bbz 02 / 2017
Lohndumping durch die Hintertür
Junglehrer*innen brauchen dringend Entlastung, um den Herausforderungen des Berufseinstiegs gerecht werden zu können
Nach dem Referendariat beginnt die eigentliche Prüfung: Der Berufsalltag. »Nach fünf Jahren habe ich endlich das Gefühl, alles irgendwie schon einmal gesehen zu haben«, stellte meine Kollegin kürzlich fest. Mit ihrer Einschätzung lag sie nah bei der Erziehungswissenschaftlerin Gabriele Bellenberg. »Bis man ein guter Lehrer ist, dauert es sieben, acht Jahre«, sagt sie und fügt etwas Entscheidendes hinzu: »Allerdings kann dies nur gelingen, wenn man offen ist für eine reflexive Kritik am eigenen Unterricht.«
Ich habe neben dem erhöhten Bedarf an Austausch und Reflexion noch ein ganz anderes Problem: Wenn ich etwas zum ersten Mal mache, brauche ich dafür länger. Manchmal gefühlt dreimal so lange wie ich sollte – die Senatsverwaltung rechnet 20 Minuten für die Korrektur einer Klausur, ich benötige dafür oft mehr als eine Stunde. Ein Bedarf nach Stundenermäßigung für Berufseinsteiger*innen ergibt sich also aus dringend benötigter Zeit für Einarbeitung, Austausch und Reflexion.
Spätestens jetzt sollte meine Arbeitgeberin hellhörig werden. Denn der Berufseinstieg ist eine wichtige Phase in der beruflichen Sozialisation von Lehrer*innen. Jetzt werden prägende Erfahrungen gemacht und berufsbezogene Überzeugungen verfestigen sich. Mache ich die Erfahrung, dass Fortbildungen und Teamarbeit mir und meiner Arbeit gut tun oder erlebe ich das Gegenteil? Das wird zukünftig meine Handlungsentscheidungen maßgeblich bestimmen.
Unterstützung nur nach Feierabend
Die Berliner Senatsverwaltung bietet Junglehrer*innen daher ein Fortbildungsprogramm an: Die Berufseingangsphase. Nur leider finden die Workshops und Austauschgruppen ohne zeitliche Ermäßigung meist am Nachmittag oder an Wochenenden statt. Zusätzlich zu meiner Arbeitszeit soll ich also Fortbildungen absolvieren, die mir Hilfe und Entlastung versprechen?
Ich kenne niemanden, der*die an diesem Programm teilnimmt. Dabei reden wir hier nicht über Raketenwissenschaft. Die EU-Kommission hat bereits 2010 Hinweise an Politiker*innen herausgegeben, wie erfolgreiche Einführungsprogramme für Junglehrer*innen aussehen könnten – und siehe da: »Die Einarbeitungs- und sonstigen Unterstützungsmaßnahmen für Junglehrer erfordern die Bereitstellung ausreichender finanzieller und zeitlicher Ressourcen. Für Junglehrer*innen ist es wichtig, dass sie ohne Kürzung ihrer Besoldung ein geringeres Arbeitspensum zu absolvieren haben. Erforderlich ist dies, weil sie in den ersten Berufsjahren mehr Zeit für die Unterrichtsvorbereitung brauchen, aber auch damit sie an Einarbeitungsprogrammen teilnehmen können.«
Ach! Wo darf ich unterschreiben? Der richtige Zeitpunkt ist jetzt Ausreichend Argumente für ein Umdenken der Politik liefern schon die blanken Zahlen: Berlin muss so viele neue LehrLehrkräfte einstellen, dass sich nahezu die Hälfte der Kollegien bis 2021/22 austauscht. Wenn die neue Berliner Koalition die Lehrkräfte also jetzt nicht im Berufseinstieg unterstützt, vergibt sie nicht nur ein immenses Potenzial zur Schulentwicklung, beispielsweise für Teamarbeit oder Inklusion, sondern riskiert auch das »Verbrennen« von so vielen Junglehrer*innen wie nie zuvor.
Stunden reduzieren kann keine Lösung sein
»Mehr gut ausgebildete Lehrkräfte« will die neue Landesregierung. Angesichts der belasteten Situation von Junglehrer*innen muss ein »Mehr« an Personalausstattung auch für die gute Ausbildung in der Berufseingangsphase verwendet werden. Denn die Unterstützung und Anleitung von jungen Kolleg*innen braucht Zeit.
Auf die erfahrenen Kolleg*innen kommt ein zunehmend wachsender Anteil von jungen, unterstützungs- und lernbedürftigen Kolleg*innen zu. Im Gegenzug bringen die Berufseinsteiger*innen frische Kraft in die Kollegien, solange ihre Energiehaushalte dies hergeben. Weil ich jetzt eine »richtige Lehrerin« bin, übernehme ich also nicht nur eine Klassenleitung und einen Leistungskurs, sondern beteilige mich auch an Arbeitsgruppen zur Sprachförderung, bin Beauftrage zur Betreuung von Referendar* innen, organisiere Exkursionen und Klassenfahrten, bilde mich fort, schreibe Artikel für die Gewerkschaftszeitung, stehe im regen Austausch mit meinen Kolleg*innen und pflege einen guten Draht zu Schüler*innen und Eltern.
Auf die damit einhergehende Arbeitszeitbelastung reagieren viele Junglehrer*innen mit einer Reduzierung ihrer Unterrichtsstunden, sie nehmen die finanziellen Einbußen in Kauf, um ihrem Anspruch an den Beruf und sich selbst gerecht werden zu können.
Dass wir unseren Berufsalltag nur bewältigen können, wenn wir in Teilzeit gehen – und trotzdem noch das Ausmaß einer Vollzeitstelle absolvieren – ist Lohndumping durch die Hintertür.