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Queer Denken

Queere People of Color und ihre Situation in Berlin

Queer sein und rassifiziert zu werden, bedeutet oft Mehrfachdiskriminierung ausgesetzt zu sein. Warum Queer People of Color trotzdem eine sehr heterogene Gruppe sind.

Foto: Pixabay

Der Begriff Queer hat viele Bedeutungen. Er wird häufig als ein Sammelbegriff für geschlechtliche Ausdrucksweisen verwendet, die nicht Cisgender sind. Cisgender heißt, dass das Geschlecht, das bei Geburt zugeschrieben wurde, mit der gefühlten Geschlechtsidentität zusammenfällt. Auch sexuelle Orientierungen jenseits der heterosexuellen Norm werden als queer bezeichnet.

Othering oder wie der Gegenüber zum Fremden wird

Die Verwendung des Begriffs variiert bei queeren Menschen insofern, als dass sie das Queer-Sein als eigenständige Identitätskategorie verstehen können oder diesen mit anderen Kategorien wie schwul, lesbisch, bisexuell, transgender, non-binär, etc. verwenden. Eine Person of Color zu sein, lässt sich durch eine gelebte Erfahrung von Rassifizierung beschreiben, welche wiederum die gesellschaftliche Markierung von Menschen als das ewig Andere der westlichen Welt beinhaltet und dabei auf der Ebene von äußerlichen Merkmalen wie beispielweise der Hautfarbe operiert. Menschen, die sowohl rassifiziert werden, als auch queer leben, sind  in ihrem Alltag von Othering-Prozessen betroffen.

Diese Prozesse beschreiben, wie andere zu Fremden gemacht werden, um sich selbst aufzuwerten. Othering-Prozesse dienen also dazu, sein eigenes Image als positiv hervorzuheben, indem andere als negativ, anders oder fremd klassifiziert werden. Queer people of colour sind daher oft gezwungen, als Resutlat dieser Othering-Prozesse Kategorisierungen zu verkörpern, die lediglich auf cis-heteropatriarchalen Strukturen des Westens basieren. Dabei können diese Erfahrungen des Othering je nach ethnischer, geschlechtlicher und sexueller Positionierung des Subjekts unterschiedlich ausfallen. Die queere Schwarze, Indigene und Of-Color Community in Berlin kann somit nicht als homogene Gruppe betrachtet werden. Wir sind eine extrem diverse Gruppe mit einer Fülle an diversen Hintergründen, Bedürfnissen und Interessen.

Eine einheitliche Handlungsbasis finden

Wenn nicht nur die gruppenspezifischen Erfahrungen des Othering so divers sind, sondern auch die Interessen und Bedürfnisse verschieden sind, wie und warum kann es einer solchen Gruppe gelingen, eine gemeinsame Handlungsbasis zu finden und sich zusammenzuschließen.
Eine der Gemeinsamkeiten, die wir als Gruppe erfahren, ist das alltägliche und überlappende Erleben von sehr verschiedenen „Ismen“, wie zum Beispiel Rassismus, Homo- und Transphobie, Sexismus, Klassismus oder Altersdiskriminierung. Allerdings ist die Art und Weise, wie wir diese „Ismen“ erfahren, sehr komplex und hat Auswirkungen sowohl sozial, als auch auf emotionaler, öffentlicher und beruflicher Ebene und kann sich bis in unsere privaten Räume und Beziehungen ausweiten. Es gibt, bildlich gesprochen, keine große Rassismusdecke, die uns alle auf gleiche Weise bedecken würde. Kolorismus, Anti-Schwarzer Rassismus, sowie die Nähe zum weiß-Sein haben Einfluss darauf, wie wir unsere Leben führen und wie wir individuell mit den Überschneidungen mit anderen „Ismen“ umgehen. Auch die Art und Weise der Positionierung unseres Queer-Seins bzw. unserer geschlechtlichen Ausdrucksweisen wirkt sich darauf aus, wie wir uns durch die Welt bewegen. Menschen, die sich beispielsweise den westlichen Geschlechtsbinaritäten von „Mann“ und „Frau“ widersetzen, erleben mehr Gewalt.

Oder Sexualitäten, die beispielsweise jenseits der Binaritäten von „hetero“ und „homo“ oder jenseits von Beziehungsmodellen wie Monogamie oder der Institution der Ehe operieren, werden als abwegiger betrachtet und gelesen.

Es ist also eine Sache der Unmöglichkeit, über die eine „Situation“ unserer Gruppe hier in Berlin zu sprechen. Es gibt die eine Stimme nicht, die uns alle hier in der Stadt repräsentieren könnte. Jede einzelne Person hat ihre eigene Geschichte.

Rückzug, Assimilation oder Zusammenschluss

Innerhalb unserer Community sind traumatische Erfahrungen und emotionale Überanstrengungen und Anstrengungen keine Seltenheit. Der Zugang zum Verständnis unserer Lebensgeschichten, die Fähigkeit zur Problembewältigung sowie die Art und Weise, wie wir unsere persönliche Zukunft imaginieren, hängt auch davon ab, inwiefern wir auf soziale Unterstützungssysteme und Care-Netzwerke zurückgreifen können. Es hängt davon ab, ob wir Zugang zum Gesundheitssystem haben, egal ob auf physischer oder mentaler Ebene. Es hängt davon ab, ob wir in finanzieller Stabilität leben und ob wir soziale sowie emotionale Unterstützung erfahren können. Das bestehende System setzt uns viele Barrieren aus, beispielsweise in bürokratischer Form wie bei aufenthaltsrechtlichen Fragen. Barrieren versperren uns den Zugang zu entlohnter Arbeit, zu der Möglichkeit, dazuzugehören sowie die Möglichkeit des Spracherwerbs. Barrieren können uns letztlich auch dazu treiben, die Stadt zu verlassen und es andernorts zu versuchen. Weitere Faktoren, die unser Leben bestimmen, sind unsere transnationalen Verbindungen zu anderen Ländern, unsere Freunde und Familiennetzwerke, die Modi der gefühlten Zugehörigkeit sowie Sprache. All das beeinflusst das, was wir tun und welche Möglichkeiten wir haben, Raum in der Stadt einzunehmen.

Der rote Faden liegt in den Strukturen um uns, die unsere Leben auf die eine oder andere Weise prekär werden lassen, sodass wir nach anderen DaSeins-Formen trachten. Dieser Prozess des Schaffens und Suchens nach Gemeinschaft ist nicht immer eine aktive Entscheidung, sondern resultiert aus dem ständigen Ausschluss aus der Mainstream-Gesellschaft. Viele von uns haben problematische Begegnungen auf institutioneller und menschlicher Ebene gemacht, die von Gewalt geprägt waren. Diese Gewalt bedeutet des Häufigeren, dass wir keine andere Wahl haben, als diese Räume zu verlassen und uns damit für unsere eigene Gesundheit, unser Wohlsein und unsere eigene Existenzweise zu entscheiden. Wir verlassen etwas, um Teil von etwas anderem zu werden, um nach Fürsorge und Netzwerken zu suchen, die das System um uns herum uns vorenthält.

Manche von uns können sich ebenso dafür entscheiden, sich nicht mit uns als Gruppe oder Community identifizieren zu wollen. Manche sind einfach nicht in der Lage dazu. Andere wollen es nicht. Auch wenn wir versuchen, sichere Räume zu schaffen, gibt es sowas wie den sicheren Raum als solches nicht. Manchmal können auch unsere Räume chaotisch und problematisch sein. Darüber hinaus, kommt das Sprechen über und das Verständnis von Rassifizierung und Queer-Sein aus einer privilegierten Position, denn es heißt zu verstehen, was es bedeutet, rassifiziert zu werden und in der Lage zu sein, sich als ‚queer‘ zu identifizieren, hat seine Grundlage in dem Zugang zu akademischen Diskursen und Räumen des Westens, die elitär sind. Für manche von uns ist es die sicherste Option, sich als Queer zu identifizieren bzw. sich zu assimilieren. Manchmal sehen wir uns aber auch zur Assimilation gezwungen. Manchmal wählen wir aus freien Stücken die Assimilation, was nichts Falsches bedeuten muss. Aber Assimilation zum Status-Quo kann bedeuten, dass mensch einen Teil von sich zurücklassen muss. Assimilation kann heißen, dass wir unsere Identitäten abschwächen und einige unserer Gewohnheiten und non-konformen Existenzweisen, die nicht mainstream, weiß, heteronormativ und sozial akzeptiert sind, ablegen müssen.

Nichtsdestotrotz schließen einige von uns sich auf die eine oder andere Weise zusammen. Wir kommen zusammen, sei es bewusst oder unbewusst. Wir kommen zusammen, weil es eine Gemeinsamkeit in unseren Lebensrealitäten und gelebten Erfahrungen gibt. Wir schaffen Räume und Realitäten, die anders sind. Wir schaffen Räume, die unsere ethnischen, sexuellen und/oder geschlechtlichen Identitätsweisen bestärken, und nicht marginalisieren. Und natürlich kommen wir auch aus anderen Gründen zusammen, nämlich um Spaß zu haben und unser reales Selbst sein können, ohne die strukturellen Grenzen, denen wir sonst ausgesetzt sind. Wir haben vielleicht nicht dieselben Ziele, Träume und Wünsche. Wir haben unterschiedliche Ansätze, wie wir Unterdrückung verstehen und wie wir Widerstand dagegen leisten. Manchmal mögen wir uns gegenseitig überhaupt nicht. Doch die Tatsache, dass wir in unserer Vielschichtigkeit einfach sein können, zeigt, dass eine Welt, die möglichst viele Identitäten und Formen des Seins umfasst, möglich ist. Und während es manchmal die größte Herausforderung für uns darstellt, in einer Stadt wie Berlin zu existieren und zu (über-)leben, ist es für viele von uns eine Herausforderung, für die es sich zu kämpfen lohnt.

cis Bei cis Menschen entspricht die Geschlechtsidentität dem Geschlecht, das bei der Geburt in die Geburtsurkunde eingetragen wurde. 
Ein Mensch, der bei Geburt weiblich eingeordnet wurde und später als Frau lebt, ist eine cis Frau.

Dieser Text ist der vollständige Artikel, eine gekürzte Version erschien in der Printversion der Mai-bbz.
 

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Markus Hanisch
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