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Schwerpunkt „Ukraine und Russland – Furchen eines Krieges“

Über Krieg sprechen

Die Fotos der Bildstrecke zum Titelthema haben uns zwei Berliner Aktivisten zur Verfügung gestellt. Sie reisten unabhängig voneinander in die Ukraine, um Kontakte zu politischen und gewerkschaftlichen Aktivist*innen zu knüpfen. Jan Ole Arps war im Mai und November 2022 in Lwiw und Kyjiw. Er schrieb darüber Reportagen für die linke Zeitung »analyse & kritik«. Hermann Nehls reiste im Oktober 2023 für die Initiative »Gewerkschaftliche Solidarität – humanitäre Hilfe für ukrainische Gewerkschaften« nach Kyjiw und Krywyj Rih. Wir danken ganz herzlich.

Foto: Jan Ole Arps

Zwei Jahre sind seit der russischen Invasion in die Ukraine vergangen und fünf Monate seit dem Anschlag der Hamas auf Israel. Es scheint schwieriger geworden zu sein, Geschehnisse in Worte zu fassen und miteinander über Krieg ins Gespräch zu kommen. Diese Erfahrung machen wir in pädagogischen Beziehungen, bei gewerkschaftlicher Positionsfindung und im internationalen Austausch.

Eine der ersten Maßnahmen der russischen Regierung nach dem 24. Februar 2022 war das Verbot, den Krieg als solchen zu benennen. Eine „militärische Sonderoperation“ solle durchgeführt, die Ukraine „entmilitarisiert“ und „entnazifiziert“ werden. Krieg ist Frieden: Neusprech wie in George Orwells Roman „1984“. Wer noch „Njet vojne“– nein zum Krieg – skandierte, dem drohten von nun an jahrelange Haftstrafen für die „Diskreditierung der russischen Armee“.

Was passiert in Gaza? Eine „Operation Israels“, schreibt die Bundesregierung. In der Januar-bbz bestand ich auf „Krieg“. Es sei aber ein „bewaffneter Konflikt“, wurde ich kritisiert, da die Hamas kein anerkannter staatlicher Akteur sei. Das Ringen um wissenschaftliche Korrektheit und Werturteile, die sich in Sprache ausdrücken, geraten in Konflikt miteinander. Selbstverteidigung, Völkermord, Antisemitismus – manchen scheint es opportun, lieber zu schweigen, als sich in verbale Minenfelder zu begeben.

In der bbz wurde die gewerkschaftliche Debatte zum Ukraine-Krieg bisher nur im Leser*innenforum ausgetragen. Zu weit auseinander hatten die Positionen der Redaktion und der Autor*innen eines Artikels der AG Frieden gelegen. Zu weit auseinander, um noch ein gemeinsames Verständnis zu teilen, was überhaupt die Fakten sind, auf deren Grundlage wir kontrovers diskutieren.

Wir versuchen in dieser Ausgabe, uns der Herausforderung neu zu stellen. Bildung und Gewerkschaft nach zwei Jahren des größten Krieges in Europa seit 1945 – dazu wollen wir nicht schweigen. Wir beginnen mit Fragen an die Betroffenen, an Mitglieder unserer Partnergewerkschaften in der Ukraine und Russland. Was hat der Krieg mit dem Bildungswesen gemacht? Welche Spielräume lässt er denen, die versuchen, Bildung entgegen aller Gewalt und Unterdrückung aufrechtzuerhalten? Wir müssen die Meinung unserer Kolleg*innen nicht teilen. Aber ihre Perspektive auf Augenhöhe wahrzunehmen, ist Voraussetzung dafür, die Debatte zumindest nicht nur diesseits des deutschen Tellerrands zu führen.

Wir geben verschiedenen Erfahrungen und Positionen Raum – den Feminist*innen, die sich in Russland gegen das Grauen stellen; deutschen Gewerkschafter*innen, die ins Kriegsgebiet gereist sind, um mit unseren Kolleg*innen vor Ort zu sprechen; den Stimmen, die für Waffenlieferungen an die Ukraine eintreten und denen, die für bedingungslose Verhandlungen sind; den Menschen, die in Berlin eine Zuflucht suchen mussten; und denen, die in der pädagogischen Arbeit neue Brücken bauen. Wir hoffen, dass diese Ausgabe dazu beiträgt, Worte zu finden und sich auseinanderzusetzen.

 

Weiterführende Informationen, Materialien und Angebote:

 

Die GEW BERLIN hat in ihren „Materialien für den Schullalltag“ zahlreiche Links zur Friedensbildung zusammengestellt. Auch zu angrenzenden Themenbereichen, wie Gewaltprävention, sozioökonomische Ungleichheit und globales Lernen, finden sich hier Linksammlungen.

https://www.gew-berlin.de/materialien-fuer-den-schulalltag/friedensbildung

 

Die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Universität Hamburg hat eine Kriegsdefinition und Kriegstypologie arbeitet, die nach eigenen Angaben „im deutschen Sprachraum die meistverwendete empirische Grundlage einschlägiger Publikationen“ darstellt.

https://www.wiso.uni-hamburg.de/fachbereich-sowi/professuren/jakobeit/forschung/akuf/kriegsdefinition.html

 

Die Servicestelle Friedensbildung Baden-Württemberg bietet einen reichhaltigen Fundus an Informationen und didaktisch aufbereiteten Materialien zu zahlreichen Kriegen und bewaffneten Konflikten. Sie bietet Workshops für Schulen und ein Online-Portal für Fragen von Kindern und Jugendlichen an.

https://www.friedensbildung-bw.de/

 

Nicole Rieber von der Berghof Foundation (https://berghof-foundation.org/) hat in ihrem Artikel „Digitale Friedenspädagogik in Krisenzeiten“ (4/2023) die Herausforderungen durch Desinformationen und Verschwörungserzählungen in sozialen Medien im Kontext des Ukraine-Krieges untersucht. Dazu empfiehlt sie zielgruppengerechte Lernmedien.

https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/digitale-friedenspaedagogik-in-krisenzeiten

 

Die GEW hat auf ihrem Gewerkschaftstag im Juni 2022 kontrovers über die weltpolitische Lage und den Ukraine-Krieg diskutiert. Beschlossen wurde der Antrag „Internationale Solidarität und Zusammenarbeit stärken – gerade jetzt!“

https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/internationale-zusammenarbeit-und-friedenspolitisches-engagement-staerken

 

 

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46