Gute Arbeit in der Wissenschaft
Postdoc-Regelung im Berliner Hochschulgesetz ist verfassungskonform
Ein neues Rechtsgutachten der Verfassungsrechtlerin und ehemaligen Richterin am Landesverfassungsgericht Brandenburg, Frau Prof. Dr. Rosemarie Will, belegt, dass die sogenannte Post-Doc-Regelung im Berliner Hochschulgesetz (BerlHG) rechtskonform ist.
Das von der GEW BERLIN in Auftrag gegebene Gutachten zeigt, dass die Regelung des § 110 Abs. 6 Berliner Hochschulgesetz weder in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Arbeitsrecht und zur Befristung von Arbeitsverträgen aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 Grundgesetz eingreift noch die Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz beeinträchtigt.
Die mit dem Gesetz zur Stärkung der Berliner Wissenschaft von September 2021 eingeführte und seitdem von Universitätsleitungen sowie der CDU- und FDP-Fraktionen heftig angegriffene Regelung sieht vor, dass promovierten Wissenschaftler*innen in einem qualitätsgesicherten Verfahren eine unbefristete Beschäftigung anzubieten ist, wenn sie vorher festgelegte Qualifizierungsziele erfüllt haben und dauerhaft selbstständige Aufgaben in Lehre und Forschung in den Hochschulen wahrnehmen sollen.
„Das Gutachten ist ein deutliches Signal an die Koalition und die Hochschulleitungen, den Weg für mehr dauerhafte Perspektiven hochqualifizierter Wissenschaftler*innen neben der Professur fortzusetzen. Die schon lange nicht mehr zeitgemäße und international nicht wettbewerbsfähige Personalstruktur der Universitäten mit dem Flaschenhals der Professur und ihren Abhängigkeitsverhältnissen muss überholt werden“, erklärte die Vorsitzende der GEW BERLIN, Martina Regulin. „Das Gutachten macht auch deutlich, dass der aktuelle Senatsentwurf zur Konkretisierung des § 110 Abs. 6 noch nicht die erforderliche Rechtssicherheit herstellt und dringend geändert werden muss.“
Das Gutachten von Rosemarie Will zeigt: Der strittige Paragraph 110 Abs. 6 führt keine neuen Befristungsregelungen für wissenschaftliche Mitarbeiter*innen ein. Vielmehr handelt es sich um eine landesrechtliche Regelung des Personalwesens im Hochschulbereich, für die der Landesgesetzgeber die verfassungsrechtliche Zuständigkeit hat. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) des Bundes lässt in § 1 Abs. 2 ausdrücklich zu, dass wissenschaftliches Personal auch unbefristet beschäftigt werden kann.
Die gesetzliche Verpflichtung im BerlHG zu einer unbefristeten Anschlusszusage nach Beendigung der Postdoc-Qualifizierungsphase führt zum Abschluss eines neuen unbefristeten Vertrages. Es handelt sich dabei nicht um die Entfristung eines bestehenden befristeten Vertrages. Der neue unbefristete Arbeitsvertrag dient zudem nicht mehr der wissenschaftlichen Qualifizierung, sondern der eigenständigen Wahrnehmung von Daueraufgaben in Lehre und Forschung, die zuvor den wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen nur weisungsgebunden an eine Professur möglich waren.
Das Gutachten betont: Die rechtlichen Spielräume zur Befristung von Verträgen zur wissenschaftlichen Qualifizierung, die das WissZeitVG eröffnet, werden durch die Regelung des § 110 Abs. 6 BerlHG in keiner Weise eingeschränkt. Die Voraussetzungen für den Abschluss unbefristeter Verträge hat der Bundesgesetzgeber den Ländern im Rahmen ihrer Hochschulgesetzgebung zu Personalstrukturen und Einstellungsvoraussetzungen nach Art. 70 Abs. 1 GG überlassen.
„Die Universitäten haben es im Rahmen ihrer Hochschulautonomie selbst in der Hand, zu entscheiden, wie viele und welche Stellen für Daueraufgaben in Lehre und Forschung sie für ihre Aufgaben benötigen. Sie haben damit die Möglichkeit prekäre Beschäftigung abzubauen und Forschung und Lehre zu stärken“, so Regulin.
Das Gutachten kommt darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass die Regelung des § 110 Abs. 6 BerlHG die Qualifizierungsmöglichkeiten von Nachwuchswissenschaftler*innen nicht wesentlich einschränkt und damit auch nicht die Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz verletzt. Das ergebe sich schon daraus, dass es sich bei den neuen unbefristeten Stellen nicht mehr um Qualifizierungsstellen handelt. Um ein ausgewogenes Verhältnis von Qualifizierungsstellen und Dauerstellen zu schaffen, müssen und können die Universitäten selbst entsprechende Stellen- und Personalentwicklungspläne erarbeiten. Insgesamt handelt es sich um einen kleinen Anteil von Wissenschaftler*innen, die grundsätzlich für eine unbefristete Anschlusszusage in Frage kommen würden. FU und HU gehen jeweils von etwa 200 und die TU von rund 100 Wissenschaftler*innen aus.
„Der Hochschulgesetzgeber ist bei der Gestaltung der Personalstruktur insgesamt, einschließlich der Regelungen darüber, wie die Personalhoheit an den Hochschulen ausgeübt wird, frei, solange er die Funktionen garantiert, welche die Wissenschaft für die Gesellschaft und für sich selbst zu erfüllen hat“, so die Gutachterin Rosemarie Will. Und weiter: „Vielmehr tragen die Regelungen dazu bei, die Konkurrenzfähigkeit des Berliner Wissenschaftsbetriebes um die besten Köpfe (…) zu stärken, indem hochqualifiziertem wissenschaftlichem Personal eine Zukunftsperspektive in der Wissenschaft erhalten wird.“
Nach wie vor sind in Berlin 85 Prozent aller wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen (ohne Lehrkräfte und Dozent*innen) lediglich befristet beschäftigt. Ohne drittmittelfinanziertes Personal sind es immer noch 73 Prozent.
Die GEW BERLIN fordert die Humboldt Universität auf, ihre Verfassungsbeschwerde zurück zu ziehen. CDU und FDP sind angehalten, auf die Normenkontrollklage zu verzichten. „Diese Verfassungsklagen sind der durchsichtige Versuch, die notwendigen Reformen der Personalstruktur durch langwierige juristische Verfahren zu blockieren und die bisher unangetastete Allmachtstellung der Professorenschaft zu zementieren. Das ist die eigentliche Gefahr für den Wissenschaftsstandort Berlin“, betonte die GEW-Landesvorsitzende Regulin. „Wir appellieren an die Leitung der HU sowie die Oppositionsfraktionen, die Umsetzung der Regelung und die notwendige Personalentwicklungsplanung nicht weiter zu blockieren.“