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Kinder-, Jugendhilfe und Sozialarbeit

Quality Time für Klient*innen

Debora ist Sozialarbeiterin und in einer besonderen Wohnform für Menschen mit geistiger Behinderung tätig. Im Interview erzählt sie, was ihre Arbeit besonders macht und wo die Herausforderungen liegen.

Foto: privat

bbz: Wer bist du und wie bist du zur sozialen Arbeit gekommen?

 

Debora: Ich bin Debora, Sozialarbeiterin und Sozialpädagogin und arbeite in einer besonderen Wohnform für Menschen mit einer geistigen Behinderung, die eine 24-Stunden-Betreuung brauchen. Ich habe mich schon immer für das Soziale interessiert und war in meiner Jugend sozial engagiert.

 

Gibt es ein Konzept, das euer Angebot besonders macht?

 

Debora: Wir arbeiten mit der Skala der emotionalen Entwicklung (SEED), um den sozioemotionalen Entwicklungsstand und die Bedürfnisse unserer Klient*innen bestmöglich verstehen zu können. So können unsere Klient*innen mehr im Einklang mit sich selbst und ihrer Umwelt leben.

 

Was genau ist deine Aufgabe als Sozialarbeiterin?

 

Debora: Ich arbeite im Betreuungsdienst und kümmere mich um das, was im Alltag mit den Klient*innen anfällt. Ich begleite sie bei der Pflege, beim Essen, bei der Arbeit oder bei der Freizeitgestaltung. Ich achte darauf, dass sie ihre Autonomie so weit wie möglich ausleben können.

 

Wie sieht so ein Tag in deiner Gruppe aus?

 

Debora: Ich bin entweder im Frühdienst oder im Spätdienst. In der Gruppe, in der ich jetzt arbeite, gibt es Klient*innen, die arbeiten gehen. Da ist es meine Aufgabe, sie morgens, wenn ich komme, zu wecken oder zu gucken, ob sie aufgestanden sind. Ich begleite sie bei der Pflege, soweit sie Unterstützung brauchen und mache mit ihnen gemeinsam Frühstück. Ich achte darauf, dass sie rechtzeitig zum Fahrdienst kommen und in die Werkstatt gehen. Die Klient*innen, die im Haus bleiben, werden mit einem Freizeitprogramm beschäftigt. Es wird gemeinsam Mittagessen gekocht. Im Spätdienst ist der Ablauf praktisch umgekehrt. Da geht es los mit Kaffeetrinken, Termine werden wahrgenommen oder die Zimmerreinigung findet statt. Es geht immer darum, die Autonomie der Klient*innen so weit wie möglich zu berücksichtigen und ihnen Hilfe und Unterstützung zu geben, wo sie sie brauchen.

 

Was glaubst du, sind die speziellen Kompetenzen, die man in deinem Job braucht?

 

Debora: Ich glaube, eine wichtige Kompetenz ist, sich auf jeden Klienten, jede Klientin einlassen zu können und ein Feingefühl zu entwickeln, wer tickt wie, wo und wie leite ich an, wo unterstütze ich, wie kommuniziere ich. In der Einrichtung, in der ich arbeite, gibt es viele Klient*innen, die nicht sprechen können oder nur einen geringen Wortschatz haben. Mit der Zeit weiß man, welche Begriffe sie wofür verwenden. Man muss im Kontakt mit ihnen aufgeschlossen sein, aber andererseits nicht zu fürsorglich.

 

Warum hast du dich für diese Einrichtung und auch für den Schwerpunkt Menschen mit geistiger Behinderung entschieden?

 

Debora: Für die Einrichtung habe ich mich entschieden, weil die Arbeit in einer Wohngruppe genau das war, was ich nach meinem Wechsel gerne tun wollte. Ich habe vorher mit psychisch kranken Menschen gearbeitet, aber die Behindertenhilfe war mein Schwerpunktthema im Studium. In meiner jetzigen Einrichtung hat mir am meisten gefallen, dass es in einem Haus mehrere kleine Gruppen gibt. Das kannte ich aus den Einrichtungen, in denen ich vorher war, noch nicht. Da hatte man über zwanzig Klient*innen in einer Wohngruppe und arbeitete in einem Dreier- oder Fünferteam. Da war es unheimlich schwierig, allen gerecht zu werden, vor allem bei Personalausfall. In meiner Einrichtung in Treptow gefällt mir, dass ich Kolleg*innen im Haus habe, bei denen ich mir Hilfe holen kann, wenn ich unsicher bin oder mit Klient*innen nicht weiterweiß.

 

Gibt es Erlebnisse, die dich dort besonders geprägt haben?

 

Debora: Geprägt hat mich vor langer Zeit die Situation mit einer Klientin, die aufgrund eines Unfalls soweit eingeschränkt war, dass sie viel mehr Pflege gebraucht hätte und damals die Entscheidung getroffen wurde, dass unser Haus das nicht leisten kann. Die Klientin sollte in ein Pflegewohnheim umziehen. Es ist letztlich gar nicht dazu gekommen. Die Klientin ist verstorben. Aber es war für mich eine sehr schwierige Entscheidung das mitzutragen, zu sagen, wenn jemand nicht mehr funktioniert, wird er abgeschoben. Die Haltung des Trägers hat sich mittlerweile verändert und es gibt ein Konzept der Palliative Care, das implementiert werden soll.

 

Sollt ihr diese Aufgabe übernehmen?

 

Debora: Wir sollen zum Teil tatsächlich mitmachen – wer sich das zutraut. Die Idee ist, dass die Klient*innen bei uns bleiben, solange sie das möchten. Wenn eine Sterbebegleitung notwendig ist, dann soll es ein Palliativ Care Team übernehmen, das zum Teil aus Mitarbeiter*innen aus dem Haus besteht und aus externen Stellen, seien das jetzt Ärzte oder ein Hospizdienst.

 

Warum hat sich deiner Meinung nach die Haltung dazu geändert?

 

Debora: Ich glaube, dass es mit der Finanzierung zu tun hat und damit, dass wir jetzt in gewissem Maße Behandlungspflege mit abdecken können und müssen. Zudem hat unsere neue Einrichtungsleitung die Haltung, dass die Einrichtung das Zuhause der Klient*innen ist und die das Recht haben, in diesem Zuhause zu bleiben, so lange, wie sie möchten und so lange, wie es geht.

 

Das ist schon eine besondere Herausforderung, oder?

 

Debora: Ja. Aber die Situation mit dieser Klientin, die ich noch besucht habe in ihrer Rehaklinik in Kassel, die nicht zurückkommen konnte, hat mich geprägt. Und ich gehe jetzt mit einem anderen Gefühl zur Arbeit.

 

Was macht Dir besonders viel Spaß auf Deiner Arbeit?

 

Debora: Wenn ich merke, wie die Klient*innen sich über eine Aktion außerhalb des Standardprogramms freuen, wenn eine Einzelaktivität möglich ist und nicht nur der typische Ablauf: wir hetzen jetzt schnell zum Arzt und dann wieder zurück ins Wohnheim, weil die ganze Dokumentation und alles noch gemacht werden muss. Sondern, wenn wirklich die Zeit ist, in Ruhe den Arzttermin vorzubereiten mit dem*der Klient*in und noch was Schönes zu machen. Es geht dabei nicht um Belohnung, sondern darum, etwas außerhalb des Wohnheims zu machen. Ein bisschen Quality Time, kann man sagen. Was mir auch unheimlich Spaß macht, sind die Feste, die im Wohnheim gefeiert werden, zu erleben, wie das ganze Haus zusammenkommt und wie jede*r so für sich in dem Rahmen, den er*sie hat, daran teilnimmt.

 

Wo siehst du Probleme oder Herausforderungen in deinem Job?

 

Debora: Problematisch finde ich, dass die Klient*innen, die zusammen in der Wohngruppe wohnen, sich das nicht unbedingt aussuchen konnten. Es wird immer geschaut, ob es halbwegs passt und ob die Klient*innen sich das vorstellen können. Das ist aber nicht immer möglich und dann wohnen in meiner Gruppe sechs Klient*innen zusammen, die ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben. Es ist manchmal eine große Herausforderung, im Alltag und in besonderen Situationen, allen Bedürfnissen gerecht zu werden. Ein ganz großes Problem sind der Fachkräftemangel und die offenen Stellen im Haus. Es ist sehr schwierig, den Klient*innen mit dem vorhandenen Stammpersonal Stabilität zu geben und es wird sehr viel mit Leasingkräften gearbeitet.

 

Sind die Leasingkräfte eine wirkliche Unterstützung für euch?

 

Debora: Ja, sie sind schon eine Unterstützung. Zumindest sind die Dienste abgedeckt. Aber ganz viele Sachen bleiben liegen und müssen vom Stammpersonal nachgearbeitet werden. Das ist einfach eine Doppelbelastung, ein Mehraufwand.

 

Was würdest du dir für dich und für deine Arbeit in der Einrichtung wünschen?

 

Debora: Mein größter Wunsch wäre, dass wir Fachpersonal finden, das bleibt. Und ich würde mir wünschen, dass die Belastung und die Überlastung der Mitarbeiter*innen, aber auch der Klient*innen mehr Beachtung finden. Eine Anerkennung der Arbeit über entsprechende Entlohnung der Mitarbeiter*innen würde sich ebenfalls positiv auswirken. Ein Tarifvertrag wäre natürlich ein großes Plus, das die Mitarbeiter*innen bestärken und helfen würde, die Fluktuation zu reduzieren.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46