bbz 02 / 2017
Selbstbewusst gegen Auflösungstendenzen
Wie das Gymnasium als Schulform auf den Dauerbeschuss von links reagieren kann, um eine eigene, zeitgemäße Identität zu entwickeln
Linke, Grüne und Teile der SPD würden das Gymnasium am liebsten abschaffen und in Gemeinschaftsschulen überführen. Was die SPD-Führung noch von diesem Schritt abhält, ist die Erfahrung aus Hamburg und vor Jahren in NRW, dass man damit Wahlen verlieren kann, weniger eine inhaltliche Unterstützung. Dies hindert viele Politiker*innen aus diesen Parteien allerdings nicht daran, ebenso wenig wie engagierte ISS-Lehrer*inneneltern, ihre eigenen Kinder auf das Gymnasium zu schicken, »die beste Freundin, das Sportangebot!«. Die Heuchelei ist groß.
Dass die Vereinheitlichung der Schulsysteme gar nicht so unpopulär ist, lässt sich an den Anmeldezahlen der bekanntesten Integrierten Sekundarschulen (ISS) ablesen, alles ehemalige Gesamtschulen mit Gymnasialer Oberstufe. Davon gibt es in der Stadt fünf oder sechs, sie sind alle mehrfach überbucht. Das legt nahe, dass es den Eltern zuerst auf den Gesamtzustand und den Ruf der Schule ankommt, dann erst auf die Schulform. Für diese Eltern ist die dreijährige Oberstufe wichtig, weil sie bei gleichem Ergebnis ein stressfreieres Schulleben verspricht. Von der Zusammensetzung her sind diese Schulen oft gymnasialer als viele Gymnasien in Berlin.
Eltern wählen vermeintliche Sicherheit
Stärkste Bastion des Gymnasiums sind eine Hälfte der Eltern, auch hier aus sehr unterschiedlichen Gründen. Für bildungsbürgerliche Eltern, meist selbst Akademiker* innen, stehen die Inhalte im Vordergrund, also Sprachen, Geschichte, Naturwissenschaften, solange sie nicht zur Dauerfünf ihrer Kinder führen, dann sind sie für Abwahlmöglichkeiten. Etwas Mathe muss auch sein und etwas Musik und Kunst darf sein. Dann sind Aufsteigereltern Anhänger*innen des Gymnasiums, insbesondere die neue türkische Mittelschicht, aber auch polnische, persische oder asiatische Eltern.Allen Befürworter*innen des Gymnasiums gemeinsam ist die Hoffnung, dass ihre Kinder von sozial auffälligen Mitschüler*innen getrennt blieben, außerdem von Kindern, die langsamer lernen und die erhöhte Aufmerksamkeit der Lehrkräfte erfordern, die das »Niveau« senken.
Die dritte Gruppe ist immer noch am besten mit einem Bonmot der früheren Bildungssenatorin Laurin gekennzeichnet: »Auf das Gymnasium gehören alle begabten Kinder – und meine!« Diese Kinder wohnen in bürgerlichen Bezirken und bekommen das Abiturzeugnis mit der Geburtsurkunde ausgehändigt, nur das Datum wird später eingetragen.
Eine wachsende Elterngruppe, etwa ein Zehntel, gibt ihre Kinder schon früh, möglichst von Anfang an, auf Privatschulen und fährt sie dafür täglich durch die Stadt. Gründe dafür sind der Separierungsgedanke, weg von Ali und Aysche, und der immer wieder behauptete Niveauverlust der Berliner Schule, der auch die Gymnasien aufgeweicht habe. Dabei handelt es sich oft um die Einkommenselite, die glaubt, nur so ihre Kinder fit machen zu können für den globalen Wettbewerb. Zum Teil werden diese Kinder behandelt wie eine Aktie mit Gewinnaussicht, und wehe, wenn eine Baisse droht
Eine Chance liegt in der Öffnung
Eine Kritik des Gymnasiums von innen, die das System nicht abschaffen, sondern verbessern will, eine Haltung, die die FG Gymnasium offensiv vertreten sollte, auch gegen die offizielle Gewerkschaftsmeinung, müsste also die geschilderten Existenzbedrohungen aufgreifen und sagen, warum das Gymnasium dennoch seine Berechtigung hat. Der Kern der Argumentation sollte dabei auf der Erfahrung liegen, dass zu viel Unterschiedlichkeit in einer Lerngruppe unter den vorhandenen Bedingungen nicht ausgleichbar ist, dass sich deshalb die lernunmotivierteren Schüler*innen durchsetzen, was zu Lasten von Anstrengungsbereitschaft und Spitzenleistungen geht, auf die unsere Gesellschaft aber angewiesen ist.
Es gibt keine demokratisch legitimierte Mehrheit für die Auflösung des Gymnasiums, aber das Gymnasium muss sich auch ohne Druck von außen öffnen, vor allem darf es sich nicht länger um die Inklusion drücken. Diese muss nicht zielgleich sein, sie kann durchaus zieldifferent und mit Unterstützung von Schulhelfer*innen erfolgen. Ein Kind mit Trisomie 21 muss nicht obligatorisch am Fremdsprachenunterricht teilnehmen, es kann aber nach einem anderen Programm lernen, im Chor mitsingen, auf Klassenfahrt gehen und gleichwertig am Schulleben teilnehmen.
Und zum anderen müsste eine kritische Betrachtung die Schwachstellen thematisieren, zum Beispiel den immer noch vorherrschenden Frontalunterricht und die unzureichende Handlungsorientierung in der Grundausrichtung. Eine konstruktive Kritik müsste mehr unterschiedliche Zugänge zum Stoff anmahnen, sie müsste die Überbelegung mit 32 Schüler* innen kritisieren, eine deutlich verbesserte Lehrer* innenfortbildung fordern. Sie müsste sich zu einem humanen Leistungsgedanken bekennen und aus ihrer sozial weniger belasteten Klientel ein höheres Maß an sozialer und ökologischer Verantwortungsethik ableiten.
Leisere Töne anschlagen
Noch ein Wort zur Öffentlichkeitswirkung: Die Gymnasiallehrer*innen sollten sich bei ihren Klagen über Belastungen, vor allem durch Korrekturen und Abitur, bewusst sein, dass sie durch die leichter zu lenkende Schüler*innenschaft viel weniger Kraft und Zeit auf die Herstellung der Unterrichtsfähigkeit einer Lerngruppe aufwenden müssen als Lehrkräfte in anderen Schulformen. Sie sollten deshalb leisere Töne anschlagen, was nicht die Belastung in Frage stellt, aber den Klagen das Selbstbezogene nimmt. Sie erreichen nicht einmal die eigene Berufsgruppe an anderen Schulformen, schlimmer noch, sie schüren Ressentiments