bbz 01 / 2017
Über den Tellerrand
Was ist nötig, damit die Zusammenarbeit im Ganztag funktioniert. Die Erzieherin Antje Schröder und die Lehrerin Sille Boll im Gespräch.
Am besten starten wir, indem ihr den Leser*innen kurz eure Arbeit beschreibt.
Antje: Seit dem letzten Schuljahr bin ich an unserer Grundschule als Integrationserzieherin mit den Kindern mit Integrationsstatus beschäftigt. Während die anderen 22 Erzieher*innen bei uns jede*r einer Klasse fest zugeteilt sind, kann ich mir in der Regel aussuchen, wohin ich gehe. Ich kümmere mich also um die schweren Fälle der Schule, gehe mit den Kindern in den Unterricht und manchmal nehme ich sie auch gezielt aus der Klasse heraus, wenn ich das Gefühl habe, dass das besser ist.
Im Freizeitbereich arbeiten wir dann offen – das heißt, wir machen den Kindern Freizeitangebote und sie suchen sich aus, auf was sie Lust haben. Zum Beispiel backen wir gemeinsam. Die Kinder, die den Integrationsstatus haben, hole ich mir dann bewusst dazu und ermuntere sie mitzumachen.
Und wie sieht deine Arbeit aus, Sille?
Sille: Ich bin seit 16 Jahren als Lehrerin an meiner Schule. Ich bin Klassenlehrerin einer JüL-Klasse und habe mich in der Vergangenheit intensiv mit der Entwicklung des JüL-Konzepts an unserer Schule befasst. Außerdem bin ich eine von zwei Sonderpädagoginnen bei uns.
Du arbeitest gleichzeitig als Klassenlehrerin und Sonderpädagogin? Wie läuft denn die Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und Sonderpädagog*innen ab?
Sille: In unserem Kollegium sind wir alle für die sonderpädagogischen Aufgaben zuständig. Meine Rolle sehe ich darin, das Kollegium weiter zu bilden und zu unterstützen. Die Kolleg*innen füllen ihre Anträge selbst aus und schreiben auch selber die Förderpläne. Es wäre nicht sinnvoll, wenn ich die Förderpläne schreibe, obwohl ich gar nicht mit den Kindern in der Klasse zu tun habe. Ich binde diese Aufgaben nicht an mich, ganz im Gegenteil: Inklusion ist, wenn’s alle machen! Inklusives Denken beinhaltet viel mehr, als dass man ein behindertes Kind mit im Unterricht hat. Es ist ungemein wichtig, dass alle Pädagog*innen an Schule gemeinsam daran arbeiten. Der inklusive Gedanke bezieht sich darauf, wie wir alle miteinander umgehen.
Brauchen wir noch mehr Professionen an der Schule?
Sille: Ja, wir brauchen dringend Schulsozialarbeiter*innen an allen Schulen. Jede Profession bringt ihre Stärken mit. Ich kann zum Beispiel gut Unterricht planen, aber bei der Freizeitgestaltung sind andere besser. Jede*r hat seinen Bereich, wichtig ist aber, dass wir uns gut aufeinander abstimmen. Man kann eh nicht alles alleine schaffen.
Wie wird bei euch die Zusammenarbeit unter den Kolleg*innen organisiert?
Sille: Wir haben jede Woche eine Klassenteamsitzung, da kommen möglichst alle, die in der Klasse unterrichten, zusammen: die zwei Klassenlehrer*innen und die Erzieher*in, manchmal auch Schulhelfer*innen oder weitere Lehrkräfte. Aber Kooperation ist letztlich auch eine spontane Sache: Wir machen viel weniger Frontalunterricht als früher. JüL ist individualisierter Unterricht, jedes Kind hat einen eigenen Fahrplan und lernt danach. Die Erzieher*in guckt im Unterricht, wo sie gebraucht wird. Sie kennt die Kinder ja.
Beschreibt doch mal die positiven Effekte einer guten Zusammenarbeit.
Sille: Gemeinsames Arbeiten bedeutet im Idealfall: Man schaut über seinen Tellerrand hinaus. Wenn ich unsere Förderpläne schreibe und wir uns in den Teamsitzungen über die Kinder, bei denen es hängt, austauschen, dann finde ich es sehr hilfreich, das Kind nicht nur an seiner Leistung zu messen, sondern wirklich einen gesamten Blick aufs Kind zu bekommen. Und hier hilft die Erzieher*innenperspektive ungemein. In der Nachmittagsbetreuung machen sie ja ganz andere Dinge an anderen Orten, sie reparieren und backen beispielsweise, gehen in den Schulgarten, oder in die Bastelwerkstatt.
Antje: Im Freizeit-Bereich können sich die Kinder halt freier entfalten und sich aussuchen, was sie machen wollen. Wir können mit denen ganz anders arbeiten. Bei uns können sie ihre hilfsbereite Seite oder andere wirklich positiven Dinge zeigen, die im Unterricht gar nicht so einen Platz finden. Da fehlt dann der gesamt Blick aufs Kind. Aber wenn es garantierte Teamzeiten gibt, dann gibt es einen Ort, wo das alles zusammenfließt. Dass wir viel miteinander reden, merken auch die Kinder. Dadurch haben wir sie besser im Griff. Die ärgern sich immer, wenn ich sie frage: »Was war denn heute los?« » Woher weißt du das schon wieder?«, fragen sie dann zurück. Und dann wird ihnen klar, dass wir uns absprechen. So eine gute Kooperation ist einfach das A und O und erleichtert die Arbeit unheimlich.
Sille: Nachmittags führen die Erzieher*innen viele Dinge fort, die sie im Unterricht mitbekommen. Wenn die Kinder beispielsweise das kleine Einmaleins lernen, dann könnte nachmittags beim Vorbereiten des Obsttisches gezählt werden: »Wie viele Orangen sind im Netz?« oder ähnliches.
Antje: Ja, wenn wir zum Beispiel backen, sage ich: Wir brauchen das Vierfache von dem Rezept. Im Rezept steht 150 Gramm Mehl – wie viel brauchen wir? Das funktioniert.
Bekommt ihr Lehrkräfte denn auch so viel von der Nachmittagsbetreuung mit?
Sille: Da sehe ich Entwicklungsbedarf. Es wäre schön, wenn wir mehr über die Nachmittagsbetreuung wüssten. Das Problem sind die verschiedenen Arbeitszeitmodelle, die überhaupt nicht zusammen passen. Erzieher*innen werden nach Zeit-Stunden bezahlt und wir Lehrkräfte nach Unterrichtsstunden. Ob wir zusätzlich noch einen Ausflug machen, zur Gartenarbeitsschule gehen oder an Weihnachten Nikolaussäckchen nähen, das bleibt uns alles selbst überlassen. Die Erzieher*in wiederum ist beispielsweise verpflichtet, Pausen zu machen – das kann bei einem gemeinsamen Ausflug ganz schön kompliziert werden. Man muss schon viel Kreativität investieren, trotz dieser sehr verschiedenen Arbeitszeitmodelle gut zusammen zu arbeiten.
Was wäre denn weiter nötig, damit die Zusammenarbeit gut gelingt?
Antje: Die Zusammenarbeit klappt super, wenn man sich gut versteht. Ich habe jahrelang mit der gleichen Lehrerin zusammen gearbeitet und wir wussten immer, was die andere denkt. Ich war ganz viel im Unterricht mit drin, was mir einfach Spaß gemacht hat, weil ich als Erzieherin anerkannt war. Außerdem habe ich von ihr auch was zurückbekommen. Nachmittags hieß es dann mal: »Mensch, geh mal ’ne Pause machen und ich guck‘ jetzt nach den Kindern.« Die Kollegin war oft auch nachmittags da und das, finde ich, ist angenehm. Es gibt aber auch Teams, da hätte ich keine Lust, mit den Lehrer*innen zusammenarbeiten. Da kommt man sich wie eine Hilfskraft vor und bekommt nicht einmal ein Dankeschön zurück.
Sille: Ich mache das als Klassenleitung zum Beispiel so, dass ich Elternbriefe immer als Klassenteam unterschreibe, nicht nur mit meinem Namen, sondern als »das Klassenteam« und damit ist die Erzieherin genauso gemeint. Oder wenn wir uns den Erstklässler*innen vorstellen, dann machen wir das immer als Team.
Antje: Das meine ich nicht. Bei manchen Lehrer*innen habe ich einfach das Gefühl, dass sie denken: »Ja gut, die ist jetzt da, dann schicke ich sie mal mit Schüler XY raus, den will ich hier jetzt nicht haben. Da kann sie sich ja kümmern.« Wir bekommen als Erzieher*innen Hilfsarbeiten zugeteilt, die die Lehrer*innen gerade nicht machen wollen. Die Stärken, die ich einbringen kann, werden gar nicht gesehen. Es gibt Teams, wo auch die Absprachen nicht klappen. Da kommen Erzieher*innen zur Tür herein, sind eigentlich noch gar nicht im Dienst und bekommen zwischen Tür und Angel mal eben gesagt, was sie später machen sollen.
Sille: Das ist aber kein spezielles Erzieher*innen-Lehrer*innen-Problem, sondern generell ein Thema. Zu zweit im Unterricht sein, das haben wir nicht in der Ausbildung gelernt, sondern das ist etwas, das wir jetzt tun. Das ist auch gut so. Unser ganzes Berufsbild ändert sich gerade. Wir werden von Einzelkämpfer*innen zu Teamworker*innen. Und das müssen wir alle erst mal lernen, auch wir Lehrkräfte.
Was wünscht ihr euch denn, um euch die Zusammenarbeit zu erleichtern?
Antje: Ich fände es wichtig, wenn wir als Kollegium gemeinsame Fortbildungen hätten. Einen gemeinsamen Studientag nur zum Thema Inklusion, zum Beispiel. Dann muss ich mir nicht immer anhören: »Du bist ja jetzt die Fachfrau, also mach mal.«
Sille: Außerdem müsste es viel mehr gemeinsame Planungszeit geben. Je mehr Inklusion, umso mehr Absprache ist nötig, mit den Erzieher*innen, den Schulsozialarbeiter*innen und den Schulhelfer*innen. Mehr Zeit wünschte ich mir auch für gemeinsame Elterngespräche. Bei uns läuft das meist getrennt, wenn die Erzieher*innen noch arbeiten. Wenn die Kinder dann aus dem Hort abgeholt werden sind wir Lehrkräfte meistens schon gar nicht mehr in der Schule, sondern zu Hause am Schreibtisch, da wir in der Schule ja gar keinen Arbeitsplatz haben. Dabei wären Elterngespräche mit Erzieher*innen zusammen sinnvoll.
Antje, habt ihr diese Probleme an der gebundenen Ganztagsschule auch?
Antje: Gemeinsame Elterngespräche sind bei uns kein Problem. An einer offenen Ganztagsschule stelle ich mir das viel schwieriger vor: Wie komme ich an die Lehrer*innen ran? Die sehe ich da ja gar nicht. Außerdem wachsen die Kinder über den ganzen Tag mehr zusammen. Und die Zusammenarbeit funktioniert viel besser.
Hättest du auch lieber eine gebundene Ganztagsschule?
Sille: : Ja, ich finde es traurig zu sehen, dass manche Kinder nachmittags gerne noch bleiben würden, aber direkt nach dem Unterricht abgeholt werden, weil die Eltern die Beiträge nicht zahlen wollen oder können. In der gebunden Ganztagsschule sind die Kinder einfach da. Da hat man mehr Möglichkeiten, das ganze Kind anzusprechen.
Sille Boll ist seit 16 Jahren als Lehrerin und Sonderpädagogin an der Charlie-Rivel-Grundschule in Spandau tätig. Sie ist Klasenlehrerin einer JüL-Klasse und berät darüber hinaus ihre Kolleg*innen in Sachen Inklusion.
Antje Schröder arbeitet seit 1992 als Erzieherin an der Möwensee-Grundschule im Wedding. Seit einem Jahr betreut sie als Integrationserzieherin die Kinder mit Integrationsstatus. Die Möwensee-Grundschule ist eine gebundene Ganztagsschule.
Dieser Artikel ist Teil des bbz-Themenschwerpunkts „Zusammen den ganzen Tag“ [zur gesamten Ausgabe]