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Perspektive Quereinstieg

Nicht die Dequalifizierung sollte uns Angst machen, sondern die Entsolidarisierung

Es führen mehr Wege in die Schule als nur das Lehramtsstudium. Quereinsteiger*innen müssen als Sündenböcke für das Versagen des Senats herhalten. Sie verdienen unsere Solidarität.

Foto: GEW BERLIN

Ich habe mich erst lange nach dem Abitur und nach einer Ausbildung als Tischlerin für das Lehramtsstudium entschieden. Vielleicht bin ich deshalb eine »Quereinsteiger-Versteherin«. Für mich sind Quereinsteiger*innen nicht die Ursache der vielen Probleme an unseren Schulen. Ich habe viele Quereinsteiger*innen persönlich kennengelernt. Zum Beispiel Claudia Zimmermann. Sie rief eines Tages bei mir im Personalrat an: Sie hatte sich als Lehrerin für eine Willkommensklasse beworben. Beim Bewerbungsgespräch war man begeistert von ihrem Lebenslauf. Die Schulleitung bot ihr gleich den Quereinstieg an. Ich hatte fast den Eindruck, dass ich mich mehr über dieses Angebot freute als sie. Verunsichert fragte sie mich: »Was ist das: Berufsbegleitender Vorbereitungsdienst?«

Den Praxisschock gab es lange vor dem Quereinstieg

Über viele Jahre habe ich mit Matthias Jähne und Herbert Hannebaum die GEW-Informationsveranstaltung zum Quereinstieg durchgeführt. Ich weiß daher, dass sich viele Menschen für den Quereinstieg bewerben, weil die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft miserabel sind. Sie sind gekennzeichnet durch befristete Beschäftigung und fehlende Karrierechancen. Würde die GEW alle ihre Forderungen für bessere Arbeit an den Hochschulen durchsetzen, gäbe es sicher deutlich weniger Bewerber*innen für den Quereinstieg! Und was dann? Sollten wir nicht froh darüber sein, dass sich immer noch Menschen für den Schuldienst entscheiden? Wären Stundenaufstockung und der Einsatz von Pensionär*innen die bessere Lösung? Als Mutter finde ich auch Klassenfrequenzerhöhungen und Stundenausfall nicht besser.

Für die Schule von Claudia Zimmermann war sie jedenfalls ein Glücksfall. So kam sie mit Kunst und Deutsch in den Quereinstieg – ganz ohne »Mangelfach«, denn nur nach einer »Einzelfallprüfung« wurde sie zugelassen. Dafür musste die Schulleitung nachweisen, dass es keine sogenannten Laufbahnbewerber*innen gab und sie Claudia Zimmermann für geeignet hielt – beides kein Problem für die Sekundarschule ohne gymnasiale Oberstufe im sozialen Brennpunkt. Nach mehr als zehn Jahren als Kunstpädagogin und Sprachlehrerin verfügt Claudia Zimmermann über mehr pädagogische Erfahrung als manche Lehramtsabsolvent*innen. Viele Referendar*innen kritisieren ihr Lehramtsstudium als praxisfern. Den Praxisschock gab es lange vor dem Quereinstieg! Dennoch werden bei Quereinsteiger*innen oft andere Maßstäbe angesetzt. Obwohl viele didaktisch nicht ausgebildet sind, müssen sie mit mindestens 13 Stunden eigenverantwortlich unterrichten. Drei Stunden mehr als »normale« Referendar*innen. Meist bekommen sie auch weniger Möglichkeiten im Unterricht zu hospitieren als die Lehramtsabsolvent*innen. Mentor*innen, für die die GEW hartnäckig gekämpft hat, sind oft nicht vorhanden. So kommt es mancherorts zu absurden Situationen. Der*die Quereinsteiger*in ist die einzige »Fachkraft« oder ist Mentor*in für andere Quereinsteiger*innen.

Während wir uns an anderen Stellen gegen Stereotypenzuschreibung wehren, scheinen die Fronten in der Frage Quereinstieg klar. Die und wir, die wir uns bewusst für das Lehramt entschieden haben und dafür ausgebildet sind. Wir, die Überlehrer*innen! Vielleicht habe nur ich Referendar*innen getroffen, die lieber Profisportler*innen, Künstler*innen oder Musiker*innen geworden wären.

Viele wollen sich nicht als Quereinsteiger*innen outen

Wir sollten uns darüber klar werden, dass es neben dem Lehramtsstudium noch andere Qualifikationen gibt, die sich im Schulalltag als pädagogisch wertvoll entpuppen. Wenn wir unsere Vorurteile gegenüber Quereinsteiger*innen überwinden, können wir vielleicht auch etwas von ihnen lernen.

Eine Quereinsteigerin berichtete mir, dass sich ihr jugendliches Aussehen als Nachteil erwies, als Mitreferendar*innen sie offenbar für eine »normale« Referendarin hielten und in ihrer Gegenwart über Quereinsteiger*innen herzogen. Nicht verwunderlich, dass sich viele nicht als Quereinsteiger*innen outen wollen. Als Gewerkschaft sollte uns diese Entwicklung beunruhigen und wir sollten alle aktiv gegen diese Entsolidarisierung angehen. Tatsache ist doch, dass wir auch in den kommenden Jahren darauf angewiesen sind, dass sich Menschen für den Schuldienst entscheiden. Und wir haben nicht die Zeit darauf zu warten, dass sie erst ein Lehramtsstudium abschließen.

»Mangelfächer«
Für jede Einstellungsrunde legt die Senatsbildungsverwaltung »Mangelfächer « fest. Laufbahnbewerber*innen mit einem »Mangelfach« bekommen dann eine Einstellungsgarantie. Menschen mit einem Hochschulabschluss in einem »Mangelfach« dürfen sich für den Quereinstieg bewerben. Andere Abschlüsse werden nur in Einzelfällen geprüft. Mit dem tatsächlichen Lehrkräftemangel an den Schulen hat diese Festlegung nur wenig zu tun. So wurden jahrelang keine Lehrkräfte für Darstellendes Spiel (DS) an den Berliner Hochschulen ausgebildet. Für tätige Lehrkräfte wird deshalb eine Weiterbildung in DS angeboten. Und dennoch ist DS kein offizielles Mangelfach. Aber nicht nur der Bedarf an den Schulen spielt für die Festlegung der »Mangelfächer« kaum eine Rolle: Weil die Senatsbildungsverwaltung mit der Prüfung der zahlreichen Bewerbungen überlastet war, wurde Biologie aus dem Mangelfachkanon gestrichen.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
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