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Schwerpunkt "Demokratie und Hochschule"

Mehr Hochschuldemokratie wagen

Die Universitäten gestehen ihren Studierenden kaum Mitspracherecht zu. Wovor haben sie Angst?

Foto: Joshua Schultheis und Fabian Bennewitz

Neun Uhr morgens in Dahlem, Ihnestraße 21, Hörsaal B. Der Institutsrat des Otto-Suhr-Instituts für Politikwissenschaft (OSI) streitet sich zum wiederholten Male um Teilnahmebeschränkungen in Seminaren – am OSI der Dauerbrenner hochschulpolitischer Auseinandersetzung schlechthin.

In der Hochschulpolitik geht es oftmals darum, mit Ausdauer selbst um kleinste Verbesserungen zu ringen und gleichzeitig aufzupassen, dass einem diese nicht bei nächster Gelegenheit gleich wieder abgeknöpft werden. So auch bei Teilnahmebeschränkungen. Es ist Teil der Institutskultur, dass Studierende zu Beginn eines neuen Semesters nach ihrem Interesse in verschiedene Lehrveranstaltungen reinschnuppern können. Durch die Online-Lehre war das erstmal nicht mehr möglich. Nun wird erneut darüber diskutiert, ob man eine Obergrenze der Teilnehmendenanzahl festlegen soll. Immer wieder können solche Themen neu aufgerollt werden. Die Studierenden, welche die Zugeständnisse einst erstritten haben, sind dann – im Gegensatz zu den unbefristeten Hochschullehrenden – oft längst weitergezogen.

Engagement ist oft frustrierend

Viele frustrierende und vor allem unbezahlte Stunden fließen in so ein Engagement in der Hochschulpolitik. Nicht jede*r kann sich das leisten. Während Professor*innen und anderes etatisiertes Personal einen gewissen Stundensatz an sogenannten Gemeinschaftsaufgaben (zum Beispiel Gremienarbeit) als Teil ihrer vertraglich festgelegten Arbeitszeit übernehmen, tun Studierende das nebenher und (bis auf ein mageres Sitzungsgeld) nicht entlohnt.

Obendrein führen sie oft einen Kampf als David gegen Goliath, denn während an der Freien Universität zurzeit 30.000 Menschen studieren, sind nur um die 400 Hochschullehrer*innen angestellt. Der Akademische Senat zum Beispiel, das zentrale Gremium der universitären Selbstverwaltung, setzt sich dennoch aus vier Wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen (WiMis), vier Sonstigen Mitarbeiter*innen (SoMis), vier Studierenden und 13 Professor*innen zusammen. Letztere haben also immer eine Stimme mehr als alle anderen Statusgruppen zusammen. Dieser Proporz ist in allen Gremien mit Entscheidungskompetenz der gleiche. Das war nicht immer so.

Während der sogenannten Gruppenuniversität ab 1969 in Westberlin konnten durch die Drittelparität (Professor*innen, Assistent*innen, Studierende) die Professor*innen von den anderen Statusgruppen überstimmt werden. Mit dem Hochschul-Urteil von 1973 wurde dem ein jähes Ende gesetzt. Daher ist eine zentrale Forderung der meisten Studierendenvertreter*innen seit Jahrzenten die sogenannte Viertelparität (Sonstige Mitarbeiter*innen wurden in die Forderung aufgenommen), also eine Aufteilung der Sitze in den Gremien, in der alle Statusgruppen gleich viele Mandate haben. Im Zuge der Novelle des Berliner Hochschulgesetzes (BerlHG) wurde von hauptsächlich studentischer Seite erneut ein Versuch angestrengt, die Viertelparität rechtlich zu implementieren. Leider erfolglos.

Professor*innen sind überrepräsentiert

Jeglicher studentische Vorstoß in Richtung Demokratisierung (zum Beispiel im Sinne von der Besetzung entscheidungstragender Ämter durch andere als Professor*innen), wie kürzlich die Kandidatur Janik Besendorfs als erster studentischer Vizepräsident der FU, wird nicht mal vehement bekämpft, sondern lediglich mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen.

Diejenigen, die sich für eine demokratische Hochschule einsetzen und hochschulpolitisch etwas verändern möchten, werden immer weniger. Von der Rudi-Dutschke-Studierendenbewegung, an die man bei den Stichworten Hochschulpolitik und FU vielleicht denkt, ist nicht mehr viel übrig. Das Desinteresse der Studierenden an der Hochschulpolitik erkennt man wahrscheinlich am deutlichsten an der chronisch niedrigen Wahlbeteiligung (diese lag für die Wahl der studentischen Vertretung im Akademischen Senat 2021 bei 1,22 Prozent), aber auch daran, dass fast alle studentischen Hochschulgruppen seit Jahren händeringend nach neuen Mitgliedern suchen. Die Uni ist für viele mehr Durchlaufstation als Ort der Politisierung, mehr zum Ort der Ausbildung als der Bildung geworden.

Kein Wunder: Die massive Überrepräsentation der Professor*innen in den Gremien führt zur faktischen Handlungsunfähigkeit anderer Statusgruppen. Wovor hat die Uni solche Angst? Die Vorstellung, nur Professor*innen würden an der Uni forschen und lehren, ihre Hochschule formen und seien alleinig von Entscheidungen über ihre Gestaltung betroffen, ist längst nicht mehr zeitgemäß, sofern sie es je war. Eine sich selbst als progressiv und »frei« verstehende Universität sollte den Mut haben, alle ihre Mitglieder in wichtige Entscheidungen einzubeziehen, und darauf zu vertrauen, dass eine Einigung durch Vernunft gefunden werden kann.

Deshalb: Mehr Hochschuldemokratie wagen!

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Privat:  030 / 219993-46