Schwerpunkt "Diskriminierungssensible Pädagogik"
Vernetzt gegen Diskriminierung
Ein engagiertes Netzwerk von Schüler*innen, Studierenden und Nichtregierungsorganisationen befasst sich an verschiedenen Stellen im Schulsystem und in der außerschulischen Jugendbildungsarbeit mit Antidiskriminierung aus intersektionaler Perspektive.
Dem im Jahr 2021 in Berlin gegründeten Netzwerk Intersektional diskriminierungskritisch Lernen und Lehren (IDLL) geht es nicht um eine abstrakte Auseinandersetzung mit Diskriminierung, sondern um widerständiges und empowerndes Handeln diskriminierungserfahrener Akteur*innen im Bildungssystem. Sie setzen sich gegen Rassismus, Sexismus, Klassismus und andere Diskriminierungen ein, die in Schule und Universität Alltag sind. Antidiskriminierung verstehen sie nicht als ein Randthema, sondern als den Kern einer Bildungspolitik, die sich für gleichberechtigte Bildungschancen aller einsetzt.
Sechs Schüler*innen- und Studierendengruppen riefen das Netzwerk gemeinsam mit Each One Teach One e.V. (EOTO), dem bundesweiten Träger für Empowerment Schwarzer Menschen in Deutschland, ins Leben. Das Netzwerk wird auch von Saraya Gomis begleitet, die als Vorstand von EOTO und als Berlins ehemalige und bundesweit erste Antidiskriminierungsbeauftragte für Schulen eine einzigartige Expertise einbringt. Gemeinsam gestaltete das Netzwerk IDLL Sitzungen der Ringvorlesung »Rassismuskritische Schule« des universitären Bundesnetzwerks Rassismuskritische Schulpädagogik und veranstaltete anlässlich der Berlin-Wahl einen öffentlichen Web-Talk zum Thema »Antidiskriminierung in der Schule« mit den bildungspolitischen Sprecher*innen der Fraktionen des Berliner Abgeordnetenhauses.
Die Gruppen stellen sich und ihre Forderungen an Schule und Lehrkräfteausbildung hier vor, damit eine »zukunftsfähige und diskriminierungsfreie Bildung« (Berliner Schulgesetz, Art. 2) möglich wird, die gesellschaftliche und globale Machtverhältnisse nicht reproduziert.
Am Weddinger Lessing Gymnasium haben PoC (People of Color) Schüler*innen den Your Local Empowerment Club (YLEC) gegründet, um eine antirassistische und diskriminierungskritische Perspektive auf problematische Strukturen im Schulalltag zu eröffnen, sowie Repräsentation und Empowerment zu ermöglichen. In Zusammenarbeit mit EOTO haben sie bereits zwei große digitale Schulparties organisiert, bei denen auch Alice Hasters, Mohamed Amjahid und Thelma Buabeng zu Gast waren. Die Gruppe wird von S engül Bayrakli begleitet, die Fachseminarleiterin für Deutsch in Berlin-Mitte ist.
An der Wilmersdorfer Nelson-Mandela-Schule arbeiten queere und BIPoC (Black, Indigenous and People of Color) Schüler*innen in der Diversity Task Force zusammen, um Aufklärungsarbeit für eine offene und inklusive Schule zu machen, damit diese ein empowernder Ort für Schüler*innen wird, die Diskriminierungen erfahren. Sie veranstalten diskriminierungskritische Vorträge und Workshops für das Kollegium und Schüler*innen der Grundstufe, die sie auch als Queer Peers unterstützen. Im laufenden Schuljahr haben sie gemeinsam mit EOTO eine Black History Class initiiert, in der Schüler*innen ein ganzes Schuljahr lang über Schwarze Geschichte in globaler und deutscher Perspektive lernen. Sie entwickeln selbst Lernmaterialien und unterziehen Lehrpläne einer kritischen Revision. Das Projekt wird von der Partnerschaft für Demokratie im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf gefördert.
Schüler*innen der Neuköllner Walter-Gropius-Schule organisieren seit drei Jahren in einem Oberstufenforum Podiumsdiskussionen und Web-Talks, die sie selbst moderieren. Sie wollen sich dabei in gesellschaftliche Diskussionen einmischen, die ihre Identitäten und Zugehörigkeit verhandeln und sich Geschichte(n) erschließen, die im Unterricht meist unerzählt bleiben. Dafür laden sie spannende Gäste ein, um über verschiedene Formen der Diskriminierung zu lernen. So haben sie zum Beispiel Podien zu antimuslimischem Rassismus und zum Berliner Neutralitätsgesetz ausgerichtet und eine Talk-Reihe zu Klassismus und Bildungsgerechtigkeit organisiert und zur Geschichte der Gastarbeiter*innen, die für viele der Schüler*innen auch Familiengeschichte ist. Sie fragen aus einer Perspektive, die intersektional und solidarisch sein will und dem rassistisch aufgeladenen medialen Bild Neuköllns etwas entgegensetzt.
Der Selbstverteidigungskurs mit Worten (SVK) ist eine außerschulische Initiative: ein mehrsprachiges und intergenerationelles Kollektiv von Berliner BIPoC Mädchen* und (jungen) Frauen* mit dem Ziel, sich zu stärken, um sich mit Worten gegen Diskriminierung verteidigen zu können. Gemeinsam möchten sie sich über Strategien austauschen und ihre Erfahrungen teilen. Sie wollen dazu anregen, solidarisch und kollektiv zu handeln, um sich gegen Diskriminierungen und Rassismus einzusetzen. Sie haben zwei Empowerment-Bücher geschrieben, gestaltet und herausgegeben: »Wir sind Heldinnen! Unsere Geschichten« und »Somos AMAZONAS!« sowie den Blog »SVK – Empfehlungen« erstellt. Zuletzt startete das Kollektiv den Podcast Generation Revolution. Die Gruppe wird von Olenka Bordo Benavides, der Antidiskriminierungsbeauftragten von Friedrichshain-Kreuzberg, begleitet. Unterstützt wird der SVK von Generation ADEFRA und weiteren BIPoC Aktivist*innen.
Die außerschulische Mädchen*gruppe Romani Chaji trifft sich regelmäßig im feministischen Romnja Archiv RomaniPhen in Berlin. Sie sind ein safer space für junge Rom*nja und haben gemeinsam einen animierten Film zur Verfolgungsgeschichte der Sinti*zze und Rom*nja gestaltet. Sie besuchen Veranstaltungen, spielen Theater, drehen Filmszenen und haben viel Spaß miteinander. Aktuell lernen die Mädchen Berlin besser kennen und besuchen gemeinsam Museen, den Zoo und Tiergarten und viele andere Orte. Zuletzt gab die Gruppe die Podcast-Reihe Romani Chaji Reloaded heraus, in der sie in sechs Folgen über den Terror von Hanau, Covid-19 sowie Rassismus in Deutschland und auf dem Balkan sprechen. Die Gruppe wird von Gabi Zekic´ und Estera Iordan geleitet.
Schließlich gehört noch die Initiative Intersektionales Lehramt zum Netzwerk. Sie ist eine Gruppe kritischer Studierender des Lehramts an der FU Berlin. Die Initiative fordert, dass sich Lehrkräfte in der Ausbildung mit gesellschaftlichen Machtstrukturen auseinandersetzen müssen. Dies ist eine Querschnittsaufgabe, die in allen Fächern und über das gesamte Studium erfolgen muss, um Lehrkräfte dazu zu befähigen, im Schuldienst eine intersektionale Perspektive vermitteln zu können. Deshalb hat die Initiative einen Offenen Brief an die Universitätsleitung geschrieben, der von zahlreichen Vereinen und Wissenschaftler*innen unterstützt wurde, unter anderen vom Bochumer Rassismusforscher Karim Fereidooni.
Die Forderung nach einer diskriminierungskritischen Professionalisierung und Qualifizierung von Führungskräften und Pädagog*innen teilt das gesamte Netzwerk. Dies erfordert eine entsprechende Revision von Schulbüchern, Lernmaterialien und Curricula, um die Vielfalt der Schüler*innen widerzuspiegeln. Gemeinsam mit zahlreichen Expert*innen und zivilgesellschaftlichen Initiativen fordert das Netzwerk schließlich eine unabhängige und weisungsungebundene Informations- und Beschwerdestelle für Kitas und Schulen, an die sich Diskriminierungserfahrene wenden können.