Schwerpunkt "Zusammen den ganzen Tag"
Zwischen Quantität und Qualität – Ganztagsschulen im Stresstest
Die steigende gesellschaftliche Bedeutung schulischer Ganztagsangebote steht außer Frage, dennoch verschlechtern sich die Rahmenbedingungen für die Kolleg*innen.
Seit der Grundschulreform 2006 ist jede Berliner Grundschule eine Ganztagsschule, in offener oder gebundener Form. Leider entsteht auch 16 Jahre später noch immer der Eindruck, dass vielerorts lediglich das Türschild ausgetauscht wurde. Was früher Hortbetreuung hieß, nennt sich heute Ganztag. Doch es bedarf mehr, damit ein guter Ganztag gelingen kann. Das wird umso wichtiger, je mehr Kinder diesen besuchen und je mehr Zeit sie dort verbringen. Allerdings muss dem freien und kostenlosen Zugang zur Ganztagsbetreuung mit dem einhergehenden stetigen quantitativen Ausbau endlich die überfällige Qualitätsverbesserung folgen!
Festzustellen ist dennoch, dass es viele Schulteams gibt, die unter großen Anstrengungen und mit viel eigenem Engagement gelingende Ganztagsschulen aufgebaut haben. Sie sind es, die die Bedürfnisse kindlicher Entwicklung mit den Inhalten des Rahmenlehrplans verbinden und formelles mit informellem Lernen in Gleichklang bringen. Multi-professionelle Schulteams, die auf Augenhöhe und gleichberechtigt den Schulalltag planen, gestalten und umsetzen. Jedoch zollen diese Leuchttürme auch ihren Tribut und dürfen nicht als Selbstverständlichkeit wahrgenommen werden!
Keine Ganztagsschule zum Nulltarif
Mit der Umstellung auf einen Ganztagsschulbetrieb, wurden offene Ganztagsschulen (OGB) mit verschiedenen Betreuungsmodulen für die Früh- und Nachmittagsbetreuung und gebundene Ganztagsschulen (GGB) mit einer verbindlichen Betreuung bis 16 Uhr konzipiert. Trotz diesen Anpassungen mangelt es jedoch noch immer am politischen Willen, die Verbindung von Unterricht am Vormittag und Betreuung am Nachmittag verbindlich als gemeinsamen Bildungsauftrag festzuschreiben und flächendeckend zu realisieren. Gute Qualität ist der zentrale Schlüssel für gelingende Ganztagsschule. Es ist höchste Zeit, die Rahmenbedingungen im Ganztag zu verbessern und das Berliner Bildungsprogramm für die Ganztagsgrundschule endlich auch praktisch im schulischen Ganztag zu verankern. Ohne diese Schritte, werden wir auf Dauer die Ganztagsschule nicht wirklich weiterentwickeln. Was vielleicht harmlos klingt, hat aber zur Folge, dass wir Kindern und Familien eine echte Partizipation am Leben verwehren und Bildungschancen ausbleiben, dass unsere Kolleg*innen ausbrennen und krank werden. Das Land Berlin muss sich ehrlich machen, denn nur so kann der Ganztag für alle gelingen. Auch ein gerade neu erarbeiteter Kriterienkatalog mit Qualitätsstandards wird die Situation nicht von selbst heilen. Eine gelingende Ganztagsschule wird es nicht zum Nulltarif geben. Wir müssen in unsere Schulen investieren. Da führt kein Weg dran vorbei. Die GEW BERLIN fordert deshalb und setzt sich insbesondere für ausreichend Platz; Verbesserung des Personal- und Leitungsschlüssels und eine verlässliche Ausstattung für mittelbare pädagogische Arbeit, wie Elternarbeit, Beobachtung, Dokumentation und Kooperation, ein.
Vier Kernforderungen der GEW BERLIN
Jedem Schulkind müssen mindestens drei Quadratmeter pädagogische Nutzfläche zur Verfügung stehen. Der Raum – als dritter Pädagoge – ist in der Ganztagsgestaltung immer mitzudenken und in seiner Ausstattung, den unterschiedlichen Bedürfnissen der Kinder entsprechend, zur Verfügung zu stellen. Müssen, aufgrund der Situation vor Ort, Räume zeitlich begrenzt doppelt genutzt werden, so sind dafür verbindliche Qualitäts- und Mindeststandards festzulegen beziehungsweise ist ein spezielles Raumnutzungskonzept zu erarbeiten. Dem pädagogischen Fachpersonal sind schulische Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen und den gewachsenen Erfordernissen entsprechend auszustatten. Mindestens sind die Standards des Musterraumprogramms sicher zu stellen.
Ein Kernanliegen der GEW BERLIN ist es weiterhin, einen besseren Personalschlüssel im pädagogischen Alltag zu schaffen. Weil im gesetzlichen Personalschlüssel auch die Zeiten für Urlaub, Fortbildung, Krankheit und mittelbare pädagogische Arbeit enthalten sind und durch die kleinteiligen Betreuungsmodule die Anwesenheit der Kinder nicht gleichlaufend zur Arbeitszeit der Erzieher*innen ist, sind trotz eines Personalschlüssels von 1:22 reale Betreuungsrelationen von 1:40 und schlechter keine Seltenheit. Wir fordern deshalb, den gesetzlich festgeschriebenen Personalschlüssel von jetzt 1:22 auf 1:15 zu senken. Unter Berücksichtigung der akuten Mangelsituation an ausgebildeten Erzieher*innen in Berlin schlagen wir vor, diese Absenkung in mehreren Schritten abgestimmt umzusetzen. Ein verbesserter Personalschlüssel trägt zur Steigerung der pädagogischen Qualität bei.
Die koordinierenden Erzieher*innen tragen eine hohe Verantwortung bei der pädagogischen Entwicklung der Ganztagsangebote, bei der Alltags-, Essens- und Arbeitsorganisation und in der Teamführung. Deshalb dürfen die Leitungskräfte des Ganztagsbetriebs nicht länger auf die Rolle als »koordinierende Erzieher*in« reduziert werden. Die heutige Regelung, die an einer Ganztagsschule maximal eine volle Leitungsstelle vorsieht, stammt aus der Zeit der in der Größe überschaubaren Horte. Im heutigen Ganztagsbetrieb sind 400 betreute Kinder und Teams von 30 Mitarbeiter*innen an einer Schule keine Seltenheit mehr. Für diese Entwicklung brauchen wir auch einen Anstieg an freigestellten Erzieher*innen mit Leitungsfunktion in unseren Ganztagsschulen. Denkbar wäre eine Regelung, die einen kindgebundenen Schlüssel von 1:150 mit einer Deckelung der Leitungsausstattung bei zwei vollen Stellen verbindet.
Zur Gestaltung einer qualitativ hochwertigen pädagogischen Arbeit brauchen Erzieher*innen Zeit. Zeit für Vor- und Nachbereitung, Zeit für Absprachen und Teamsitzungen und sie brauchen Zeit für Eltern- und Netzwerkarbeit. Eine deutliche Ausweitung der bestehenden stellenbezogenen Ausstattung für die mittelbare pädagogische Arbeit (mpA) ist in der derzeitigen Arbeitssituation zumeist ein frommer Wunsch. Deshalb ist ein verbesserter Personalschlüssel wiederum eine Voraussetzung dafür, dass die dringend notwendige verlässliche Ausstattung mit Verfügungszeiten, also Zeit für mitteilbare pädagogische Arbeit, nicht dem Druck der engen Dienstpläne zum Opfer fällt. Parallel zur Verbesserung des Personalschlüssels kann und muss deshalb auch die Ausstattung der Erzieher*innenstellen mit Verfügungszeiten ausgeweitet werden.
Lasst uns aktiv werden
Blicken wir in die letzten Wahlprogramme sämtlicher politischer Parteien in dieser Stadt, scheinen wir uns in diesen Punkten alle einig zu sein und eigentlich könnten wir jetzt loslegen und unsere Schulen aufpolieren. Die GEW BERLIN wird nicht müde hier zu ackern und diese Themen zu schieben. Alleine der aktuelle Koalitionsvertrag macht schlechte Laune. Denn hier ist die Entwicklung des Berliner Ganztags alles andere als konkret abgebildet. Und so liegt es wieder bei den Beschäftigten im Berliner Schuldienst, den gewerkschaftlich engagierten Kolleg*innen, aktiv zu sein. Lasst uns unermüdlich auf die Missstände aufmerksam machen, Aktionen planen und weiterhin mit den Politiker*innen im Gespräch sein. Engagiert euch in euren Bezirken und kommt in die Fachgruppe sozialpädagogische Berufe an Schulen. Mischt mit!
Dienstvereinbarung über die mittelbare pädagogische Arbeit
Am 23.09.2015 wurde nach mehrjährigen Verhandlungen die »Dienstvereinbarung über die mittelbare pädagogische Arbeit von Erzieherinnen und Erziehern an Grundschulen und Schulen mit sonderpädagogischen Fächerschwerpunkt« (DVmpA) zwischen der Senatsbildungsverwaltung und den zuständigen schulischen Personalräten abgeschlossen.
Diese Dienstvereinbarung sichert den Erzieher*innen an den Berliner Ganztagsgrundschulen (die beim Land Berlin beschäftigt sind) einen Anspruch von mindestens vier Stunden in der Woche für die mittelbare pädagogische Arbeit. Gleichzeitig wurde auch verhandelt, dass die Dienstvereinbarung zeitnah evaluiert und entsprechend angepasst wird. Leider ist es bis heute nicht gelungen, eine Verbesserung der Dienstvereinbarung zu realisieren. Die Senatsverwaltung blockiert hier vehement. Dennoch ist der Personalrat zuversichtlich, hier bis zum Jahresende eine Aufwertung zu erzielen.