Schule
Mehr Unterstützung für die Schulen statt Verbote
Die momentane Situation im Nahen Osten belastet Kinder und Jugendliche an Berliner Schulen schwer. Wie es gelingen kann, ihre Trauer, Wut und Frustration zu vermindern.
Der Landesausschuss Migration, Diversität und Antidiskriminierung der GEW BERLIN (LAMA) schließt sich der Kritik aus dem Landesschüler*innenausschuss am Rundschreiben der Berliner Senatsverwaltung für Bildung zum »Umgang mit Störungen des Schulfriedens im Zusammenhang mit dem Terrorangriff auf Israel« an. Statt Schulleitungen zu ermutigen, nach Ermessen ein Verbot gegen das Tragen des Palästinensertuchs Kufiya oder andere regulär nicht strafbare propalästinensische Meinungsäußerungen auszusprechen, sollte das Schulpersonal in seinem Ringen um empathische Unterstützung der Schüler*innen in dieser hoch angespannten und belastenden Situation besser unterstützt werden.
Einer der wesentlichen Grundsätze des friedlichen Zusammenlebens ist es, dass jede*r sich in seiner Identität angenommen fühlt. Wenn wir palästinensischen Kindern und Jugendlichen untersagen, sich in ihrer Identität zu zeigen, ist das ein Akt der Gewalt. Dieser wird nicht den Schulfrieden befördern, sondern im Gegenteil noch mehr Wut und Frustration erzeugen.
Schutz bieten vor Hass
An Berliner Schulen herrscht nicht nur Angst vor antisemitischen, sondern auch vor antimuslimischen und antiarabischen Äußerungen und Übergriffen. Kinder und Jugendliche fürchten um die Sicherheit von Verwandten und Freund*innen in der Region und erleben zu Hause Ohnmacht, Wut und Verzweiflung, auch angesichts der Berichterstattung deutscher Medien, die viele von ihnen als undifferenziert und ausgrenzend erleben. Alle betroffenen Kinder, auch die mit palästinensischen Verbindungen oder Sympathien, brauchen an der Schule ein Umfeld, in dem sie sich sicher und verstanden fühlen und das ihnen hilft, Ereignisse einzuordnen und sich vor Fehlinformation und Hass zu schützen.
Daher brauchen insbesondere Schüler*innen, die Angehörige oder Bekannte in Israel oder Gaza haben, psychosoziale und psychologische Begleitung, um sie mit ihren Sorgen, Ängsten und ihrer Wut auffangen zu können. Es muss in den Schulen dringend ausgewogen über den Konflikt gesprochen werden und darin muss gewährleistet sein, dass alle sich in ihrer Identität angenommen fühlen. Es gibt Kolleg*innen, die dafür ausgebildet sind. Mit dem oben genannten Rundschreiben erschwert die Senatsverwaltung für Bildung deren Arbeit.
Prävention in Form von Wissen und Fürsorge ist das beste Mittel gegen Gewalt. Finanzielle Mittel zur politischen Bildungsarbeit dürfen nicht wie geplant gekürzt, sondern müssen weiter ausgebaut werden. Hier ist ein pädagogischer Ansatz gefragt, mit dem Schüler*innen Lernräume geboten werden, um sich mit den Ursachen und Auswirkungen des Konflikts kritisch auseinanderzusetzen und ein fundiertes Wissen zu erlangen. Jeder Form von Gewalt und Rassismus – ob antisemitisch, antimuslimisch/antiarabisch oder anderer Art – muss entschlossen und differenziert entgegengetreten werden.
Fördern statt Disziplinieren
Das Personal an den Schulen ist mit der Stimmung in Teilen der Schüler*innenschaft auch deshalb überfordert, weil die Entwicklung wichtiger Kompetenzen – wie Gewaltfreie Kommunikation und Emotionales und Soziales Lernen – bisher kein etablierter Teil ihrer Ausbildung waren. Den Empfehlungen der KMK zur »Bildung in der digitalen Welt« von 2021 folgend sollte dies dringend nachgeholt werden.
Die aktuelle Situation, die von Falschmeldungen geprägt ist und in der leider viele Kinder im Internet mit Bildern und Botschaften konfrontiert sind, die ihrer psychischen Gesundheit dauerhaft schaden können, zeigt außerdem, wie wichtig eine effektive Medienbildung an den Schulen ist. Auch hier müssen zusätzliche Ressourcen aufgebaut werden, damit die fachübergreifend im Rahmenlehrplan verankerte Medienbildung die wichtige Aufgabe erfüllen kann, die ihr innerhalb unserer Gesellschaft zukommt.
Der LAMA unterstützt das Bemühen von Schulsenatorin Günther-Wünsch, Schulen in dieser schwierigen Situation beizustehen und Lehrkräften hilfreiches Material und Anlaufstellen zu nennen. Er empfiehlt jedoch dringend, statt einer Erleichterung disziplinarischer Möglichkeiten, die die Gefahr des Abbaus demokratischer Strukturen in sich tragen, Schulen besser in ihrem Bildungsauftrag zu fördern. Nicht nur angesichts der aktuellen angespannten Lage an vielen Schulen, sondern auch im regulären Schullalltag brauchen Lehrkräfte an allen Schulen mehr Unterstützung von Fachkräften aus den Bereichen Psychologie, Sozialpädagogik und Sonderpädagogik. Das zeigen auch die Ergebnisse des Deutschen Schulbarometers von 2023, in dem Lehrkräfte »auffälliges Verhalten von Schüler*innen« am häufigsten als Herausforderung im Beruf nannten.
Wenn wir von einem gescheiterten beziehungsweise gefährdeten »Schulfrieden« sprechen, ist es im Grund unsere Pädagogik, sind wir es, die gescheitert sind.