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Tendenzen

Wofür lernt Said?

In der Schule sitzen und von der Zukunft träumen, wer tut das nicht? Für einige ist die Zukunft jedoch ungewisser als für andere.

Foto: GEW BERLIN

Seit einem Jahr sitzt Said neben mir in der Klasse: 18 Jahre alt, ein hilfsbereiter Typ, viele Freunde, Küchenchef, für jeden Spaß zu haben. Die Schule fällt ihm leicht, er schafft in fast jeder Prüfung eine Zwei, zum Unterricht kommt er immer vorbereitet. Doch Said hat ein Problem: Er ist aus Afghanistan nach Deutschland geflüchtet und weiß nicht, ob er hierbleiben kann. »Aufenthaltsgestattung gültig bis längstens 27.05.2018« steht in seinem Pass.

Dabei will Said sogar zurück nach Afghanistan, sobald es wieder sicher genug ist und er dort ein normales Leben führen kann. Derzeit haben die Taliban, eine islamistische Terrorgruppe, große Teile des Landes unter Kontrolle. Sie verüben Anschläge mit Hunderten Toten, versklaven die Bevölkerung und bilden perspektivlose junge Männer zu skrupellosen Kämpfern aus. 

Als Said geflohen ist, war er 15 Jahre alt. Er hatte in der Nähe der Hauptstadt Kabul gewohnt und war auch dort schon ein sehr guter Schüler, genauer gesagt: Said war in jedem Kurs Klassenbester. Eines Tages wurde es ihm und seiner Familie aber zu gefährlich und sie verließen das Land. Die Flucht, erzählt Said, habe drei Monate gedauert. Gleich am Anfang verlor er seine Familie aus den Augen. Was geschehen ist, darüber will er nicht reden. Seither sucht er seine Familie. 
In Deutschland lernte Said schnell Deutsch und ging aufs Gymnasium. Bald gehörte er sogar auch hier zu den Besten in der Klasse. Die in Nordrhein-Westfalen für alle Gymnasiasten verpflichtenden Zwischenprüfungen zum Übertritt in die Oberstufe könnte er ohne Probleme schaffen. Allerdings weiß Said nicht, ob er sie überhaupt schreiben kann. Seine Aufenthaltsgestattung läuft aus. Erst Ende Mai entscheidet sich, ob er noch ein Jahr länger in Deutschland bleiben darf.

»Meine Zukunft ist unsicher«, sagt Said. »Ich weiß nicht, ob ich hier für lange Zeit bleiben darf.« Wenn er in den Nachrichten sieht, dass Flüchtlinge in seinem Alter nach Afghanistan abgeschoben werden, bekommt er Angst. Seine Flucht sei teuer, schwierig und emotional aufreibend gewesen, und er habe bereits Deutsch gelernt. Er will nicht, dass all seine Bemühungen umsonst gewesen sein sollen. Außerdem könne in Afghanistan jeder Tag und jede Nacht die letzte sein, sagt Said. 

Mit dieser Angst ist Said nicht allein. Tausende afghanische Flüchtlinge teilen sein Schicksal. Die ständige Angst lähmt auch sie im Alltag. »Wenn man die ganze Zeit daran denken muss, dass man nach Afghanistan abgeschoben werden und dort sterben könnte, dann ist man im Alltag unkonzentriert«, sagt Said. Diese fehlende Konzentration führe zu ständigen Missgeschicken, manche bekämen auch Depressionen oder Herzprobleme. 

Aber Said will es in Deutschland schaffen. Er lernt auf seine Zwischenprüfungen in den Fächern Deutsch, Mathe und Englisch. Er will darin gut sein. Egal, ob er am Ende bleiben darf oder nicht. 

Im Oktober 2018 erreichte uns eine sehr schöne Nachricht. Nicht nur, dass Said seine Prüfung bestanden hat, sondern auch, dass er in Deutschland bleiben darf.
 

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46