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Schule

Über »Gendern« im Gespräch bleiben

In vielen Bereichen des Bildungssystems hat sich eine geschlechterinklusive Sprache als gelebte Praxis fest etabliert. Angesichts erster Verbote sprechen zwei Kolleg*innen über die Folgen für Schulen.

Foto: IMAGO

Der Rat für deutsche Rechtschreibung ist eine zentrale Instanz in Fragen des Sprachgebrauchs und der Rechtsschreibung. Im Dezember 2023 hat er seine Auffassung bekräftigt, dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll. Er will die Schreibentwicklung weiterhin beobachten. Beschlossen wurde immerhin ein Ergänzungspassus im Amtlichen Regelwerk, der die Verwendung von Stern, Unterstrich und Doppelpunkt bei Personenbezeichnungen im Wortinnern erklärt. Gleichwohl wird deren Aufnahme in das Amtliche Regelwerk nach wie vor nicht empfohlen. Staatlichen Stellen wird eine »rezeptive Toleranz« nahegelegt.

Ungeachtet dieser Entscheidung haben einige Bundesländer, wie zum Beispiel Sachsen, bereits »Genderverbote« in der Schule eingeführt. Die Bundesländer Bayern und Hessen haben solche Verbote ebenfalls angekündigt. Dadurch wird die Position des Rechtschreibrates konterkariert. Wir wollen über aktuelle Phänomene wie Klagen und Verbote sprechen und auch die Position der GEW in den Blick nehmen.

Conny-Hendrik: Der Begriff »Gendern« bedeutet neutral betrachtet nichts Anderes, als Geschlechter in der Sprache sichtbar oder unsichtbar zu machen. Auch das generische Maskulinum ist so gesehen eine Form des Genderns.

Berlin zögert schon seit längerem, inklusive Sprachformen offiziell zu ermöglichen. De facto jedoch verwenden einige Stadtbezirke seit vielen Jahren offiziell Unterstrich oder Stern. Neukölln und die Senatskanzlei nutzen unter anderem auch den Doppelpunkt auf der Website, um nur einige Beispiele zu nennen.

Es gibt also in der Verwaltung wie auch in der Schule eine gelebte Praxis, die nicht exakt den Vorgaben entspricht, aber das ursprüngliche Anliegen der Gleichstellung bereits weiterentwickelt hat. Tina, in Hessen wo du lebst und arbeitest, soll auf die Verwendung von Sonderzeichen in öffentlich-rechtlichen Einrichtungen ganz verzichtet werden. Verbote oder die Ankündigung solcher haben aktuell Konjunktur.

Auch in Berlin hat ein Vater bereits geklagt, weil er seine Kinder durch »Gendersprache«, »Identitätspolitik« und »Critical Race-Theory« im Unterricht indoktriniert sah. Wie ordnest du diese Phänomene ein?

Tina: Solche hitzigen Debatten verdeutlichen den Zusammenhang zwischen Sprache und gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Es geht meiner Ansicht nach daher um weitaus mehr als nur eine Orientierung an schriftsprachlicher Korrektheit.

Angefeuert wird die Genderdebatte bundesweit durch populistische Parteien und Gruppen, die das Phantom eines bevorstehenden Genderzwangs heraufbeschwören und es für ihren Wahlkampf instrumentalisieren. Im vergangenen Wahlkampf um den hessischen Landtag im Herbst 2023 wurde die Angst vor einem vermeintlich drohenden Genderzwang außer von der AfD auch von CDU und FDP aufgegriffen. Der hessischen FDP gelang es beispielsweise mit einem Wahlplakat und dem Slogan »Vom Gendern kommen auch nicht mehr Lehrerinnen« sogar einen Bezug zu bestehenden Missständen im Bildungssystem herzustellen. Die neue Koalition aus CDU und SPD in Hessen geht nun einen Schritt weiter und kündigt mit ihrem Koalitionsvertrag direkt ein Verbot von Gendern mit Sonderzeichen an.

Bemerkenswert ist dabei, dass diese Genderverbote, die nichts anderes als Sprachverbote sind, gerade von den Parteien und Volksbegehren gefordert werden, die zuvor noch lauthals gegen die konstruierten Sprechverbote, eine vermeintliche Sprachpolizei und Verbotsparteien wetterten.

Conny-Hendrik: Die Umsetzung dieser Genderverbote würde ja stark in das Handeln pädagogischer Fachkräfte eingreifen und ist zudem mit Blick auf die schulische Demokratieerziehung äußerst fragwürdig.

Schüler*innen und Studierenden die Nutzung einer vielfaltsgerechten Sprache in Klausuren oder anderen Leistungsnachweisen zu verbieten, greift unverhältnismäßig weit in deren durch Sprache ausgedrückte inklusive Haltung ein. Wie siehst du das als Politik-Lehrkraft?

Tina: Ein solch ideologischer Eingriff in die individuelle Sprachverwendung von Lernenden und Lehrenden ist mit den Ansprüchen des Beutelsbacher Konsens und einer freiheitlichen Wertevermittlung nicht vereinbar.

Für verbeamtete Lehrende stellt es zusätzlich einen Widerspruch zur gesetzlichen Verpflichtung dar, sich zu einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bekennen und sich, wenn nötig, für deren Erhalt einzusetzen. Hierzu zählt eben auch das sprachliche Handeln der Beamt*innen.

Die Landesbediensteten haben außerdem eine Fürsorgepflicht, die sich auch auf Schüler*innen erstreckt, die sich der zweigeschlechtlichen Ordnung nicht zuordnen lassen. Durch die angeordnete sprachliche Ausradierung wird die Sichtbarmachung und Adressierung dieser Schüler*innen unmöglich, was eine weitere gesellschaftliche Ausgrenzung bedeutet und Gewalt gegenüber diesen Personengruppen begünstigt.

Das angekündigte Verbot stellt aber auch einen massiven Eingriff in die Wissenschafts- und Pressefreiheit dar. Deshalb haben sich sowohl viele Hochschulbeschäftigte, als auch der hessische Landesverband des Deutschen Journalisten-­Verbands und der hessische Rundfunkrat gegen die geplante politische Einflussnahme positioniert.

Conny-Hendrik: Welche Position vertritt denn die GEW, wenn es um das »Gendern« und die aufkommenden Forderungen nach Genderverboten geht?

Tina: Die Vorsitzende der GEW, Maike Finnern, hat im Kontext der Berliner Klage bekräftigt, dass sich Sprache in einem ständigen Wandel befindet und der schulische Unterricht dies abbilden muss. Der Bundesausschuss Queer der GEW beobachtet die steigende Zahl an Eingriffen in den individuellen Sprachgebrauch mit Sorge. Deshalb haben wir einen Antrag im GEW-Hauptvorstand eingebracht, der von der GEW fordert, sich aktiv gegen Genderverbote im Bildungsbereich einzusetzen. Dieser Antrag wurde mit nur einer Enthaltung beschlossen, was die klare Ablehnung der GEW gegenüber ideologischen Eingriffen in die Sprache verdeutlicht, auch wenn sicher nicht alle Mitglieder des GEW-Hauptvorstands das »Gendern« mit Sonderzeichen bevorzugen.

Conny-Hendrik: Die Berliner Verfassungsrichterin Ulrike Lembke schlägt vor, dass geschlechterinklusive Kurzformen als typografische Erscheinungen jenseits der formalen Sprachregelwerke eingeordnet werden könnten. Weil aber gerade solche Regelungen fehlen, setzt sich in den Berliner Schulen und Kollegien der Streit fort. Hier wäre es doch hilfreich, wenn verschiedene Positionen auch innerhalb des Lehrkörpers ähnlich wie im Unterricht nebeneinander bestehen oder sich weiterentwickeln könnten. Was zählt, ist doch im Gespräch zu bleiben und wie bei anderen Themen auch, sich selbst zu reflektieren und Unterschiede und Widersprüche auszuhalten. Was wir von den Schüler*innen erwarten, muss doch auch für uns gelten?

Tina: Genau. Allerdings lassen sich diese Widersprüche in Anbetracht der durch »Gendergegner*innen« erzeugten Angstbilder von einer Sprachpolizei und zukünftigen Sprechverboten nur schwer aushalten. Das Schüren von Verunsicherung und Angst funktioniert in einer ohnehin als unsicher empfundenen Zeit leider besonders gut. Solch ein Politikmachen auf Kosten marginalisierter Gruppen sollte daher dringend beendet werden.      

 

Zum Weiterlesen und für den Unterricht

 

Rat für deutsche Rechtschreibung: Erläuterung vom 15.12.2023.

 

Dr. Max Kolter/LTO: Auf die Sprachkompetenz kommt es an, 31.03.2023.

 

Ulrike Lembke: Verfassungswidrige Sprachverbote, 24.11.2023.

 

Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (Hg.): Leitfaden Gender Mainstreaming, 2018.

 

LISUM (Hg.): Orientierungs- und Handlungsrahmen für das übergreifende Thema Gleichstellung und

Gleichberechtigung der Geschlechter (Gender Mainstreaming), 2021.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
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