Schwerpunkt "Demokratie und Hochschule"
Studentisches Engagement unter Druck
Studierende bringen sich an Hochschulen immer weniger ein. Was sind die Gründe dafür? Und warum ist es dennoch wichtig, die eigene Meinung zu vertreten?
Fachbereichsrat, Kapazitätsverordnung, Hochschulgesetznovellierung und noch mit vielen weiteren trockenen, nicht selbsterklärenden Begriffen ist man als Studierende*r konfrontiert, wenn man heutzutage versucht, sich im Dschungel der Hochschulpolitik zurechtzufinden. Die Realität heutiger studentischer Hochschulpolitik besteht zu einem wesentlichen Teil aus Gremienarbeit, sei es in denen der studentischen oder der akademischen Selbstverwaltung. Dies hat häufig wenig zu tun mit den rebellisch anmutenden Aktionen vergangener Tage wie Streiks, Institutsbesetzungen und Demonstrationen, die immer weniger zu werden scheinen. Der trockene Alltag der Gremienarbeit mag auch ein Grund sein für das niedrige Interesse an Hochschulpolitik. Doch was sind strukturelle Gründe, die Studierende davon abhalten, sich politisch im Raum Hochschule einzubringen?
Besonders interessant ist, dass das politische Interesse von Studierenden nicht per se niedrig ist. So wurde 2017 im Studierendensurvey des Bildungsministeriums für Bildung und Forschung das Interesse von Universitätsstudierenden am allgemeinen politischen Geschehen mit 42 Prozent angegeben. Gleichzeitig geht das Interesse an der studentischen Selbstverwaltung und den politischen Gremien der Hochschule kontinuierlich zurück und war 2017 auf einem Tiefststand mit 32 Prozent beziehungsweise 22 Prozent. Das weist darauf hin, dass die soziale Identität als Studierende*r nicht mehr den Rahmen für Engagement bildet, wie sie es etwa vor 30 Jahren noch getan hat. Dies zeigt sich auch daran, dass man sich, wenn man politisch interessiert ist und sich ehrenamtlich engagieren möchte, immer häufiger in Vereinen, Initiativen und Gruppen außerhalb der Hochschule engagiert ist, die dann keineswegs explizit studentisch geprägt sind.
Doch auch das, was Studierende an der Hochschule machen, wenn sie sich politisch organisieren, ist etwas komplexer als die reine Beteiligung in vorgegebenen Strukturen wie den klassischen Gremien. Studentische Politik ist einerseits Klientelpolitik für Studierende, in der klassisch für bessere Studienbedingungen gestritten wird. Daneben stehen andererseits, leider meist ohne direkte Vermittlung zueinander, allgemeinpolitische Aktionen und Veranstaltungen ohne Hochschulbezug, wie etwa für eine gerechtere Klimapolitik oder die Enteignung großer Wohnungskonzerne. Allgemeinpolitisches kann auch seine Entsprechung in der Hochschulpolitik finden, wenn man sich etwa für eine Klimaneutralität der eigenen Hochschule einsetzt. Trotzdem stecken beide Formen der studentischen Politik in der Krise und die Zeiten, in den von Hochschulen und der Studierendenschaft politische Impulse ausgingen, scheinen schon länger vorbei zu sein. Anschaulich dafür steht die Fridays For Future (FFF)-Bewegung, die von Schüler*innen ausging und zum Großteil von ihnen getragen wurde. Die an deutschen Hochschulen nachträglich gegründeten FFF-Gruppen konnten nicht ansatzweise so viele Menschen mobilisieren.
Die Hürden sind strukturell
Ein wesentlicher Grund für den Rückgang im (hochschul-)politischen Engagement stellen die strukturellen Bedingungen für das Studium dar. Die Situation von Studierenden im Bachelor-/Master-System ist in der Regel von einer Verdichtung des Studiums, erhöhtem Leistungsdruck und verknappten zeitlichen, inhaltlichen und physischen Freiräumen geprägt. Dazu kommt eine im Vergleich zum Diplomstudium eher kurzfristige Bleibeperspektive an der Hochschule, die durch Auslandssemester, Hochschulwechsel oder Abgang nach dem Bachelor zusätzlich unterbrochen und eingeschränkt wird. Zudem ist das Studium in der Regel von einem Übermaß an Prüfungen strukturiert, die im Zusammenspiel mit teilweise sehr strikten Modulsystemen und Leistungspunktevergaben das Gegenteil von Muße und Reflexion erzeugen.
An der wichtigen Ressource Zeit mangelt es in der Folge nicht nur für das Studium, sondern auch für ein über die Grenzen der Lehrpläne hinausgehendes kritisches Hinterfragen der Verhältnisse, sowohl an der Uni als auch in der Gesellschaft. Auch mangelt es an Zeit, sich praktisch in der Hochschulpolitik zu engagieren – zum Beispiel auf Treffen zu gehen, sich in Themen einzuarbeiten, Veranstaltungen und Aktionen zu planen und umzusetzen. Die Hürde für (hochschul-)politisches Engagement oder wenigstens eine Beteiligung an laufenden Debatten ist dadurch noch ein Stückchen höher gerückt, als sie ohnehin schon ist. Zeitgleich steigen die Wohn- und Lebenshaltungskosten immer weiter, was Zeit und Kapazitäten für politisches Engagement nicht gerade begünstigt.
Widersprüche und Möglichkeiten
Hochschulen sind trotz alldem oben Beschriebenen auch widersprüchliche Institutionen. Einerseits ist es erklärtes Ziel, etwa auch von der geldgebenden Seite der öffentlichen Hand, dass möglichst viele hochqualifizierte Arbeitskräfte produziert werden und die Quote an Abbrecher*innen dabei niedrig ist. Andererseits ist es für viele Berufe, die man nach einer Hochschulausbildung ausübt, wichtig, Flexibilität, Selbstständigkeit oder auch Kreativität mitzubringen. Hierin zeigt sich die Widersprüchlichkeit, denn bei der Bildung von kreativen, selbst denkenden Menschen – wenn auch nur im funktionalen Sinne – braucht es Allgemeinbildung und Grundlagenforschung. Kurzum, es braucht Freiräume im Studium, um die flexibilisierten Absolvent*innen zu bekommen, die gebraucht werden. Dies widerspricht den oben beschriebenen Tendenzen zur Verdichtung, Verkürzung und Standardisierung des Studiums, die sich in den letzten 20 Jahren herausgebildet haben.
Das Lehramtsstudium hat dabei eine eigene Stellung, gerade in Berlin, wo Lehrkräfte dringend gebraucht werden. Auch hier gibt es den Widerspruch zwischen dem Bedarf an möglichst vielen, schnell erworbenen Abschlüssen und einer guten pädagogischen Ausbildung. Brauchen wir einfach nur viele Lehrkräfte, die ihre Fachgrundlagen beherrschen und den Lehrplan abarbeiten können, oder sollen da auch reflektierte Personen vor einer Klasse stehen, die beispielsweise demokratische Mitbestimmung nicht nur aus Textbüchern kennen? Zur Debatte um die Lehrkräfteausbildung sei die vorherige Ausgabe der bbz mit dem Schwerpunkt »Mehr Lehrkräfte gut ausbilden« empfohlen.
Gerade wegen der Widersprüchlichkeit des Studiums sollte man an der Überzeugung festhalten, dass die Hochschulen Orte sind, an denen zumindest das Potenzial für kritische Reflexion und ein Erkämpfen von Freiräumen besteht. Ein Weg, die schwierigen strukturellen Bedingungen ernst zu nehmen, wäre es, an langfristigen politischen Strukturen zu arbeiten, auch abseits der vorgefertigten Strukturen von Studierendenparlament und Allgemeinen Studierendenausschüssen. So könnte eine Wissensweitergabe und Kontinuität über verschiedene Studierendengenerationen ermöglicht werden und Initiativen und Gruppen müssten nicht jedes Mal aufs Neue gegründet oder wiederbelebt werden. Den Raum Hochschule als politisches Feld aufzugeben, wäre fatal und würde ignorieren, dass viele der heute noch bestehenden Freiräume Ergebnisse vergangener Kämpfe sind.
Juli/August -Ausgabe der bbz mit dem Schwerpunkt „Mehr Lehrkräfte gut ausbilden“