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Schwerpunkt „Vom Papier zum Pixel – Digitalisierung in Kita und Sozialer Arbeit“

Streetwork geht online

Digitale Kommunikation erschließt der Offenen Kinder- und Jugendarbeit neue Möglichkeiten und hilft, Hierarchien abzubauen.

Foto: Adobe Stock

Viele Träger der Offenen Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) sahen sich während der erzwungenen Schließzeiten im Jahr 2020 damit konfrontiert, aus dem Nichts heraus, digitale Jugendarbeit in den Arbeitsalltag zu integrieren. Die Mitarbeiter*innen der Jugendclubs meines Vereins sahen das zunächst als Herausforderung und nur zweitrangig als Chance. Sicherlich kann nicht jeder Vorteil der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen im digitalen Raum genutzt werden. Nichtsdestotrotz sollten die Erkenntnisse aus dem Digitalen Arbeiten mit Kindern und Jugendlichen nicht ungenutzt bleiben. Die Zeit der covidbedingten Schließzeit mag vorüber sein. Es gab jedoch schon vor Corona potenzielle Besucher*innen, die weder in den Jugendclubs noch im Öffentlichen Raum, also auf Sport- und Spielplätzen oder in Einkaufszentren et cetera, anzutreffen waren. Vielleicht ist die Anzahl jener Kinder und Jugendlichen, in Folge der Normalisierung des Zuhausebleibens, während der letzten drei Jahre sogar gestiegen. Der Anspruch einer Jugendfreizeiteinrichtung sollte es sein, sinnvolle Angebote für die Besucher*innen zur Verfügung zu stellen. Hierbei sollten jedoch nicht Kinder und Jugendliche vergessen werden, die sich nicht oder wenig im Öffentlichen Raum bewegen.

 

In digitale Welten eintauchen

 

Während der covidbedingten Schließzeiten unserer Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen in Berlin Marzahn-Hellersdorf wurden diverse Alternativangebote ausprobiert, um den Kindern und Jugendlichen auch Angebote außerhalb des Öffentlichen Raums bieten zu können. Die Nutzung von digitalen Endgeräten war hier für uns unumgänglich. Chatgruppen und telefonischer Kontakt waren für einige unserer Stammbesucher*innen ein wertvoller Beitrag, um niedrigschwellige Kommunikation innerhalb ihrer eigenen Wohnung mit uns Fachkräften aufrechtzuerhalten. Hierbei fehlte jedoch das Element Spaß, welches in der OKJA wesentlich ist. Wir entschieden uns dafür, die digitalen Welten aufzusuchen, die für unsere Kinder und Jugendlichen tatsächlich relevant sind. Die uns (analog) bekannten Jugendlichen luden uns, auf Anfrage, in ihre In-Game Voice Chatrooms ein. Dies ermöglichte es uns mit der Zielgruppe online zu sprechen, während wir mit ihnen die Spiele spielten, die für sie wichtig sind. Diese Form der digitalen Straßensozialarbeit bietet eine Menge Vorteile, wobei hier zwei davon hervorgehoben werden sollen. Zuerst betrifft das Bedarfs- und lebensweltorientiertes Interagieren mit der Zielgruppe. Wie auch bei der analogen institutionsungebundenen, aufsuchenden Arbeit beziehungsweise Streetwork, begibt sich die Fachkraft direkt zur Zielgruppe und nicht andersherum, wie es beispielsweise in einem Jugendclub der Fall wäre. Hierdurch muss sich die Fachkraft nicht einmal bemühen, den Fokus auf die Interessen der Zielgruppe zu legen und somit ein bedarfsorientiertes Angebot zu machen. Der zweite wichtige Punkt betrifft die Kommunikation mit der Zielgruppe ohne Machtgefälle. In den meisten Kontexten, in denen sich Mitarbeiter*innen von Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen mit der Zielgruppe beschäftigen, herrscht ein Machtgefälle. In Einrichtungen müssen die Fachkräfte auf die Durchsetzung der Hausregeln bestehen. Die Verantwortung außerhalb der Institution im Öffentlichen Raum obliegt hierbei nicht der Fachkraft. Die Kommunikation zwischen Fachkraft und Zielgruppe kann somit deutlich freier und auf Augenhöhe stattfinden.

 

Spiele und Plattformen kritisch betrachten

 

Die Fachkräfte kommen bei dieser Form der digitalen »Straßensozialarbeit« jedoch nicht um eine Auseinandersetzung mit neuen Herausforderungen herum. Beispielsweise müssen sich die Fachkräfte darüber einig werden, welche Formen von Spielen und Plattformen für die Fachkräfte adäquat sind. Selbst wenn die FSK ein Spiel für einen 17-Jährigen freigegeben hat, kann es sich falsch anfühlen, als sozialpädagogische Fachkraft an einem Spiel mit Schusswaffengebrauch teilzunehmen. Gleichsam kann hinterfragt werden, inwiefern, vielleicht auch kritisch zu betrachtende, Chatplattformen großer Firmen durch Geld sozialpädagogischer Einrichtungen finanziell unterstützt und durch die Anwesenheit pädagogischer Fachkräfte »legitimiert« werden.

Es liegt hierbei in der Hand der pädagogischen Fachkräfte, einen Weg zu finden, die digitale Welt als Ressource zu nutzen und mit den neuen Herausforderungen umzugehen. Versperren können wir uns jedenfalls nicht mehr, wenn wir Bedarfs- und Lebensweltorientierung als gewichtige Maxime der OKJA ernst nehmen.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46