit, Kindern und Ehrenamt? Frauen. Frauen leisten laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums von 2019 täglich 52% mehr unbezahlte Arbeit als Männer. Auch der deutlich höhere Anteil von Frauen in Teilzeitbeschäftigung ist Ausdruck von ungleich verteilter Sorgearbeit: Frauen reduzieren ihre bezahlte Arbeit, um die unbezahlte, die unsichtbare Arbeit zu leisten.
Die Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit ist also ein Gleichstellungsproblem.
Wenn da also so ein Gesetz daherkommt ein Landesgleichstellungsgesetz und von sich selbst behauptet die Gleichstellung zu wollen, sind die Erwartungen selbstverständlich hoch. Besonders die Erwartungen daran, was es für uns in puncto Vereinbarkeit bereithält:
Das Gesetz will Gleichstellung, da müssten doch eigentlich an den richtigen Schrauben gedreht werden:
- Eine Neudefinition des Begriffes von Arbeit, die sich nicht allein auf Lohnarbeit beschränkt?
- Eine grundsätzliche Verkürzung der Lohnarbeit?
- Lebensphasenorientierte Arbeitszeit?
- Oder wenigstens: Teilzeit bei vollem Lohnausgleich, solange intensive Pflegeaufgaben anstehen (bei sehr jungen oder sehr alten Angehörigen)?
Ich will euch nicht enttäuschen, das Landesgleichstellungsgesetz – kurz LGG genannt- Berliner Landesgesetzes ist ein eher kleiner Werkzeugkoffer, mit seinen eher kleinen Schraubenziehern und kann an den ganz großen Schrauben nicht drehen.
Aber das LGG ist ein kleines, feines Landesgesetz. Es gilt für den gesamten öffentlichen Dienst mit all seine vielfältigen Dienststellen. Das LGG verpflichtet die Einrichtungen Berlins zur Gleichstellung von Frauen und Männern und hat einen bunten Strauß an Werkzeugen, die es lohnt zu kennen.
Für heute will ich auf zwei zentrale Paragraphen eingehen, die die Vereinbarkeit berühren: Zunächst ist § 10 LGG entscheidend, denn hier werden Vorgaben zur Arbeitszeit und den Rahmenbedingungen gemacht.
Der erste Absatz schreibt fest, dass die Beschäftigten flexible, auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Arbeitszeiten sowie familienfreundliche Rahmenbedingungen berücksichtigt werden.
Die Ausführungsvorschriften des LGG präzisieren dies und nennen Beispiele für diese familienfreundlichen Arbeitszeiten und Rahmenbedingungen. Gehen wir bitte gemeinsam im Geiste genannten Beispiele für den Schulbereich durch:
- flexible Arbeitszeiten – Erzieher*innen nein, Lehrkräfte ja (Vor- Nachbereitung)
- langfristige Dienstplanungen – bei guter Schulleitung ja
- wohnortnaher Einsatz – mitunter, wobei Schulwechsel in Zeiten des Mangels an Fachpersonal zur Zeit sehr schwierig sind
- mobile Arbeit oder Telearbeit – nein
- Bereitstellen von Familienzimmern – nein.
Einige der hier genannten Vorgaben erscheinen für den Arbeitsort Schule sehr schwierig. Vielen anderen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes hingegen, die in anderen Bereichen arbeiten, wird mit diesen Vorgaben das Leben enorm erleichtert.
Noch eine Schwierigkeit für den Schulbereich zeigt der eigentlich gute dritte Absatz des §10 LGG auf: Auch Menschen mit Führungsaufgaben können in Teilzeit arbeiten. In der Theorie klingt das nach echter Gleichstellung, aber die Praxis zeigt, dass dies im Arbeitsort Schule von Personen mit Leitungsaufgaben nur sehr wenig in Anspruch genommen wird.
§ 10 LGG geht im 5. Absatz nochmal auf Teilzeit ein: Bei Teilzeitarbeit werden die Dienstaufgaben neu bemessen. Für die Arbeitszeit der Erzieher*innen ist dieser Paragraph recht eindeutig, ihr Erzieher*innen arbeitet die festgeschriebenen Zeiten, Streitpunkt ist hier die Anzahl der Stunden für mittelbare pädagogische Arbeit.
Aber für Lehrkräfte ist dieser Paragraph heiß umkämpft, für die tatsächliche Durchsetzung dieses Paragraphen setzen sich die Frauenvertreterinnen unermüdlich ein. Denn Lehrkräfte reduzieren bekanntlich für Teilzeit die Unterrichtsstunden. Alle die anderen Aufgaben, die die Tätigkeit noch mitbringt werden nicht automatisch mit verringert: das Sommerfest, das bis weit in den Nachmittag dauert, Bundesjugendspiele, die am eigentlich freien Tag stattfinden usw.
Da unser Arbeitgeber nicht die Absicht hat, die außerunterrichtlichen Aufgaben anderweitig zu kompensieren, müssen die Beschäftigten auf Gesamtkonferenzen darüber selbst entscheiden, welche Aufgaben ausgemistet werden (sehr wichtig!), welche behalten werden und welchen Anteil davon die Vollzeitkräfte und welche die Teilzeitkräfte übernehmen.
Aber nicht nur im LGG, sondern auch im Personalvertretungsgesetz geht es um Gleichstellung. Der Personalrat muss darüber wachen, dass die Chancengleichheit von Frauen und Männern herbeigeführt wird. Und auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist Thema des Personalrats, wenn seine Aufgabe darin besteht, über die Erstellung und Durchführung des Frauenförderplans zu wachen.
Es wäre für uns alle sehr spannend gewesen auf dem heutigen Fachtag zu erfahren, welches Handlungsfeld sich für den Personalrat ergibt und welche Rechte für die Beschäftigten aus Sicht des Personalvertretungsgesetzes erwachsen. Es hat sich leider kein Mitglied eines Personalrats gefunden, eine Eröffnungsrede zur „Vereinbarkeit“ zu halten.
Den Frauenförderplan habe ich eben schon angesprochen: Das LGG verlangt in seinem vierten Paragraphen, dass ein Frauenförderplan erstellt wird. Das Herzstück dieses Frauenförderplans sind die dort verankerten Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Diese Maßnahmen haben zwar keinen Gesetzesrang, sind aber verbindlich umzusetzen und es sind die die weitestreichenden Rechte für Beschäftigte. Denn hier im Frauenförderplan wird das komplexe Gleichstellungsgesetz auf konkrete Handlungsanweisungen auf den jeweiligen Bereich – hier Schulbereich - übertragen.
Anhand von zwei Beispielen will ich zeigen, wie durch die Maßnahmen des Frauenförderplan Vereinbarkeit erleichtert werden kann.
Hinter Maßnahme 5.1.1 verbirgt sich die Pflicht für Leitungskräfte mit den Beschäftigten Absprachen zu treffen, welche Bedarfe sie in Bezug auf ihre zu vereinbarenden Sorgeaufgaben haben, also zum Beispiel Kita-Öffnungszeiten. Diese Pflicht, Absprachen mit den Beschäftigten zu treffen, besteht unabhängig davon, ob Voll- oder Teilzeit gearbeitet wird, denn Vereinbarkeit muss für alle Beschäftigten möglich gemacht werden.
Die Maßnahme 5.1.4 des Frauenförderplans legt fest, dass bei unausweichlichen Engpässen Beschäftigte mit Sorgeaufgaben von Konferenzen freizustellen sind, eine Maßnahme, die nicht inflationär, aber doch zuweilen umgesetzt werden muss – gut, dass wir sie haben.
Heute feiern wir das 31jährige Bestehen des LGG und schauen, welche Rechte sich daraus für uns ergeben, wie wir sie durchsetzen und welche Schlüsse wir für unsere GEW Berlin daraus ziehen und heute Nachmittag gehen viele von uns wieder mit unseren sieben Armen, dem Staubsauger und den losen Blättern auf dem Drahtseil tanzen.
Input Carola von Baun: Warum eine enge Zusammenarbeit aller Frauenorganisationen Erfolg verspricht – auch für das LGG
1. Erlebnisse aus den 80er Jahren vor dem LGG
In den 1980er Jahren – ich war damals die erste Berliner Senatsfrauenbeauftragte - war die Forderung nach Einführung eines Landesgleichstellungsgesetzes zwar schon in der politischen Diskussion, aber noch In weiter Ferne.
In der breiteren Öffentlichkeit waren noch erhebliche Vorbehalte gegen jede Art von Frauenförderung zu hören, insbesondere in männlich dominierten Entscheidungsgremien. Zwei Beispiele aus dieser Zeit zeigen, wieviel Widerstände zB zwischen Wirtschaft, Arbeit und Verwaltung noch zu überwinden waren und dank beispielhafter Kooperation zwischen den Frauenorganisationen überwunden wurden.
Mitte bis Ende der 80er Jahre
Berlin und Hamburg waren zu der Zeit Zentren der Frauenbewegung in Deutschland.
Die politische Frauenszene in Berlin war besonders aktiv, aber tief zerstritten zwischen
„autonomer Frauenbewegung“, die sich staatskritisch verstand - und den sogenannten bürgerlichen Frauenorganisationen, die sich auf die Förderung von Bildung und rechtliche Gleichstellungsforderungen konzentrierten. Eine Kooperation wurde von beiden Seiten verweigert. Ein Phänomen, das in der Geschichte der gesamten deutschen Frauenbewegung seit 1848 immer wieder zu beobachten war.
Erstes Beispiel
Berlin, Mitte der 1980er Jahre: die Arbeitslosenzahl steigt, viele arbeitslose Berlinerinnen und Berliner brauchen ein Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebot. Der Senat entwickelt die umfangreiche „Qualifizierungsoffensive“, die stark nachgefragt wird. Aber unter den Fördervorschlägen gibt es keine Maßnahmen direkt für Frauen.
Nachdem sich zwischen vielen unterschiedlichen Frauenorganisationen ein anerkanntes überparteiliches Berliner Netzwerk entwickelt hatte, wird dort entschieden, sich gezielt mit Anträgen zur Frauenförderung zu bewerben. Die zuständige Senatsverwaltung für Wirtschaft unter Senator Pieroth signalisiert Interesse.
Ein Kreis von kompetenten Frauen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Frauenprojekten wird eingeladen, Ideen für gezielte Fördermaßnahmen für Frauen zu entwickeln. Innerhalb von kurzer Zeit entsteht ein umfangreiches qualifiziertes Paket von Anträgen.
Ergebnis: der Senat entscheidet sich, gezielt geeignete Maßnahmen für Frauen zu fördern, die konkreten Fördermaßnahmen werden befürwortet, damals ein absolutes Novum, das noch auf erhebliche Widerstände rechnen musste. Die gemeinsame Zielsetzung hatte Erfolg. Und: der Konflikt innerhalb der Frauenbewegung war nun deutlich vermindert.
Zweites Beispiel
Aber nun musste das gesamte Förderpaket noch vom fachlich zuständigen Berliner Landesausschuss für Bildung bewilligt werden, dem traditionsreiche Vertreter der
Arbeitgeber/Wirtschaft/Gewerkschaften angehörten. Die Befragung endete in einem Fiasko: die Unterstützung dieses wichtigen Gremiums blieb aus. Mit Argumenten, die die Aufgabe der Frauen doch mehr bei Haushalt und Kinderbetreuung sah. Zitat eines Teilnehmers:
„...... Meine Frau fühlt sich zu Hause sehr wohl.“ Es genügten wenige Anrufe im Berliner Frauennetzwerk; die offenbar einen Proteststurm bei den damaligen Ausschussmitgliedern auslösten.
Ergebnis: es wurde zu einer zweiten Anhörung im Landesausschuss eingeladen. Das Förderprogramm wurde nun einstimmig bewilligt. Wörtliches Zitat eines leitenden Ausschussmitgliedes: „Wir sind keine Chauvi`s!“
Fazit:
Die Frauenbewegung hatte damals ein gemeinsames Ziel und hatte damit Erfolg. Der Konflikt innerhalb der Frauenszene war nun Vergangenheit. Aber dieser Konflikt hat eine Geschichte.
2. Was uns die Geschichte der Deutschen Frauenbewegung sonst noch lehrt
Der Konflikt innerhalb der Frauenbewegung geht zurück bis in die Jahre um das Jahr 1848.
Versetzen Sie sich zurück in das Land Preußen, ein Agrarstaat, Anfang1831 von der Cholera-Epidemie heimgesucht, 1846 und 1847 schwere Missernten und Hungersnöte, mit überteuerten Lebensmitteln und Hungerrevolten in fast allen deutschen Ländern, mit Auswirkungen auf die Kaufkraft und damit auch auf das damalige Textilgewerbe, mit einem hohen Anteil von Frauenarbeit. In Berlin findet 1847 die sogenannte „Kartoffelrevolution“ statt, an der sich viele verarmte Handwerker und Landarbeiter beteiligten, vor allem aber Frauen – als Bäuerinnen, als Käuferinnen. Diese und die folgenden 1848er Aufstände werden niedergeschossen. Die Massenarbeitslosigkeit stieg, mit schrecklichen sogenannten Armenanstalten.
Das waren die Verhältnisse in den Jahren 1848 bis 1918. Ab 1851 entstanden die Volksküchenbewegung, die Volkskindergärten mit neuen Konzepten von Pestalozzi und Fröbel, von vielen Frauen unterstützt, vom Staat misstrauisch beobachtet. In jeder Veranstaltung von Frauenverbänden hörte mindestens ein Polizist mit, ob es sich dort etwa um staatsfeindliche Aktivitäten handelt. Zum ersten Mal taucht schon damals der berühmte Satz auf: „Das Private ist politisch“.
Der Einigungsdruck in der Frauenbewegung verstärkte sich durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches mit dem sogenannten Gehorsamsparagraphen, das Frauen rigoros der Entscheidungshoheit des Mannes unterstellte. Bis 1918 kämpften die Frauenverbände dagegen an. Unter schweren Bedingungen. Viele heute fast vergessene politische Vorkämpferinnen hatten darunter zu leiden. Aber diese Verfolgung wurde in einer Flut von Protestversammlungen von Frauen aus allen Lagern massiv kritisiert, was Wirkung zeigte.
Im Jahr 1918, nach Weltkriegsjahren und schweren Entbehrungen, ging plötzlich alles ganz schnell. Abdankung des Kaisers, Ausrufung der Republik, Einsetzung eines Rats der Volksbeauftragten, die die Einführung des Frauen-Wahlrechts beschließen, Wahlen festlegen. Am 19. Januar 1919 findet die Wahl zur Nationalversammlung statt, das Parlamentarische System hat sich durchgesetzt. Plötzlich entdecken auch die bürgerlichen Parteien, dass sie auf die Stimmen der Wählerinnen angewiesen sind.
Sie entschließen sich zur Aufnahme von Frauen.
Es gab auch ab 1948 jede Menge Anlässe, sich einzubringen. Denn der sog. „Gehorsamsparagraph“ des BGB bestand immer noch. In der verfassunggebenden Versammlung für das neue Grundgesetz der Bundesrepublik saßen 61 Männer und vier Frauen. Unter ihnen Elisabeth Selbert.
Sie fanden einen Verfassungsentwurf vor, der von ausschließlich Männern entworfen worden war und in dessen Gleichheitsartikel das Wort „Frau“ nicht vorkam. Elisabeth Selbert setzte sich dafür ein, den Artikel 3 zu ergänzen um den Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Der Antrag wird zuerst abgelehnt. Sie droht öffentlich, dass viele Frauen sich dafür einsetzen werden, dass die Verfassung diesen Zusatz erhält, und die Gefahr besteht, dass Frauen – die die Mehrheit der Wähler stellten – die Verfassung bei der ursprünglich geplanten Volksabstimmung ablehnen könnten. Sie reist von Versammlung zu Versammlung, waschkörbeweise treffen Protestbriefe ein. In der dann folgenden Sitzung des Hauptausschusses des Deutschen Bundestages wird dann am 18.Januar 1949 einstimmig auch dieser Zusatz beschlossen. Ohne diese entscheidende enge Zusammenarbeit der Frauenbewegung wäre das nicht möglich gewesen.
Aber der sog. Gehorsamsparagraph des BGB galt immer noch. Der § 1354 gestand den Frauen zwar die Geschäftsfähigkeit zu und das neue Grundgesetz verlangte, dass „sämtliche Bestimmungen und Verträge im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz zu überprüfen und zu verändern sind“ und setzte dafür eine Übergangsfrist bis März 1953. Aber erst in den 70er Jahren beschloss die sozialliberale Koalition endlich die Abschaffung dieses „Gehorsams-Paragraphen“, fast 80 Jahre nach der Einführung des BGB. Die DDR hatte das schon in den1950er Jahren beschlossen.
Weiteres Beispiel: als ich 1984 das Amt der Frauenbeauftragten übernahm, fand ich eine inhaltlich und politisch hochaktive aber zerstrittene Frauenszene vor. Die vorwiegend männliche konservative Juristenmehrheit vertrat bis dahin die Auffassung, dass der Staat keine Maßnahmen zum Nachteilsausgleich für Frauen vornehmen dürfe, denn „das diskriminiere Männer“, habe ich damals wörtlich zu hören bekommen. Es dauerte nochmal bis 1994 (!!!) - dank des Einsatzes vieler prominenter Juristinnen – bis endlich das Grundgesetz im Artikel 3 Absatz 2 erweitert wurde um folgenden Satz: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“. Erst dieser Halb-Satz öffnete die Türen für viele Maßnahmen, die davor undenkbar waren, 44 Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes.
Es gibt noch etliche weitere Beispiele dafür, wie stark die Vorbehalte gegen eine gezielte Frauenförderung in Wirtschaft und Arbeitswelt waren und wie sie überwunden wurden. Sie zeigen, wieviel Erfolg auch heute eine überparteiliche und interdisziplinäre Kooperation zwischen allen Seiten haben kann, wenn es um die Durchsetzung eines gemeinsamen übergeordneten Zieles geht, zum Beispiel bei der Weiterentwicklung des LGG.
Carola v. Braun
Sprecherin der Überparteilichen Fraueninitiative Berlin-Stadt der Frauen e.V.
10178 Berlin
E-Mail: friederike.peiser@senbjf.berlin.de
Telefon: 030/90227-6827
Telefax: 030/90227-6854