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Schulbau

Wir kümmern uns um unsere Schüler*innen

Die Neuköllner Röntgen-Sekundarschule in Treptow hat einen großen Zulauf. Aber auch hier stößt die Sekundarschulreform an ihre Grenzen. Ein Gespräch mit dem Schulleiter macht deutlich warum

Foto: Ulrich Meuel

Die Wildenbruchstraße war einst das düstere östliche Ende Nord-Neuköllns. Kurz vor der Mauer - in der Heidelberger Straße - konnte man damals den neugie­rigen Besucher*innen die westliche Seite der Mauer als besonders brutale Form der Architektur präsentieren. Heute tobt am Beginn dieser Straße das Nachtleben und aus dem Ende der westlichen Welt ist ei­ne viel befahrene Durchgangsstraße nach Treptow geworden. Direkt hinter der ehe­maligen Staatsgrenze West befindet sich die zum Bezirk Neukölln gehörige Rönt­gen-Sekundarschule.

Aber eigentlich gehört die Schule zu Treptow. Ihre jetzige Zugehörigkeit zu Neukölln ist Teil der wechselvollen Ge­schichte des Gebäudes, das ursprünglich 1908 als 4. Gemeindeschule für Mädchen gebaut und in der DDR als Robert-Koch­Oberschule (POS) weitergeführt wurde. Nach der Wende wurde die Schule zum Ernst-Friedrich-Gymnasium umgewandelt. Der Schüler*innenrückgang führte dazu, dass der Bezirk diesen Schulstandort auf­gab und zwei Schulen fusionierten. Ab 2005 stand das Gebäude leer. Da der Be­zirk Neukölln Bedarf hatte und dringend ein Schulgebäude suchte, hat man diese leerstehende Schule kurzerhand über­nommen. Im September 2010 zog in das inzwischen sanierte Gebäude die Rönt­gen-Sekundarschule ein, die aus der Fusi­on der Kurt-Löwenstein-Hauptschule mit der Röntgen-Realschule entstanden ist und ohne Oberstufe geplant wurde.

Detlef Pawollek, Schulleiter der Rönt­gen-Sekundarschule, der ehemalige Leiter der Kurt-Löwenstein-Hauptschule, leitet nun seit 2010 die Sekundarschule. Natür­lich war er erfreut, das frisch sanierte Gebäude zu beziehen. »Der Bezirk Trep­tow, zu dem diese Schule eigentlich ge­hört, hatte kein Interesse da noch etwas zu investieren. Also kam Neukölln ins Spiel, wo man dringend mehr Schulräume brauchte. Denn mit der Schulreform und den damit verbundenen Fusionen, waren größere Schulgebäude nötig. Statt neu zu bauen, wurde dann diese leerstehende Schule fit gemacht.« Leider war es zu spät, noch wesentliche eigene neue Ak­zente zu setzen. So waren und sind die Einrichtungen zum Ganztagsbetrieb ein­geschränkt und zwingen zu täglichen Kompromissen.

Eine positive Wende

Die Schule hat einen großen Zulauf und inzwischen eine gemeinsame Oberstufe mit der benachbarten Treptower So­phie-Brahe-Gemeinschaftsschule. Detlef Pawollek: »Wir haben immerhin letztes Mal 120 Anmeldungen bei nur 75 Plätzen gehabt. Mit dem Verbund hat das aber noch nichts zu tun. Der besteht erst seit dem Schuljahr 2016/17. Wir leben an die­sem Standort eindeutig davon, dass wir bei den Eltern einen guten Ruf genießen.Die Eltern wissen, dass wir uns um unse­re Schüler*innen kümmern und sie be­nachrichtigen, wenn etwas vorfällt .«

Positiv an der Schule ist schon der äußerliche Eindruck: Sie ist vorbildlich sauber, strahlt Geborgenheit und Struktur aus. In den hellen Klassenräumen und  Treppenhäusern werden in Vitrinen Beispiele der schulischen Arbeit präsentiert. Und der positive Ruf bei den Eltern liegt auch an der sehr engagierten    Elternarbeit der Schule. Pawolleks ehemalige Schule, die Kurt-Löwenstein-Hauptschule an der Ha­senheide, war schon dafür  bekannt.  »Ja, was machen  wir? Wir besuchen die Eltern auch Zuhause, reden mit ihnen und  trinken Tee. Das macht Songül Aslan, unsere Sozialpädagogin, die die Besuche gemeinsam  mit  den  Klassenleitungen begleitet, und auch bei den Elternabenden  dabei ist. Die Kolleg''innen der aktuellen sie­benten Klassen folgen diesem Beispiel und besuchen nach und nach Eltern ihrer Klassen zuhause, um sie kennenzulernen.«

Ganztagsbetrieb mit Schwierigkeiten

Die Schule arbeitet im teilgebundenen Ganztagsbetrieb. Dazu werden im AG-Be­reich bis zu 30 Aktivitäten angeboten, was vor allem durch die Zusammenarbeit mit externen Trägern möglich ist. Dazu gehören der Zirkus Cabuwazi direkt  neben der Schule, die Musikschule oder das Jugendzentrum  gegenüber. Themen sind moderne Medien, Graffiti, Fußball, Tanz, Jungen-und  Mädchengruppen und vieles mehr. Die Schüler''innen müssen sich zu Beginn des Schuljahres verpflichtend für Aktivitäten einschreiben. Pawollek: »Gegenüber ist das Jugendzentrum  Kuhfuß, mit dem wir eine Kooperation  haben und gut zusammenarbeiten. Sie haben zum Beispiel immer junge Menschen im Rahmen des  FSJ (Freiwilliges Soziales Jahr), die sie mit uns teilen  -  auch kostenmäßig. Sie sind  dann während  des Mittagsbandes bei uns und betreuen Schüler*'innen.«

Da die vielen Aktivitäten immer zur gleichen Zeit angeboten werden müssen, macht sich hier schmerzlich bemerkbar, dass der Ganztagsbereich bei der  Neuplanung 2010 kaum berücksichtigt wurde. So hat die Mensa nur Platz für zwei Klas­sen, die immer vollständig mit ihren Lehrer*innen zum Essen gehen. Das zwingt zu täglichen stundenplantechnischen und räumlichen Kompromissen, fördert aber auch die Zusammenarbeit mit außerschuli­schen Trägern. Eine zentrale Rolle kommt dabei dem Förderverein der Schule zu, der nicht nur außerschulische Aktivitäten finanziert, sondern auch die Mensa und die Cafeteria der Schule betreibt  und  Musikinstrumente anschafft. »Der Förderverein ist für uns sehr wichtig, denn er finanziert den gesamten Ganztag und die Schulsozialarbeit. Wir arbeiten sehr viel mit Honorarverträgen, sonst könnten wir unser breites Angebot gar nicht bieten. Und diese Honorarverträge, aber auch andere Sachen, laufen über den Verein.« Der Verein stellt der Schule seine Leistungen in Rechnung, die die Schule aus  verschiedenen  Programmen  begleicht.

Stiefkind Lärmschutz

Beim Rundgang durch die Schule fällt uns ein bauliches, für die Schule nicht  neues, Problem auf. Zu Beginn der Pause steigt der Lärmpegel in den Fluren unerträglich an. Damit können die Freiflächen kaum für pädagogische Zwecke genutzt wer­den, sondern stören im Gegenteil, weil jedes Gruppengespräch auf dem Flur in den Klassenräumen zu hören ist. Pawol­lek hat sich Schallschutzmaßnahmen an anderen Schulen angesehen und versucht, auch für diese Schule einen vernünftigen Schallschutz zu bekommen. Aber der bezirkliche  Brandschutzbeauftragte stellte sich stur und verhinderte jede vorgeschlagene Lösung. Diese Hal­tung ist umso weniger verständlich, als die vorgeschlagene Lösung in der Kreuzberger  Nürtingen-Grundschule in ähnli­cher Form schon verwirklicht ist und nicht nur sehr wirksam ist, sondern dort den Brandschutzauflagen genügt. Diese Sturheit in Sachen Brandschutz wurde uns schon öfter geschildert und scheint ein bezirkliches Spezifikum  zu  sein . Dabei müsste eigentlich allen Beteiligten klar sein, dass der Lärm nach allen Untersuchungen einer der schlimmsten Belastungsfaktoren für die Beschäftigten der Berliner Schulen ist. Mangelnder Lärmschutz zeigt also, dass den Arbeitgeber die Gesundheit der Mitarbeiter*innen we­nig interessiert. Es ist  ein Trauerspiel des Berliner Bezirksprovinzialismus, dass eine gute Lösung an einer Stelle im anderen Bezirk nicht akzeptiert wird.

Schuldistanz ist immer noch Thema

Natürlich haben wir auch versucht, die verfügbaren Daten über den schulischen Erfolg der Röntgen-Sekundarschule zu gewichten und  zu  bewerten.  Zuerst  das Positive: Wie schon erwähnt ist die Schule stark nachgefragt, hat es also  geschafft, Vertrauen bei den Eltern aufzu­bauen. In den letzten beiden Jahren schafften 20 bis 40 Prozent der Schüler*innen den Übergang in die  gymnasia­le Oberstufe, wobei die gemeinsame Oberstufe mit der Sophie-Brahe-Gemeinschaftsschule gut funktioniert. Eine  Studie des Senats stellte fest, dass die alte Struktur in der neuen fortlebt. Bei den Sekundarschulen wächst die
Spaltung in erfolgreiche Gemeinschafts- oder ehemalige Gesamtschulen  und  Fusionsschulen aus Haupt-  und  Realschule ohne gymnasiale Oberstufe.   Eine Fusionsschule in Nord-Neukölln, mit  hohem Migrantenan­teil, niedrigem Sozialstandard der Bevölkerung und zu Beginn ohne eigene Oberstufe, ist eigentlich ungünstig.  Genau diese Bedingungen treffen aber auf die Röntgen-Sekundarschule zu. 84 Prozent der Schüler''innen sind lernmittelbefreit, 91  Prozent stammen aus Familien mit nicht deutscher  Herkunftssprache.

Praxisklasse führt oft zu Schulabbruch

Ein Ausdruck davon ist an der Quote der Schulabbrecher* innen sichtbar, die hier immer noch bei rund 20 Prozent liegt. Und dass, obwohl die Schule sehr  stark sozialpädagogischorientiert ist. Vor allem die Praxisklasse trägt zu der hohen Abbruchquote bei. Denn in  den Praxis­klassen sammeln sich leider vor allem die Schwächsten der Schule. Polemisch zugespitzt: Früher hat man die schlimmsten Problemfälle in speziellen Sonder­schulen aufgefangen, heute haben die Praxisklassen diese Funktion übernommen. Dieses Problem ist berlinweit ungelöst und muss schnellstens in Angriff genommen werden. Gute Bildungspolitik muss alle Bildungseinrichtungen und das soziale Umfeld umfassen und bei der frühkindlichen Erziehung ansetzen.

Zu guter Letzt: Neukölln muss dem Gedenken an seinen berühmten Schulrefor­mer Rechnung tragen - Neukölln braucht wieder eine Kurt-Löwenstein-Schule!

Ulrich Meuel, ehemaliger stellvertretender Schulleiter der Fritz-Korsen-Schule und Klaus Will, ehemaliger geschäftsführender Redakteur der bbz