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blz 09 / 2014

Ein gutes Leben

Boris Fahlbusch und Erhard Laube über ihre Karrieren und den Ruhestand

Ihr habt beide im Beruf ziemlich was um die Ohren gehabt, und dann plötzlich der Ruhestand. Hattet ihr euch darauf vorbereitet?

E: Ich habe ja angefangen als Lehrer, dann war ich zehn Jahre GEW-Vorsitzender, dann Schulleiter und schließlich Abteilungsleiter in der Senatsbildungsverwaltung. Da hatte ich immer eine Menge zu tun und viele persönliche Interessen sind deshalb auf der Strecke geblieben. Ich habe mich eigentlich nur gefreut, dass ich dafür endlich Zeit habe.

Und das hat problemlos geklappt, dieses Umschalten ohne den Arbeitsalltag?

E: Eigentlich ja. Ich bin 2012 Pensionär geworden und genieße immer noch jeden Tag, dass ich mir alles frei einteilen kann, meinen Interessen nachgehen kann. Ich kann spontan etwas tun und bin nicht durch längerfristige Planung gebunden, herrlich.
B: Für mich ist es ähnlich. Eigentlich ist es die beste Zeit meines Lebens. Denn ich bin wirklich frei, kann machen was ich will, wunderbar.

Ist es nicht beunruhigend, dass man eigentlich nicht mehr gebraucht wird?

B: Kann ich nicht sagen. Ich mache weiterhin Sachen, an denen ich Interesse und Spaß habe. Jetzt hole ich viele Sachen nach, die ich früher nicht geschafft oder nicht gemacht habe. Ganz davon abgesehen entwickelt man natürlich auch neue Interessen. Also: Der Ruhestand ist interessant!

Seid ihr noch politisch aktiv? Über Boris habe ich gerade gelesen, er habe 2012 noch in Sachsen-Anhalt als Vermittler beim Streit um mehr Lehrkräfte zwischen den SPD-Ministern Dorgeloh (Bildung) und Bullerjahn (Finanzen) gewirkt.

B: Das habe ich auch noch 2013/14 gemacht. Ich berate auch sonst noch Verwaltungen, verwende also durchaus noch meine Kenntnisse. Außerdem schreibe ich auch noch Gutachten zu personalrechtlichen und bildungsökonomischen Fragen. Dann gibt es da noch mein Europa-Projekt, um das ich mich kümmere. Dort geht es um die Ausbildung von Nachwuchskräften für die Verwaltung; da kommen vor allem junge Leute aus Ungarn, die ein Ausbildungspraktikum in deutschen Ministerialverwaltungen absolvieren.

Das klingt aber nicht sehr nach Ruhestand!

B: Na ja, das sind aber alles Sachen, die ich mir frei einteilen kann. Das ist schon ein großer Unterschied. Ich kann selbst entscheiden, ob ich mehr mache oder weniger. Das hängt dann immer auch von der Tagesform und vom jeweiligen Inhalt ab.
E: Ich habe einen viel stärkeren Schnitt als Boris gemacht. Ich bin im Bildungsbereich gar nicht mehr aktiv. Ich lehne auch verbindliche oder unverbindliche Anfragen ab, wenn sie mich zeitlich binden würden. Ich habe keine Lust, eine Art von Nebentätigkeit auszuüben, die mich beispielweise zwei Tage die Woche festlegt.

Und was machst du dann so?

E: Ich genieße es, zum Beispiel in der Natur zu sein, Fotoprojekte zu realisieren oder irgendetwas im Naturschutz zu tun. Oder zur Ostsee zu fahren zum Windsurfen oder Kiten. Und auch Zeit zu haben zum Lesen und für andere Menschen.

Boris, du warst insgesamt 12 Jahre im GLV, davon 8 Jahre Vorsitzender, bevor du 1988 die Seiten gewechselt und mit deiner Stellvertreterin Sybille Volkholz die Schulverwaltung übernommen hast. Kurz darauf hat die GEW zu Streiks aufgerufen. Ihr beiden, die ihr als Rädelsführer beim Streik gegen den Nachrüstungsbeschluss 1983 zu immerhin einem halben Monatsgehalt Disziplinar-Strafe verurteilt wurdet, musstet nun selbst einschreiten. Wie war das für dich?

B: Also zunächst haben wir die Senatsschulverwaltungen nicht übernommen, sondern dort ein neues, bisher unbekanntes Tätigkeitsfeld kennengelernt.

Das ist immer so, wenn man eine neue Tätigkeit übernommen hat, oder wie du das formuliert hast, die Seiten wechselt – was nicht ganz richtig ist, das kann man auch anders sehen. Also: Man muss diese neue Rolle auch annehmen. Wie man sie dann ausfüllt, ist eine andere Frage. Aber es gibt eindeutige Spielregeln, an die man sich halten sollte. Dabei muss man natürlich mit Augenmaß an die Dinge und die neue Rolle herangehen. Wobei ich sagen muss, dass die ersten zwei Jahre in der Schulverwaltung für mich insofern anstrengend waren, weil man ja einerseits den Rollenwechsel bewältigen muss und andererseits fast täglich neue Aufgabenfelder inhaltlich erschließen muss. Das geht auch nicht von heute auf morgen. Ging bei mir jedenfalls nicht so.

Erhard, du warst Jahre später in einer ähnlichen Situation und hast Schelte erhalten. Wie war das für dich?

E: Na ja, für manche GEWlerInnen war ich ja schon ein Verräter, als ich Schulleiter wurde, was ich ja immerhin mehr als acht Jahre lang gemacht habe. Auch als Schulleiter hat man ja andere Aufgaben und entwickelt eine andere Sichtweise als ein GEW-Vorsitzender. Als Abteilungsleiter, um noch einmal auf das Thema Streik zurückzukommen, habe ich meine grundsätzliche Einstellung zum Beamtenstreik im Vergleich zu meiner GEW-Tätigkeit nicht verändert. Nach wie vor hänge ich an der alten Forderung nach einem einheitlichen Dienstrecht und halte es für ein überkommenes Relikt, dass Beamte nicht streiken dürfen. Aber es ist nun mal so, dass nach der herrschenden Rechtsprechung Beamten dies abgesprochen wird. Daran habe ich mich auch als Abteilungsleiter zu halten. Ich habe mich schon sehr gewundert, dass manche in der GEW glaubten, ich könnte plötzlich den Beamtenstreik erlauben oder als Abteilungsleiter befürworten. Natürlich ist gegenwärtig der Beamtenstreik eine bewusste Regelverletzung – mit den entsprechenden Konsequenzen –, was auch jeder in der GEW BERLIN weiß. Allerdings muss ich auch sagen, dass ich froh bin, in einer Gesellschaft zu leben, wo nicht ein einzelner Abteilungsleiter entscheiden kann, ob Beamte in Deutschland streiken dürfen oder nicht.

Boris hat zwei Jahre gebraucht, um in seine Rolle zu kommen. Und du?

E: Der Anpassungsprozess war eigentlich schwieriger in einem anderen Bereich. Vorher als Lehrkraft, als Vorsitzender, als Schulleiter war ich immer sehr, sehr eigenständig. In einer Verwaltung ist man doch stärker abhängig von Vorgaben und in Hierarchien eingebunden, als ich mir das vorgestellt habe.
B: Das war bei mir etwas anders. In Brandenburg musste ja alles erst aufgebaut werden, da gab es noch keine ausgebauten Hierarchien. Da gab es noch eine große Offenheit, weil es ja eine völlig neue Situation war, die eben noch nicht durchgeregelt war. Das war hochspannend und man konnte da noch krea-tiv sein beim Aufbau.

Was gab es noch für positive Momente für euch bei eurer neuen Tätigkeit?

B: Mir hat diese Tätigkeit als Abteilungsleiter in der Brandenburger Bildungsverwaltung richtig Spaß gemacht! Weil man Menschen in ihren Arbeitsprozessen kennenlernen konnte, Abläufe neu organisieren musste, Prozesse abstimmen und Antworten geben, auf drängende Fragen, die die Schulen bewegten. Und wir hatten zumindest in den ersten Jahren in der Verwaltung ein Verhältnis, dass alles sehr offen diskutiert wurde. Das war schon eine einmalige Situation.
E: Dass ich Chef der Schulaufsicht geworden bin, hing ja auch damit zusammen, dass mich Bildungssenator Jürgen Zöllner persönlich angesprochen hat und wir beide auch ein sehr persönliches und vertrauensvolles Verhältnis zueinander hatten. Das war natürlich für mich eine große Hilfe, denn andererseits beobachtete man mit Argusauen, was dieser ehemalige GEW-Vorsitzende so anstellt. Aber letztlich war es so, dass ich doch sehr, sehr viele Menschen in der Verwaltung getroffen habe, die an vernünftigen und konstruktiven Lösungen interessiert waren. Sicher viel mehr als sich das manch eine in der GEW vorstellen kann.

Anfang der siebziger Jahre hieß es, man müsse in der GEW sein, um in der Schulverwaltung Karriere machen zu können. Das war euch damals wohl auch suspekt. Habt ihr euch geändert? Haben sich die Umstände geändert? Ist alles anders?

E: Na ja, bei mir war das ja nicht geplant. Ich hatte ja schon als Schulleiter meinen Antrag auf Altersteilzeit eingereicht, als Zöllner mich gefragt hat. Ich wollte nicht Schulaufsichtsbeamter werden, aber dass ich es geworden bin, bereue ich überhaupt nicht. Es gibt ja auch viele Beispiele, dass GEW-Leute mit ihren Erfahrungen und dem anderen Blickwinkel in der Bildungspolitik durchaus geeignet sind, vernünftige Lösungen zu entwickeln.
B: Für mich war meine GEW-Vergangenheit immer ein positiver Aspekt. Denn da-durch konnten wir in Brandenburg auch gut und vernünftig miteinander verhandeln. Ich wusste, was den Gewerkschaften zugemutet werden konnte und wo Schluss war. Wir haben dann auch in Brandenburg eine Reihe Vereinbarungen mit der GEW und den anderen Lehrergewerkschaften geschlossen, die für die Beschäftigten zwar erhebliche finanzielle Einschränkungen bedeuteten, aber ihnen eine Arbeitsplatzgarantie gab.

Erhard, als Du GEW-Vorsitzender gewesen bist, hatte die GEW BERLIN von 1992 bis zu Deinem Weggang 1999 zahlreiche Vereinbarungen abgeschlossen. Das ist ja so nicht weitergeführt worden mit den Verhandlungen. Was schlagt ihr der GEW heute vor?

E: Eigentlich bin ich grundsätzlich ein Fürsprecher für Verhandlungslösungen. Dazu gehören zwei Seiten: eine politische Spitze, die dazu bereit ist, und ein Gegenüber, das verlässlich und ansprechbar ist und ebenfalls an einem Abschluss interessiert ist. Ich finde das nach wie vor einen guten Weg, der uns auch viel gebracht hat. Zum Beispiel beim Kampf um die Lehrkräfte mit Fristvertrag 1998. Damals gab es weit über 1000 Lehrkräfte, deren befristeter Vertrag wegen der Sparmaßnahmen zum Jahresende auslaufen sollte. Es war mir klar, dass wir nur mit politischem Druck, auch mit Streik, nicht diese vielen jungen Lehrkräfte vor der Arbeitslosigkeit bewahren konnten. Deshalb vereinbarte die GEW BERLIN mit der Senatsverwaltung, dass Lehrkräfte auf einen Teil ihrer Stunden verzichten können, die dann für die Weiterbeschäftigung der FristverträglerInnen eingesetzt wurden. Parallel zum Werben für zusätzliche Teilzeit machte die GEW BERLIN eine beispiellose öffentliche Kampagne mit Anzeigen, Plakaten, Demonstrationen und Arbeitsniederlegungen. Der politische Druck, auch durch eine sympathisierende Öffentlichkeit, war so hoch, dass der Senat mehr zusätzliche Stellen bewilligen musste als durch Teilzeit gewonnen waren. Im Ergebnis konnten alle weiterbeschäftigt werden, in etlichen Fällen auch durch erfolgreich geführte Prozesse.

Diese Kampagne war auch in der Gewerkschaft anfangs umstritten, da die GEW für die Bezahlung der neuen KollegInnen auf den Verzicht von Gehaltsanteilen aufrief. Insgesamt für uns eine sehr erfolgreiche Aktion. Persönlich erinnere ich mich sehr gerne daran, wie unglaublich intensiv und gut die Mobilisierung der Basis verlief. Und wie toll die Zusammenarbeit mit Ilse Schaad war; ohne sie hätte das alles nicht so klappen können.

Was hat die GEW eigentlich sonst noch so erreicht?

E: Na, immerhin waren Brandenburg und Berlin die einzigen neuen Bundesländer, in denen es keine Massenentlassungen mangels Bedarf gegeben hat! Das war sicherlich auch etwas Menschen wie Boris und mir zu verdanken, die dafür zumindest ein klein wenig mitgewirkt haben.
B: In Brandenburg wollten wir keine Massenentlassungen von Lehrkräften. Nicht nur, dass davon vor allem Frauen betroffen gewesen wären, sie machen ja über 70 Prozent der Beschäftigten im Schuldienst aus, sondern auch, weil es andere, aus meiner Sicht intelligentere Lösungen gab, wie wir gezeigt haben.
E: Nach dem großen Streik gegen die Arbeitszeitverlängerung 1992 konnten wir immerhin in Berlin zwischen Klemann und der GEW eine Vereinbarung abschließen, die Kündigungen mangels Bedarf ausschloss. Die GEW hat aus diesem großen Streik die Kraft gewonnen, 1999 jährlich Vereinbarungen zur Organisation des Schuljahres abzuschließen. Das war schon eine erhebliche Ausweitung unseres Einflussbereiches.
B: Also, da hat sich schon einiges getan. Man braucht ja nur die harten Fakten anzuschauen: Sowohl was die Frequenzen angeht als auch die Stundentafel oder die Lehrer-Schüler-Relation, da gibt es schon große Verbesserungen. Trotzdem klagen die Gewerkschaften, es sei vieles schlechter geworden; das ist Teil ihres Geschäfts.

Und wie kommt man aus dieser Ecke raus? Ganz so grundlos, wie du es darstellst, sind die Klagen nun auch wieder nicht.
B: Zum einen muss die Gewerkschaft strategische Überlegungen anstellen, was sie durchsetzen will. Und sie muss aus meiner Sicht versuchen, Verhandlungen zu führen und die Ergebnisse auch schriftlich fixieren. Die dann erreichten Ergebnisse auch als Erfolge anzusehen und so auch besprechen, auch wenn nicht immer 100 Prozent GEW-Forderungen umgesetzt wurden. Das scheint mir oft ein Problem der Gewerkschaft GEW zu sein, dass jeder Kompromiss eigentlich als eine Niederlage angesehen wird. Ein Kompromiss ist aber das in einer spezifischen Situation möglich Erreichbare, das muss man dann doch nicht schlechtreden.
E: Das sehe ich auch so. Die Gewerkschaft muss aber auch Prioritäten setzen können und nicht immer den kunterbunten Strauß von zig Forderungen vor sich her tragen. Denn in Verhandlungen können natürlich nie alle GEW--Forderungen durchgesetzt werden. Das Beharren auf dem bunten Strauß und den Maximalforderungen mag für Funktionäre einfach sein, führt aber nicht zu konkreten Ergebnissen.
B.: Nur ein Beispiel: 1988 als Sybille und ich in die Senatsschulverwaltung gewechselt sind, haben wir zum ersten Mal seit zig Jahren eine Arbeitszeitverkürzung um eine Stunde durchbekommen, was im Senat hoch umstritten war. Aber was kam da an Protesten auf den GEW-Versammlungen? Die große Klage, dass die Schulleiter davon ausgenommen waren. 90 Prozent der Lehrkräfte erhielt eine Arbeitszeitverkürzung – ohne Zweifel ein Erfolg, aber geredet wurde nur über die »Abkopplung« der Schulleiter, über das »Nichterreichte«. So werden »Erfolge« umgedeutet und man verliert auch noch Bündnispartner. Das ist zwar ein Beispiel aus der Vergangenheit, aber ich glaube, so viel anders ist das Wahrnehmungsschema auch heute noch nicht.

OK, das merken wir uns erst einmal und machen hier Schluss. Boris, Erhard, wir danken euch für das Gespräch.


Boris Fahlbusch
Jahrgang 1946, Berufsschullehrer, Vorsitzender der GEW BERLIN von 1981 bis 1989, davor von 1977 bis 1981 Leiter des Referates A. Mit seiner damaligen stellvertretenden GEW-Vorsitzenden Sybille Volkholz im März 1989 für die Alternative Liste in den Schulsenat gezogen: Sybille als Schulsenatorin, Boris als ihr Büroleiter und persönlicher Referent. Als im November 1990 die Koalition zerbrach, ging Boris nach Brandenburg als Abteilungsleiter ins Bildungsministerium. Seit 2010 pensioniert. 1983 Disziplinarverfahren, weil er als GEW-Vorsitzender zum Streik gegen den Nachrüstungsbeschluss aufgerufen hatte.

Erhard Laube
Jahrgang 1947, Grundschullehrer, Pressesprecher von 1977 bis 1979 und dann 1989 bis 1999 Vorsitzender der GEW BERLIN. Danach leitete er die Spreewald-Grundschule und wechselte 2008 als Abteilungsleiter in die Senatsbildungsverwaltung, wo er bis zum Ausscheiden aus dem Schulddienst im März 2012 blieb. 2006 hat er mit Wolfgang Harnischfeger den VBS, also die Vereinigung der Berliner SchulleiterInnen in der GEW, gegründet. Erhard war maßgeblich daran beteiligt, den JÜL-Schulversuch zu starten.