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Schwerpunkt "Rastlos in der Uni"

Mütter in der Wissenschaft

Das bundesweite Netzwerk Mutterschaft und Wissenschaft bietet eine Austausch- und Unterstützungsplattform für familienfreundlichere Hochschulen. Stefanie Marker und Christina Völlmecke über ihre Arbeit in der Berliner Lokalgruppe

Foto: Bertolt Prächt

bbz: Was genau ist das Netzwerk Mutterschaft und Wissenschaft?

 

Stefanie Marker: Das bundesweite Netzwerk Mutterschaft und Wissenschaft wurde vor der Pandemie gegründet und verbindet Mütter aus dem akademischen Bereich. Durch Corona und die damit verbundenen Einschränkungen, von denen vor allem Mütter betroffen waren, hat das ganze richtig Fahrt aufgenommen. In dieser Zeit haben Christina und ich auch die WӔ-Community gegründet. Diese Community richtet sich speziell an Frauen von der Kunst bis zu den Ingenieurswissenschaften. Aus unserer Sicht gab es da viele Schnittstellen und darum haben wir eine starke Verbindung zum Netzwerk Mutterschaft und Wissenschaft.

Christina Völlmecke: Wir haben uns während der Pandemie zunächst informell über persönliche Belastungen ausgetauscht und dann aber gemerkt, dass viele Frauen in ähnlicher Weise betroffen sind und wir uns breiter vernetzen müssen. Daher freuen wir uns sehr, die Berliner Lokalgruppe des Netzwerkes Mutterschaft und Wissenschaft vertreten zu können. Die meisten Mütter in der Wissenschaft entsprechen nämlich einfach nicht dem Idealbild des freien, allein der Forschung verpflichteten Genies, sondern haben auch hauptsächlich Care-Arbeit, also beispielsweise Pflege von Kindern oder Angehörigen, zu leisten und müssen diese verschiedenen beruflichen und familiären Anforderungen gleichzeitig bewältigen.

 

Wieso ist es in der Wissenschaft so schwierig, Arbeit und Sorge unter einen Hut zu bekommen?

 

Marker: Wissenschaft funktioniert halt nicht während der üblichen Arbeitszeiten, sondern vieles passiert zu Zeiten, in denen Kita oder Schule geschlossen sind. Dazu kommen die vielen Kongressreisen im In- und Ausland und längere Forschungsaufenthalte, die gerade mit schulpflichtigen Kindern schwer vereinbar sind.

Völlmecke: Manchmal tut sich in einem Projekt auch kurzfristig eine dringende Aufgabe auf oder bestimmte Versuche müssen zeitnah durchgeführt werden. Wenn dann aber die Zeit drängt, weil das Kind aus der Kita abgeholt werden muss, bleiben diese wichtigen Forschungsarbeiten schnell auf der Strecke. Die Familienplanung und -organisation wird dadurch erschwert, dass häufig nur befristete Verträge mit teilweise sehr kurzen Laufzeiten vergeben werden. Die meisten Mütter sehen sich beispielsweise mit der Frage konfrontiert, ob sie sich Elternzeit während eines laufenden Projektes nehmen können und welche Folgen das dann für ihre Karriere hat.

Marker: In der Wissenschaft herrscht ein großer Wettbewerb und damit verbunden die allgemeine Erwartung, dass Forschungsanträge, Lehrevaluationen und Publikationen immer erstklassig und perfekt sein müssen. Wenn dann auch noch die Sorge hinzukommt, die Familie bald nicht mehr finanzieren zu können, weil der Vertrag bald ausläuft, dann erhöht das die Belastung ungemein.

 

Habt ihr selber mal überlegt, das Handtuch zu werfen?

 

Marker: Auf jeden Fall. Ich frage mich ganz häufig, warum ich mich diesem Druck eigentlich aussetze. Aber ich forsche einfach sehr gerne an meinem Thema, bekomme gutes Feedback und möchte unbedingt dranbleiben, um einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten.

Völlmecke: Ich habe schon oft überlegt, aus der Wissenschaft auszusteigen, aber dann doch wieder die Motivation gefunden weiterzumachen, vor allen Dingen auch wegen solcher Netzwerke. Wir müssen einfach zusammenhalten und hoffentlich können wir gemeinsam einen Wandel bewegen. Wenn wir jetzt nicht dranbleiben, dann bleibt alles, wie es ist.

 

Was wäre denn aus eurer Sicht notwendig, um die Situation zu verbessern?

 

Völlmecke: Wir haben zehn sofort umsetzbare und kostengünstige Maßnahmen zusammengestellt. Eine Idee ist zum Beispiel, sogenannte Corona-Zertifikate einzuführen. Die Idee für diese Zertifikate stammt ursprünglich von Jutta Allmendinger. Darin ist schriftlich festgehalten, dass man während der Pandemie besonderen Belastungen ausgesetzt war und trotzdem weiter geforscht und gelehrt hat. Diese Zertifikate können dann Bewerbungen als Referenz beigelegt werden. Des Weiteren halten wir es für notwendig, dass Führungspersonen an allen Unis und Forschungsinstitutionen verpflichtend entsprechende Schulungen durchlaufen. Das gibt es bisher überhaupt nicht.

Marker: Außerdem halten wir es für sinnvoll, dass alle Neueinsteiger*innen im Wissenschaftsbetrieb an einem Onboarding-Programm teilnehmen können, um am Arbeitsplatz anzukommen und die Kolleg*innen kennenzulernen. In der Wirtschaft sind solche Programme üblich, in der Wissenschaft hingegen muss man sich in der Regel am Anfang alles selber erarbeiten. Das wären sicherlich alles ganz einfache Maßnahmen, um die Leute nachhaltig zu entlasten.

 

Habt ihr konkrete Aktionen geplant oder habt ihr in der letzten Zeit welche durchgeführt?

 

Marker: Mit der WӔ-Community haben wir bisher zwei sehr erfolgreiche Festivals durchgeführt, die explizit darauf abzielten, Frauen und Care-Arbeitende in der Wissenschaft sichtbar zu machen. Im Rahmen dieser Festivals haben wir mit verschiedenen Fachvorträgen und Podiumsdiskussionen mit dem Futurium hier in Berlin auf das Thema aufmerksam gemacht.

Völlmecke: Wir haben in diesem Zusammenhang auch verschiedene virtuelle Ausstellungen zusammengestellt und kuratiert. Die letzte Ausstellung thematisiert auch die Zeit in der Wissenschaft. Anlass dafür war, dass kaum jemand Zeit hatte, etwas zu einer von uns geplanten Ausstellung einzureichen. So haben wir uns entschlossen, genau das zum Thema zu machen. Darüber erhalten wir fortlaufend bereicherndes Feedback und viele neue Impulse, aber es fehlen Ressourcen, sie umzusetzen.

 

Welchen Rat würdet ihr Müttern in der Wissenschaft geben?

 

Marker: Sagt Ja zur Wissenschaft, auch mit Kind oder Kindern, aber sagt Nein zu familienfeindlichen Führungskräften oder Teams.

Völlmecke: Und ich würde gerne noch ergänzen: Sprecht mit anderen Wissenschaftler*innen mit Kindern und versucht an eurem Arbeitsort gemeinsam familienfreundliche Strukturen aufzubauen! Es ist aus meiner Sicht ganz wichtig, dass man sich gegenseitig stärkt und vor allen Dingen Verständnis füreinander hat.

 

Das Netzwerk »WӔ – Womxn from Arts to Engineering« vereint FLINTA-Personen von der Kunst bis zu den Ingenieurswissenschaften, um gemeinsam technische Herausforderungen unserer Zeit zu überwinden (www.festival.wae-community.org).

 

Das Netzwerk Mutterschaft und Wissenschaft bietet für all jene ein Forum, die sich als Mütter identifizieren und im Wissenschaftsbetrieb arbeiten, um sich auszutauschen, zu vernetzen, sich gegenseitig zu unterstützen und zu informieren. Stefanie und Christina organisieren die Lokalgruppe dieses Netzwerks in Berlin. www.mutterschaft-wissenschaft.de

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46