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Schulbau

Integration mal andersherum

Die Kniese-Schule in Lichtenberg hat sich vom Förderzentrum zur Gemeinschaftsschule entwickelt.

Die Schul-Aula der Kniese-Schule (Foto: Meuel/Will)

Den deutschen Schulpreis 2018 hat die Martinschule in Greifswald erhalten. Das allein ist für sich nicht sonderlich be­merkenswert, aber fast die Hälfte der 550 Schüler*innen werden dort sonderpädago­gisch betreut und trotzdem sind die Er­gebnisse der VERA-Vergleichsarbeiten, der zentralen Abiturklausuren und die Ab­schlussergebnisse der mittleren Reife seit Jahren besser als der Landesdurchschnitt. Jede*r Schüler*in verlässt dort außerdem die Schule mit einem Abschluss.

Im Regelfall kommen in Berlin viele Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in eine allgemeinbildende Schule. Häufig klagen die Schulen über mangelnde räumliche und personelle Ressourcen. Aber auch in Berlin gibt es eine Schule, die die Integration »anders­herum« versucht und sogar Gemein­schaftsschule ist: Die Kniese-Schule in Lichtenberg. Sie war ursprünglich Grund­schule und Sonderpädagogisches Förder­zentrum und hat sich seit 2005 in eine Gemeinschaftsschule umgewandelt. Ähn­lich wie die preisgekrönte Greifswalder Schule haben hier 40 Prozent der 580 Schüler*innen einen Förderstatus und können sowohl mit dem MSA (Mittlerer Schulabschluss) abschließen als auch, ab dem nächsten Schuljahr, die gymnasiale Oberstufe besuchen. Dies wird gemein­sam mit einer benachbarten Schule orga­nisiert. Dafür sorgen die inzwischen 102 Beschäftigten aller Professionen.

Die sonderpädagogische Kompetenz mitnehmen

Auf einem Rundgang mit der Schulleite­rin Birgit Danicke werden unsere drin­gendsten Fragen beantwortet. Zunächst wollen wir wissen, wie es zu dieser etwas ungewöhnlichen Entwicklung ihrer Schu­le gekommen ist. Die Schule war schon in der DDR-Zeit eine Förderschule. Sie musste damals von Mitte nach Lichten­berg umziehen und wurde dort auf ver­schiedene Schulgebäude verteilt. Im Jahr 2000 wurde dann der Schulneubau als Grundschule und Förderzentrum mit Gel­dern der Kniese-Stiftung errichtet. Schon damals gab es Klassen an der Schule, in denen Schüler*innen mit unterschiedli­chem Förderbedarf saßen. Als die Schulaufsicht das Konzept beanstandete und verlangte, es dürften künftig nur noch sehbehinderte Schüler*innen aufgenommen werden, führte das zu Protesten der Eltern und des Kollegiums. Denn die meisten fanden die gemischten Klassen gerade gut. In der Diskussion über diese Situation entwickelten Schulleitung und Kollegium dann ein Konzept für eine Um­wandlung zur Gemeinschaftsschule und reichten es, unterstützt von der bezirkli­chen Schulaufsicht, 2013 ein.

Was die Verwaltung nicht kennt ...

Die Senatsbildungsverwaltung war zu­nächst wenig begeistert: »Die haben ge­sagt, dass das eigentlich nicht geht, aus einem Förderzentrum eine Gemeinschafts­schule zu machen. Wir hatten zwar die Klassen 1 bis 10 im Förderzentrum, aber die waren ja teilweise sehr viel kleiner. Es musste also auch umgebaut werden. Und letztendlich war das ja dann auch eine umgekehrte Integration. Außerdem muss­ten wir erklären, warum nicht immer alle Schüler*innen gemeinsam unterrichtet werden können. Aber unsere schwerkran­ken Schüler*innen können den Regelun­terricht nicht einfach so mitmachen. Für sie ist es schon toll, dass sie nicht in ei­ner besonderen Schule unterrichtet wer-den, sondern hier in eine normale Schule gehen, auch wenn sie gesondert unter­richtet werden, denn sie nehmen am Schul­leben teil und haben vielfältige Kontakte zu den anderen«, erklärt uns die Schullei­terin. Es müsse doch möglich sein, Kin­der mit Förderbedarf auch wohnortnah zu unterrichten und sie nicht sonst wo­hin zu fahren.

Die Umwandlung vom Förderzentrum in eine Gemeinschaftsschule wurde von den Eltern gut aufgenommen. Inzwischen gibt es sogar Eltern, die extra wegen dieser Inklusion ihre Kinder in die Kniese-Schule schicken. Davon abgesehen, dauert es natürlich einige Zeit, bis sich im Stadtteil herumgesprochen hat, dass die Knie­se-Schule nicht mehr Förderzentrum ist.

Für die Lehrkräfte war es allerdings nicht ganz einfach. Sie haben nicht nur größere Klassen und damit auch eine an­dere Unterrichtssituation, sondern müs­sen wegen der recht unterschiedlichen Behinderungen den Unterricht individuell gestalten, damit alle etwas davon haben. Dabei ist das Klassenklima sehr wichtig: Alle Schüler*innen müssen einiges aus­halten, wenn sie sich auch untereinander akzeptieren.

Architektur, die hilft

Die Schule liegt am Tierpark und wirkt trotz der Umgebung von 14-stöckigen Hochhäusern richtig idyllisch und einla­dend. Sie ist rundum behindertengerecht ausgestattet, mit Fahrstühlen, automati­schen Türen, breiten Gängen mit Hand­läufen, Punktschrift und niedrigen Klin­ken für die Rollstuhlfahrer*innen. An al­len Wegepunkten, an denen sich die Rich­tung ändert, sind geriffelte, helle Boden­fliesen verlegt. Auf den unteren drei Stockwerken gibt es zwischen den Klas­senräumen auch kleinere Räume, in denen Schüler*innen separat arbeiten können. Die kleineren Räume für Lernende mit Schwerstmehrfachbehinderungen sind auf alle Etagen verteilt, um den Kontakt zu den anderen Schüler*innen zu halten. Außerdem gibt es Kleinküchen, in denen Essen zubereitet werden kann, sowie pro Etage zwei Hygieneräume mit Toilette und Dusche. Die Klassenräume sind für 21 Schüler*innen gedacht.

Die Mensa liegt im Erdgeschoss und ist zugleich Veranstaltungsraum mit einer Bühne und mit Blick durchs große Fens­ter zum Schulhof. Die Raumhöhe geht hier über zwei Stockwerke. Obwohl die Schulräume sonst eine gute Akustik haben, ist es ausgerechnet in der Mensa etwas sehr laut, trotz des Akustiksegels. Da hätte man eigentlich bei einem Neubau mehr erwartet.

Weil die Schule stärker gewachsen ist, gibt es inzwischen auf dem Gelände einen MEB (mobilen Ersatzbau) mit zusätzlichen Unterrichtsräumen. Die Schulleiterin sagt dazu: »Wir sind natürlich froh, dass wir die haben. Aber das war ein Drama bis wir endlich alles hatten, was wir brauch­ten. Wir hatten zum Beispiel viel zu weni­ge Steckdosen in den Räumen und es war ein richtiger Kampf, diese zusätzlichen Steckdosen zu bekommen. Aber die brau­chen wir unbedingt für die Bildschirmle­segeräte. Ähnlich war es mit anderen Sa­chen, die im Hauptgebäude selbstver­ständlich sind, wie die Handläufe oder Lichtdimmer. Man wollte uns mit dem Einheitsmodell abspeisen. Da mussten wir richtig kämpfen.«

Interessant sind auch die verschiede­nen Einrichtungen in den Räumen, die auf die unterschiedlichen Behinderungen der Schüler abgestimmt sind, zum Bei­spiel ein Raum mit spezieller Beleuch­tung für Sehbehinderte oder Ruheräume, sowie Räume für Kleingruppen.

Vielleicht sollte man auch mal an ande­ren Standorten Wege gehen wie hier, wo nicht die Regelschule integrativ gewor­den ist, sondern das Förderzentrum. Und was wir noch mitnehmen: dass solch eine personelle Ausstattung mit sonderpäda­gogisch geschultem Personal, auch an der Regelschule, die Inklusion wesentlich er­leichtern und manche Diskussion über deren Sinn überflüssig machen würde.

Diese gute personelle Ausstattung zu halten, wird in Zukunft schwierig, wenn man die Schulleiterin Birgit Danicke hört. Unser größtes Problem ist, dass wir in­zwischen kaum noch Lehrkräfte bekom­men. Insbesondere keine qualifizierten. Die Quereinsteiger*innen können das nur zu einem kleinen Teil leisten. Wir können unsere Schule nicht nur mit Quereinstei­ger*innen ausstatten. Uns fehlen heute schon Leute und für die Zukunft sieht es noch schlimmer aus.«

Noch ist die Kniese-Gemeinschaftsschu­le im Aufbau, aber schon jetzt wünschen wir ihr viel Erfolg beim inklusiven Unter­richt.

Ulrich Meuel, Konrektor i.R., Klaus Will, ehemaliger geschäftsführender Redakteur der bbz