Zum Inhalt springen

Recht & Tarif

Zur Abwertung von Lehrkräften

Warum heute niemand mehr Lehrer*in werden will – und wenn, dann nicht in Berlin.

Foto: Adobe Stock

Am Ende, wenn die Katastrophe da ist und keine Maßnahme mehr zur Verfügung steht – das lehrt die Geschichte – ist das Geschrei immer groß. Der Zustand des Bildungsbereiches und der sich weiter verschärfende Lehrkräftemangel belegen dies nachdrücklich. Nach allgemein anerkannten Erhebungen fehlen in Deutschland bis zum Jahr 2035 mehr als 100.000 Lehrkräfte, vor allem in den Bereichen Sekundarstufe 1 und Berufsbildende Schulen.

Berlin hatte sich in einer eh schon schlechten Ausgangslage mit dem Verbeamtungsstopp 2004 selbst in eine ungünstige Sonderrolle manövriert. Die Wiedereinführung der Verbeamtung 2022 soll nun die Katastrophe mindern. Dabei sollen die Lehrkräfte schlechter gestellt werden, indem ihnen ihre Lebensleistung in Bezug auf ihre Altersversorgung weitgehend aberkannt wird. Nach der bisher geltenden gesetzlichen Regelung wurden Vordienstzeiten im Arbeitsverhältnis vollständig auf die Altersversorgung angerechnet. Nun will der Finanzsenator (Grüne) nur noch fünf Jahre für die Altersversorgung anerkennen und die restlichen Jahre löschen. Diesem Vorhaben fehlt jegliche Legitimität. Er bedient sich dabei eines wohlfeilen, gleichwohl falschen Argumentes einer angeblichen »Doppel-Versorgung«. Trotz Anrechnung in Rente und Pension ist die Höhe gedeckelt, so dass hier niemand einen Profit macht – außer dem Finanzsenator. Für die Rente zahlten die Betroffenen hohe Beträge Monat für Monat selbst ein, weshalb ihr Nettoeinkommen in den ganzen Jahren weit unter dem der vergleichbaren Beamt*innen lag. Gleichzeitig verkennt der grüne Finanzsenator, dass die Voraussetzungen in allen anderen Ländern eben andere sind: kein anderes Land hat die Verbeamtung von Lehrkräften fast 20 Jahre ausgesetzt. Durch die Maßnahme werden Lehrkräfte lebenslang finanziell schlechter gestellt als jede Lehrkraft in den anderen 15 Bundesländern. Im Ergebnis erweist sich der Plan des grünen Finanzsenators als frauendiskriminierend, da sich die Streichung der Vordienstzeiten besonders ungünstig bei Beschäftigten auswirkt, die viel Teilzeit, Erziehungs- oder Pflegeurlaub nehmen mussten – und das sind immer noch zu 85 Prozent Frauen.

Insgesamt reiht sich die Entscheidung ein in eine jahrzehntelange Politik, die dazu führt, dass heutzutage nur noch sieben Prozent der Abiturient*innen sich – vielleicht – für ein Lehramtsstudium entscheiden wollen. In den 1950er Jahren waren es »nur« 20 Prozent – zu wenig um den Bedarf zu decken. Erst in den 70er Jahren studierten ausreichende rund 30 Prozent auf Lehramt.

Abwertungskampagne gegen Lehrkräfte

Die aktuelle Situation ist Ergebnis einer langen politisch inszenierten Abwertungskampagne gegen Lehrkräfte. Sie begann schon früh in den 70er Jahren durch Abkopplung der Lehrkräfte bei Einkommens­entwicklungen und bei Arbeitszeitverkürzungen und fand in den 90er Jahren mit Schröders »Lehrer sind faule Säcke«-Biertischslogan einen breiten gesellschaftlichen Niederschlag. Im Folgenden einige wichtige Schlaglichter.

Nach 1945 wurden als Ausdruck eines elitären Bildungsstrukturalismus die Lehrkräftelaufbahnen in gehobenen und höheren Dienst (Gymnasien – sonstige) getrennt. Seit 1960 wurden die Lehrkräfte von allen Arbeitszeitverkürzungen im öffentlichen Dienst abgekoppelt. Die Kultusminister schickten 1961 mit Tränen in den Augen eine Bitte an die GEW, jetzt auf die den Lehrkräften zustehende Senkung der Pflichtstunden zu verzichten wegen des dramatischen Lehrkräftemangels.

1972 wurde eine allgemeine Stellenzulage für Beschäftigte im öffentlichen Dienst tarifvertraglich vereinbart. Arbeitgeber und ÖTV schlossen Lehrkräfte mit Ausnahme der Studienrät*innen davon aus. Diese Schlechterstellung endete erst mit dem TV-L Abschluss 2006 mit stufenweiser Angleichung, damit erhielten alle diese Zulage.

Immer schon richtete sich die Besoldung für Lehrkräfte nach dem Alter der Schüler*innen, nicht nach dem akademischem Abschluss. Erst 2007 griff die GEW mit der Kampagne »13 – Was ist pädagogische Arbeit wert?« das Thema auf. Und sie bewies langen Atem: inzwischen werden nicht in allen, aber in vielen Ländern alle Lehrkräfte in E13/A13 eingestuft.

Arbeitszeit- und Belastungsstudien kommen seit 50 Jahren immer zum gleichen Ergebnis: Lehrkräfte arbeiten im Durchschnitt mehr als alle anderen im öffent­lichen Dienst, ohne dass verschwiegen wird, dass auch knapp ein Drittel weniger arbeitet.

Waren in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts noch mehr als 50 Prozent der Lehrkräfte männlich, hat sich dies heute mehr als umgekehrt. Und wie in allen Berufen, die vorwiegend von Frauen ausgeübt werden, nutzten Arbeitgeber­*innen dies zu stetigen Verschlechterungen. Bis heute werden in diesen Bereichen trotz gesellschaftlicher Anerkennung immer noch niedrigere Lohnsteigerungen durchgesetzt als in männlich dominierten Bereichen.

Es nimmt kein Ende

Die Summe all dieser Maßnahmen ist verantwortlich für den Verlust der Attraktivität des Berufes. Die Politik wird gleichzeitig nicht müde, die Bedeutung von Bildung für die Zukunftsfähigkeit des Landes zu beschwören. Leider sind grüne Senator*innen wie der Berliner Finanz­senator weiterhin Vorreiter*innen bei der Fortsetzung der kontinuierlichen Negativkampagne. Auch wenn dieser gerne betont, das würde nicht nur Lehrkräfte, sondern alle Beamt*innen treffen, sollte er wissen (so hofft die Wähler*in jedenfalls), dass dies nur Lehrkräfte treffen wird, weil in keinem anderen Bereich Verbeamtungen ausgesetzt wurden. Es ist anzunehmen, dass er genau das will.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Privat:  030 / 219993-46