bbz 07-08 / 2018
»Sie trägt ihr Tuch halt auf’m Kopf«
Hacer Kulac arbeitet als Grundschullehrerin mit Kopftuch in Nordrhein-Westfalen. Eine Tätigkeit in Berlin ist für sie aufgrund des Neutralitätsgesetzes nicht möglich.
Was würde es bringen, wenn ich das Kopftuch ablege? Meinen Glauben lege ich damit nicht ab, als Kopftuchtragende bin ich eine praktizierende Muslimin mit Transparenz. Zudem stellt es eine Normalität unserer vielfältigen Gesellschaft dar. Eine Gesellschaft ist nie symbol- oder vorurteilsfrei.
Ich bin Hamburgerin und habe in Hamburg Lehramt für Primar- und Sekundarstufe I mit meinen Lieblingsfächern Deutsch, Mathe und Arbeitslehre/Technik studiert. Ich hatte Professor*innen und Seminarleiter*innen, die mich in meinem Berufswunsch sehr bestärkt haben. Der Hauptgrund für meine Berufswahl war die Herausforderung, Schüler*innen auf ihrer Entdeckungsreise zu begleiten. Es sind meine Hauptziele, ihre natürliche Neugier aufrecht zu erhalten und ihre Selbstständigkeit zu fördern.
Nach dem Studium bin ich für das Referendariat in die Hauptstadt gezogen, weil ich die sechsjährige Grundschule in Berlin sehr spannend finde. Als Referendarin wurde mir in Berlin gestattet, das Tuch auf dem Kopf zu tragen, als fertige Lehrerin sollte es mir jedoch verwehrt werden. Die Debatte um das Neutralitätsgesetz nervt und sie ist künstlich. In der Schulrealität findet sich von dieser vermeintlichen Problematik keine Spur. Meine Schüler*innen und ihre Eltern waren mit mir als Fach- und Klassenlehrerin zufrieden. Die Kinder erzählten zuhause von meinem Unterricht, das Tuch auf meinem Kopf hat dabei keine Rolle gespielt. Wer sich mit der Thematik fachlich auseinandersetzt, weiß, dass sich Religiosität in der Familie bildet und festigt.
Meine Ausbildungsschule war eine Grundschule in Berlin-Köpenick, der Anteil der Kinder mit deutscher Herkunftssprache lag bei circa 90 Prozent. Einige Kolleg*innen und Eltern waren zunächst überrascht über mich, ein Kind dachte, ich sei aus Syrien geflüchtet. Ich hatte motivierende Eltern, vielfältige Schüler*innen und zwei demotivierende Mentor*innen. Da ich nicht die einzige Referendarin war, die vergeblich eine professionelle, qualitativ wertvolle Weiterbildung suchte, kandidierte ich mit dem Slogan »Schüler*innen haben ein Recht auf gut ausgebildete Lehrer*innen!« bei den Personalratswahlen für Berliner Lehramtsanwärter*innen. Ich war sehr überrascht, dass mir so viele ihr Vertrauen als Vorsitzende aussprachen. Letztendlich wurde ich eine der stellvertretenden Vorsitzenden, da sich mein Referendariat dem Ende näherte. Es war eine sehr bereichernde Zeit, ich hätte mich gern noch mehr engagiert.
Einmal hat eine Mutter einer vierten Klasse auf einem Elternabend geäußert, dass ihre Tochter gerne wissen wolle, warum ich das Tuch trage. Eigentlich war es ihre eigene Frage. Ich fühlte mich dadurch nicht angegriffen, ich bin in der Hinsicht ein relaxter Mensch. Ich stelle mich vor, aber nicht meine Kleidung. Ich mag persönliche Grenzen und möchte das auch so vorleben. Sie entschuldigte sich im Anschluss an den Abend. Dann erst erklärte ich ihr kurz, dass es zu meiner Identität gehört wie bei jedem Menschen Name, Sprache und vieles mehr.
Ich kann mich beruflich nur selbstverwirklichen, wenn ich so akzeptiert werde, wie ich bin. Und wenn die Frage seitens der Schüler*innen kommt, was bisher ganz selten passiert ist, dann antworte ich in einem kurzen Satz: »Ich fühle mich so wohler, hübscher.« Einmal antwortete, noch bevor ich etwas sagen konnte, ein anderes Kind aus dem Stegreif für mich: »Sie trägt ihr Tuch halt auf’m Kopf.«. Aber viele Schüler*innen interessiert das gar nicht, und denen muss ich das auch nicht auf die Nase binden. Ein anderes Mal musste ich sehr lachen, als nämlich ein Schüler der dritten Klasse im Sachunterricht seine Forscherfrage wie folgt formulierte: »Ich möchte wissen, ob Frau Kulac Haare hat.« Ich fand das genial.
Das Tuch und die weite Kleidung sind ein Teil von mir, deswegen fällt es den Kindern auf.
Ich habe aus Leidenschaft studiert, verhalte mich gesetzeskonform, solange das Gesetz demokratisch ist, zahle Steuern, möchte, dass mein Land eine vorbildliche ganzheitliche Bildung ermöglicht. Als Bürger*innen haben wir Rechte und Pflichten. Pflicht ist beispielsweise auch gegenüber Andersdenkenden Toleranz zu zeigen. Vor allem wir Lehrer*innen sollten Toleranz vorleben und uns gegen Intoleranz und Hass aussprechen. Wenn ich »Schwuler« oder »Hitler« als Schimpfwort höre, spreche ich mit Schüler*innen darüber. Das geht gar nicht.
Meine Religion grenzt Frauen nicht aus, sondern ehrt sie aufs Höchste, räumt ihnen Sonderrechte ein, verbietet ihnen somit auch nicht das Arbeiten. Es ist nicht der Mann, nicht die Religion, sondern das Neutralitätsgesetz, was mir das Arbeiten in Berlin, so wie ich bin, verbietet. Ich habe in Hamburg viele kopftuchtragende Freundinnen, die erfolgreich Lehrerinnen sind. Es ist also eine Berliner Perspektive. Ich kenne auch viele kopftuchtragende Akademikerinnen aus anderen Branchen, die aus der Arbeitswelt ausgeschlossen werden. Im Wirtschaftsbereich haben sie so gut wie keine Chance. Wir Frauen sind im Jahre 2018 immer noch nicht gleichberechtigt, haben es schwer in Führungspositionen aufzusteigen, Kopftuchtragende haben es dreimal so schwer. Wie in allen Ländern ist auch die Frau hierzulande meist für die Kindeserziehung zuständig. Wenn Frauen abgeschottet werden, kann es dazu führen, dass ihre Kinder sich abgucken, dass Frauen keine berufliche Selbstverwirklichung brauchen und in Abhängigkeit vom Mann leben müssen. Unser Land schießt sich ins eigene Bein, wenn nicht Qualität, sondern Geschlecht, Herkunft, Religion oder ähnliches im Vordergrund stehen.
Die Muslima muss sich ständig erklären, beweisen und fehlerfrei sein. Ich weiß nicht, ob es sich für Baptistinnen genauso verhält. Vielfalt ist gottgewollt und das ist auch gut so. Menschen brauchen ein vielfältiges Umfeld, um sich zu verstehen und zu definieren.
Was ist typisch deutsch? Vielfalt! Ich wünsche mir eine typisch deutsche Schule für meine Kinder. Ich bin gegen die Instrumentalisierung der Religionen für Politik. Wer Zweifel daran hat, dass ich die religiöse und weltanschauliche Neutralität meiner Schüler*innen gewährleisten kann, der kann gerne Kameras in die Klassenzimmer einbauen, damit vor allem Eltern alles mitverfolgen können. Ich hätte kein Problem damit.
Seit ich 14 bin, bete und faste ich regelmäßig. Mit 19 Jahren habe ich mich aus einem pragmatischen Grund für den Kleidungsstil entschieden: Das Beten. Mit der Zeit habe ich festgestellt, dass das Tuch mich darin unterstützt, mich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Ich trage es heute aus zweierlei Gründen: aus religiöser Pflicht heraus und aus eigenem Willen, da ich das, was ich für wertvoll ansehe, nicht mit jedem teilen möchte. Der Hijab darf niemandem aufgezwungen und auch niemandem weggenommen werden. Beides ist verwerflich und unnütz.
Ich kenne nicht eine Muslimin, die das Kopftuch aus Zwang trägt. Und nein, die meisten tragen das Kopftuch auch nicht vorrangig, um sich vor Männerblicken zu schützen. Und nein, muslimische Männer sind gegenüber den muslimischen Frauen nicht bevorzugt. Sie sind verpflichtet, ihre Blicke zu senken. In der Öffentlichkeit gibt es viele so genannte Expert*innen, die über »den« Islam sprechen und besser über »die« Muslime Bescheid wissen, als diese selbst. Aber »die Muslime« gibt es nicht. Menschen haben hybride Identitäten. Ich habe von allem etwas und lasse mich nicht in eine Schublade stecken. Ich habe meinen eigenen Kopf.
Wenn mein Kopftuch unbedingt als Symbol gelten soll, dann ist es ein Symbol für die Offenheit unserer Gesellschaft und für mich ein Symbol der Freiheit. Ich habe es zwischenzeitlich fürs Arbeiten abgelegt, um zu erleben, was das mit mir macht. Ohne Tuch hatte ich das Gefühl, meiner Freiheit beraubt zu sein: der Freiheit, zu entscheiden, wem ich wie viel von mir zeige.