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bbz 09 / 2018

Lehren aus Erfahrung

Der Quereinstieg in den Berliner Schuldienst ist ein Spagat zwischen Lücken stopfen und Qualität erhalten.

In zehn Jahren werden sie jede Hausfrau von der Straße in die Schule holen!« Diesen Satz rief die damalige Vorsitzende der GEW BERLIN, Rose-Marie Seggelke sinngemäß jungen Lehrer*innen zu. Gerade mal 120 neue Lehrkräfte hatte Berlin zum Schuljahr 2005/06 eingestellt. Gleichzeitig wurde massiv die Axt an die Ausbildungskapazitäten gelegt. 400 Stellen für das Referendariat wurden gestrichen. Viele junge Lehrkräfte mussten schon nach dem Studium Berlin verlassen, weil sie keinen Referendariatsplatz bekamen. Der »Rest« war nach dem Referendariat weg, weil Berlin kaum neue Einstellungen vornahm. Dabei war angesichts der Altersstruktur der Berliner Lehrkräfte schon damals absehbar, dass Berlin so in eine bildungspolitische Katastrophe schlittern wird.

Katastrophe oder Chance

Im Jahr 2017 hatte fast jede zweite neu eingestellte Lehrkraft in den Berliner Schulen kein Lehramtsstudium absolviert, in den Grundschulen sogar mehr als die Hälfte. Zum Schuljahresbeginn 2018/19 reichen selbst die Quereinsteiger*innen nicht mehr aus, um die Stellen zu besetzen. Die Zahl der Referendariatsplätze wurde vor allem durch den beharrlichen Druck der GEW BERLIN ab 2008 schrittweise wieder erhöht. Jetzt bleiben von den 2.700 Plätzen regelmäßig fast 900 unbesetzt. Es fehlen schlicht die Lehramtsabsolvent*innen. Die vor zwei Jahren begonnene Erhöhung der Studienplatzkapazitäten für Lehramt und vor allem für das Grundschullehramt kam viel zu spät. Sie wird sich frühestens 2023 auswirken.

Es ist völlig unstrittig, dass Quereinsteiger*innen eine Bereicherung für die Schulen und den Unterricht sein können. Sie bringen in der Regel Berufs- und Lebenserfahrung aus ganz anderen Zusammenhängen mit und sind noch unbelastet vom »System« Schule. Ein Physiker, der aus einem Unternehmen kommt, eine Chemikerin, die jahrelang in der Pharmaindustrie gearbeitet oder eine Musikerin, die in diversen Orchestern gespielt hat, sind für Schüler*innen interessant und können ganz anders für ihr Fach begeistern. Schon weit vor der jetzigen Notsituation hat Berlin vor allem in den berufsbildenden Schulen Hochschulabsolvent*innen aus der Praxis eingestellt, weil ausgebildete Lehrkräfte in den speziellen beruflichen Fachrichtungen fehlten. Zum Beispiel Metalltechniker*innen, Holztechniker*innen mit einer Tischlerlehre oder Bauingenieur*innen. Das waren im Jahr 2004 rund 150 Lehrkräfte in den berufsbildenden Schulen. Der Quereinstieg als Lehrer*in war damals die Ausnahme, jetzt wird er die Regel.

Qualität ist unersetzlich

Die Quereinsteiger*innen in den berufsbildenden Schulen wurden auch als Lehrkräfte ohne volle Lehrbefähigung (LovL) beschäftigt und konnten Weiterbildungen absolvieren. Eine Gleichstellung mit gleicher Bezahlung konnten sie damit aber nicht erreichen. Die GEW BERLIN hat sich vehement dafür eingesetzt, dass Quereinsteiger*innen so für den Beruf qualifiziert werden müssen, dass sie den grundständig ausgebildeten Lehrkräften gleichgestellt werden können. Damit ist nicht nur die Qualität der Ausbildung und des Unterrichts gesichert, sondern auch die Bezahlung.

Im Jahr 2004 wurde dann gesetzlich geregelt, dass Hochschulabsolvent*innen ohne Lehramtsabschluss, die aufgrund einer Mangelsituation in bestimmten Fächern eingestellt werden, das reguläre Lehramts-Referendariat und die Staatsprüfung absolvieren müssen. Das war die Geburt des berufsbegleitenden Referendariats in Berlin und die Grundlage dafür, dass Quereinsteiger*innen am Ende nicht als Lehrkräfte zweiter Klasse behandelt werden. Damit war zunächst einmal vielen LovLs’ in den berufsbildenden Schulen der Weg zur Gleichstellung eröffnet. Die GEW BERLIN betonte damals, dass diese Quereinstiegsregelung nur akzeptabel sei, »wenn Berlin die Zahl der Studienplätze im Lehramt erhöht und die Strei-chung der 400 Referendariatsstellen rückgängig macht. Die wissenschaftliche Lehrer*innenbildung muss gestärkt werden, damit die Lehrkräfte die steigenden Anforderungen im Beruf bewältigen können.«

Jede*r Surfer*in sieht eine Welle kommen

Zehn Jahre später, im Jahr 2014, schlug die Ruhestandswelle zusammen mit dem Bevölkerungswachstum in Berlin und in den anderen Bundesländern erstmals voll zu. Seitdem herrscht ein permanenter Ausnahmezustand. Inzwischen ist nicht nur die Hälfte aller neu eingestellten Lehrkräfte quer eingestiegen, sondern die meisten davon bringen nur ein studiertes Fach mit. Um in das berufsbegleitende Referendariat gehen zu können, müssen sie nach der Einstellung neben ihrer Unterrichtstätigkeit noch ein zweites Fach in einem Mindestumfang berufsbegleitend »studieren«, für das Grundschullehramt sogar zwei Fächer.

Studieren muss hier in Anführungszeichen stehen, weil es sich vor allem für die Grundschullehrkräfte nicht um ein Studium an einer Universität, sondern eher um ein Weiterbildungsprogramm der Senatsverwaltung handelt. Dazu kommt, dass die Kapazitäten für diese Weiterbildung oder Studien nach wie vor absolut unzureichend sind, so dass die neu eingestellten Quereinsteiger*innen in der Regel ein Jahr warten müssen, bevor sie mit dem Studium des zweiten Faches beginnen.

Not macht erfinderisch und so denkt die Bildungssenatorin darüber nach, ob es nicht auch mit nur einem Fach gehen kann. Der*die Ein-Fach-Lehrer*in soll es richten. Wieder soll die Axt an die Qualität der Ausbildung gelegt werden, statt für die Ausweitung der Kapazitäten in den Studien zu kämpfen. Das würde auch die erst 2014 mit gutem Grund eingeführte Ausbildung in drei Fächern im Grundschullehramt, darunter in Mathe und Deutsch völlig konterkarieren und die Gleichstellung der Quereinsteiger*innen in Frage stellen.

Ein Dauerbrenner ist die Frage, wie Quereinsteiger*innen auf ihre Tätigkeit als Lehrkräfte vorbereitet, wie sie unterstützt werden. Wie sie die »Basics« zum unterrichten, erziehen, beurteilen, innovieren und vieles mehr erwerben? Wie gehe ich mit den unterschiedlichen individuellen Voraussetzungen meiner Schüler*innen um? Was mache ich, wenn sie über Tische und Bänke springen oder einfach keinen Bock auf Unterricht haben? Wie bringe ich ihnen überhaupt das Fach bei? Dürfen Schüler*innen im Unterricht aufs Klo? Das sind die Fragen, die Quereinsteiger*innen am Anfang umtreiben, die Zeit und Nerven kosten und schlaflose Nächte bereiten.

Es ist daher ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, dass es ab Schuljahresbeginn 2018/19 ein Qualifizierungsprogramm (QuerBer) geben wird, das diese Themen aufgreift. Es bleibt allerdings deutlich hinter den Haushaltsbeschlüssen vom Dezember 2017 zurück. Dort war ein mindestens vierwöchiger Qualifizierungskurs vor dem ersten Tag als Lehrkraft vorgesehen, jetzt sind es nur sieben Tage. Von den beschlossenen zwei zusätzlichen Ermäßigungsstunden für Quereinsteiger*innen wird vorerst nur eine umgesetzt.

Unverständlich ist außerdem, dass die Quereinsteiger*innen, die bereits zwei Fächer mitbringen und gleich mit ihrer Einstellung in das berufsbegleitende Referendariat gehen können, von diesem Qualifizierungsangebot ausgenommen sind. Sie werden wie bisher sofort ins kalte Wasser geworfen. Für alle Beteiligten ist die jetzige Situation eine enorme Herausforderung, vor allem für die Kolleg*innen in den Schulen. Sie muss aber bewältigt werden, im Interesse der Kinder und Jugendlichen, die gute Bildung und Erziehung verdient haben. Und im Interesse der alten und der neuen Lehrkräfte in unseren Schulen.


AG Quereinstieg
In der AG Quereinstieg treffen sich Quereinsteiger*innen und alle am Thema interessierten Mitglieder der GEW BERLIN. Die AG setzt sich für eine Verbesserung der Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen in der Schule ein. Außerdem wird ein Unterstützungsnetzwerk für die Kolleg*innen, die sich in den unterschiedlichen Phasen des Quereinstiegs befinden, aufgebaut.
Ansprechpartner ist Alexander Reich (alexander.reich@gew-berlin.de).


Dieser Artikel ist Teil des bbz-Themenschwerpunkts „Perspektive Quereinstieg“  [zur gesamten Ausgabe]