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Kinder-, Jugendhilfe und Sozialarbeit

Jede vierte Frau

Laura bietet Unterstützung für Betroffene bei Häuslicher Gewalt. Sie fördert Kinder und stärkt Mütter in ihrer elterlichen Kompetenz.

Foto: Antje Jessa

Anfang 2023 wies ein Schulsozialarbeiter meiner Schule auf die Berliner Fachberatungs- und Interventionsstellen hin. Das hat mich veranlasst, die Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG e.V.) anzuschreiben und im Rahmen unserer Reihe »Soziale Arbeit stellt sich vor« ein Interview mit Laura zu führen. Aus Sicherheitsgründen tritt Laura nur mit ihrem Vornamen und ohne Foto in Erscheinung.

 

bbz: Vielen Dank, dass du uns einen Einblick in deine Arbeit gibst. Wer bist du, und wie bist du zur Sozialen Arbeit gekommen?

Laura: Ich bin Laura und ich bin Sozialpädagogin. Zur Sozialen Arbeit bin ich über die Ausbildung zur Erzieherin gekommen. Nach der Ausbildung habe ich in der Kinder- und Jugendhilfe gearbeitet.  Während meiner Tätigkeit als Erzieherin habe ich dann Soziale Arbeit studiert.

 

Welchen Schwerpunkt hat deine Arbeit?

Laura: Wir bieten Beratungen für Mütter an, die von Häuslicher Gewalt betroffen waren, manchmal auch noch sind, und das Ganze dann zu kindzentrierten Themen. Wir machen Erziehungsberatung, begleiten betroffene Kinder und bieten eine Kindersprechstunde an. Das ganze Angebot von uns ist mobil, das heißt, wir können das Angebot zu den Frauen bringen, weil die Frauen oft wenig Kapazitäten haben, Beratungsstellen aufzusuchen. Wir sprechen, wenn von den Müttern gewünscht und in ihrem Beisein, mit den Kindern und stehen für die Kinder als Ansprechperson zu Verfügung, wenn sie von sich aus über die Thematik sprechen möchten.

 

Wie kommen die Klientinnen zu euch?

Laura: Die meisten kommen über BIG HOTLINE zu uns. Das ist die Hotline für von Häuslicher Gewalt betroffene Frauen. Ganz oft werden wir von Kolleginnen angefragt, wenn Kinder involviert sind. Manchmal kommen auch Klientinnen über externe Stellen zu uns oder über die Kontaktinformationen auf unseren Flyern, die an verschiedenen Orten, auch im Jugendamt, ausliegen.

 

Wie sieht ein Arbeitstag bei dir aus?

Laura: Ich mache mit meinen Klientinnen Termine. Entweder mache ich eine Beratung am Telefon oder auch irgendwo, wo es den Frauen besser passt. Dann kommen wir in Gemeinschaftsunterkünfte oder treffen uns in Frauenberatungsstellen, die näher bei der Frau zu Hause liegen. Es kann aber auch sein, dass wir Kinderberatungen machen. Auch da sind alle verschiedenen Beratungsorte möglich, zum Beispiel auf dem Spielplatz. Oder wir machen Kinderbetreuung für Kolleginnen von uns, die mit einer Frau einen Antrag zum Gewaltschutz beim Familiengericht stellen. Dann passen wir für die Zeit auf deren Kinder auf. Und dann startet gerade eine Gruppe für Mädchen im Alter zwischen 9 und 13 Jahren, die von Häuslicher Gewalt betroffen waren. Diese Gruppe trifft sich einmal wöchentlich.

 

Können Institutionen auf euch zukommen, wenn sie Beratungsbedarf haben?

Laura: Ja, wir bieten fachliche Inputs zur Thematik an. Wenn wir angefragt werden, dann kommen wir in Teams oder Arbeitskreise und stellen unsere Arbeit vor. Bei Kitas oder Schulen muss der Bedarf immer über eine Schweigepflichtsentbindung der Eltern laufen. Das geht nur, wenn der Wunsch der Mutter da ist.

 

Welche Kompetenzen brauchst du in deinem Job?

Laura: Ich brauche Kommunikationsfähigkeit, eine emphatische Haltung und eine Beratungsoffenheit. Es ist ein sehr sensibles Thema, wo viele Frauen einfach Sorge haben, darüber zu sprechen, Sorge vor Verurteilung oder, dass man ihre Handlungen in Schubladen steckt. Dann benötige ich auch Toleranz für die verschiedenen Situationen. Ich kann nicht jede Situation ändern und muss auch tolerant gegenüber den Entscheidungen der Frauen sein, die sie selber für sich treffen. Wenn es eine Kindeswohlgefährdung ist, müssen wir trotzdem einschreiten. Aber generell sind wir ein beratendes Angebot. Es ist in meinem Beruf auch ganz wichtig, dass man Gespräche gut strukturieren kann.

 

Nimmst du Sachen gedanklich mit nach Hause?

Laura: Ich bin viel im Austausch mit meinen Kolleginnen. Wir haben eine Vereinbarung, dass wir uns anrufen können, wenn wir schwierige Fälle haben, und zwar sofort, auch wenn niemand mehr im Büro ist. Dadurch, dass ich davor schon lange in diesem Bereich tätig gewesen bin und mit relativ schweren Fällen zu tun hatte, habe ich es irgendwann ganz gut geschafft, es nicht mit nach Hause zu nehmen. Aber natürlich funktioniert das nicht jeden Tag. Dann hilft mir der Austausch mit meinen Kolleginnen, da sie die Situationen gut nachvollziehen können.

 

Warum hast du dich für diese Einrichtung entschieden?

Laura: Ich war sechs Jahre im Kinderschutz tätig und hatte dann Lust auf einen neuen Bereich und wollte mit Kindern im Beratungssetting arbeiten. Da gibt es nicht so viele Angebote. Ich hatte das Glück, dass ich recht schnell auf diese Stelle gestoßen bin. Hier kann ich mich einem spezifischen Arbeitsfeld, dem der Häuslichen Gewalt, zuwenden. Hier kann ich mein bisheriges Wissen vom Kinderschutz einbringen und lerne von meinen Kolleginnen, die angehende Kinder- und Jugend­therapeutinnen sind, Neues dazu. Wir grenzen uns ganz klar von der Therapie ab.

 

Das heißt, ihr leitet die Klientinnen auch an andere Stellen weiter und vermittelt ihnen Therapieplätze?

Laura: Ganz oft wird die Beratung genutzt, um die Therapie anzuschließen. Wir können bis zu einem gewissen Grad gut unterstützen. Manchmal ist aber der Bedarf einfach zu hoch, sodass wir das gar nicht leisten können. Wenn der Bedarf da ist und die Einsicht und der Wille da sind, in eine Therapie zu gehen, unterstützen wir bei der Platzsuche.

 

Magst du uns auch erzählen, was dich besonders beschäftigt?

Laura: Es ist teilweise einfach ernüchternd, dass das Hilfesystem, obwohl es in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern sehr gut ausgeprägt ist, nicht jeder Frau helfen kann. Es gibt immer noch zu viele Lücken im Hilfesystem, wo dann betroffene Personen durchrutschen können. Das ist schon hart mitzubekommen.

 

Wie viele Klientinnen betreut ihr?

Laura: Wir arbeiten alle in Teilzeit und haben zwischen drei und acht Klientinnen. Wir haben oft Erstgespräche und dann kommt es auch drauf an, ob der Auftrag zu uns passt. Was braucht die Frau? Können wir das leisten oder vermitteln wir weiter? Aktuell habe ich vier Frauen plus die Kinder und dann noch die Kinderbetreuung für die Fälle der anderen Kolleginnen.

 

Gibt es etwas, was dir Freude bereitet mit deinen Klientinnen oder Kolleginnen?

Laura: Ich finde es gut, dass es ein sehr vielseitiges Arbeitsfeld ist und dass man verschiedene Arbeitsorte hat. Ich finde, das macht den Arbeitstag flexibel und aufregend, wenn man nicht jeden Tag im selben Setting berät, sondern auch mal andere Orte aufsucht. Und dann natürlich die Beratung und Betreuung von Kindern. In der Kinderbetreuung hat man auch mal Spaß und kann ihnen ungeteilte Aufmerksamkeit schenken. Die Kinder und Klientinnen schätzen das sehr und ich spüre oft Dankbarkeit. Ich merke, dass es einige Kinder gar nicht kennen, dass eine erwachsene Person ihnen viel Zeit widmen kann.

 

Wo siehst du Probleme oder Herausforderungen in deinem Job?

Laura: Man kann nicht jede Situation ändern und hat teilweise begrenzte Möglichkeiten. Manchmal will die Frau irgendwann einfach nicht, sie kann nicht oder der Partner hat doch noch einen sehr großen Einfluss. Es ist dann schwer, auszuhalten, dass man nicht jede Situation zum Guten wenden kann.

 

Was würdest du dir wünschen, wenn du die Möglichkeit hättest, in deinem Job, deinem Arbeitsumfeld etwas zu verändern?

Laura: Dass die Soziale Arbeit einfach mehr geschätzt wird. Dann würden mehr Leute diese Tätigkeit wählen und der Fachkräftemangel würde sich verringern. Es ist teilweise sehr schwierig, in der Sozialen Arbeit zu arbeiten, weil viele Projekte nur wenige Stunden haben. Es ist nicht so, als würde ich nicht in Vollzeit arbeiten wollen, aber es gibt viel zu wenig Stunden, die finanziert werden.

 

Vielen Dank, Laura! Ich finde es bemerkenswert, was ihr leistet.

 

BIG-HOTLINE
Telefon (030) 611 03 00
Mailberatung ist über die Onlineberatungssoftware »beranet« möglich oder per Mail an beratung(at)big-hotline(dot)de.

Weitere Infos: www.big-berlin.info

Kontakt
Markus Hanisch
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